Der hessische Landtag will mehr Möglichkeiten für Polizisten. Es geht um Video-Überwachung, Drohnen und Bodycams, aber auch um Handtaschen. Die Opposition hat Zweifel: Richtet sich das Vorhaben diskriminierend gegen eine Personengruppe?
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Vorgesehen sind neben erleichterter Video- und Drohnen-Überwachung sowie Bodycams in Innenräumen auch mehr Rechte für Polizisten sowie Personen- und Taschenkontrollen ohne Anlass. Geht es hier auch um junge Leute, die sich in tausenden von TikTok-Videos selbst als „Talahons“ bezeichnen und damit brüsten, in ihren trendigen Umhängetäschchen Messer dabei zu haben?
Das meint zumindest die Bild-Zeitung, während andere vor der Verteufelung von Handtaschen warnen oder im neuen Gesetz gar die Gefahr von „Racial Profiling“ sehen – also eine drohende Diskriminierung durch die Polizei aufgrund von Herkunft oder Hautfarbe.
In der Landtagsdrucksache ist vom Wort „Talahon“ naturgemäß nicht die Rede. Es geht in der Begründung nur allgemein um die mutmaßlich verschlechterte Sicherheitslage im Land, wie etwa am Frankfurter Hauptbahnhof.
Gemeint ist mit „Talahon“ eine bestimmte Gruppe Jugendlicher. Beschrieben wird mit dem Begriff ein Stereotyp von meist männlichen Jugendlichen, welche sich in Gruppen an bestimmten öffentlichen Plätzen aufhalten – und dabei auch auffällige Bauchtaschen oder Herrenhandtaschen tragen. Sie sind meist in etwa im Alter von 15 bis 25 Jahren und haben nicht selten einen Migrationshintergrund. Der Begriff „Talahon“ ist für 19. Oktober auch zum Deutschen Jugendwort des Jahres nominiert – wird jedoch von manchen für stigmatisierend gehalten.
Der „Talahon“-Trend läuft vor allem auf der Video-Plattform TikTok und beinhaltet teilweise auch gewaltverherrlichende und frauenverachtende Inhalte. Gleichzeitig soll er eher satirisch oder selbstironisch gemeint sein. „Talahon“ ist Arabisch und bedeutet in etwa so viel wie „Komm mal her!“.
Furore machte vor Kurzem der mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz komponierte Song „Verknallt in einen Talahon“ – von einem Künstler namens „Butterbro“ alias Josua Waghubinger, der im Lied auch Klischees bedient: „Das Messer in der Tasche ist bestimmt nicht nur fürs Butterbrot“, heißt es darin unter anderem.
Produzent Josua Waghubinger wehrt sich gegenüber dem WDR allerdings gegen pauschale Kritik: „Wenn man behauptet, Talahons seien ausschließlich Personen mit Migrationshintergrund, ist das eine unzulässige Stigmatisierung, die vor allem von Rechtsextremen kommt und von der ich mich distanziere. So wie ich das sehe, gibt es auch weiße junge Männer und sogar Frauen, die sich als Talahon sehen. Für mich geht es bei dieser Jugendkultur um den Stil und Auftreten, aber nicht um die Herkunft.“
Sei es, wie es sei: Mit dem neuen hessischen Polizeigesetz könnten Taschen womöglich schon bald auch ohne konkreten Anlass öfter unter die Lupe genommen werden – zum Beispiel im problematischen Umfeld des Frankfurter Hauptbahnhofs. Grundsätzlich erfolgen solche Kontrollen stets unabhängig von Hautfarbe oder Herkunft, so die gesetzliche und operative Vorgabe für die Polizei.
Im Prinzip unterscheidet das Polizeirecht indes in allen Bundesländern zwischen der Durchsuchung von Sachen (Handtasche) und von Personen (Leibesvisitation). Grüne und FDP in der hessischen Opposition kritisieren das geplante neue Polizeigesetz dennoch in Teilen als „zu weitgehend“. In Baden-Württemberg sind sowohl Personen- als auch Taschenkontrollen ohne begründeten Anlass oder Verdacht bislang unzulässig. Derzeit sind keine Änderungspläne bekannt.