Wer gebissen wird, merkt es schnell: Erst kribbelt der Mund, dann zuckt die Zunge, anschließend kommen starke Schweißausbrüche und Muskelkrämpfe hinzu. Wird kein Gegengift verabreicht, kann das Opfer innerhalb von kurzer Zeit an einer Mischung aus Bluthochdruck, erhöhtem Herzschlag und Atemnot sterben.
Pro Jahr werden etwa 30 bis 40 Menschen von einer solchen Spinne gebissen. Bislang wurden aber nur 13 Todesfälle mit der in Down Under endemischen Spezies in Verbindung gebracht. Seit 1981 ein Gegenserum entwickelt wurde, ist niemand mehr an einem Biss gestorben.
Trotzdem ist die Spinnenart kein beliebter Hausgast: Als Leanne Paull aus Heathcote im Süden von Sydney eines Morgens von ihrem 15-jährigen Sohn bei der Arbeit angerufen wird, lässt sie alles stehen und liegen und fährt nach Hause. Eine Trichternetzspinne hat es sich in ihrem Wohnzimmer bequem gemacht. Mutter und Sohn wissen nicht, was sie tun sollen, es herrscht Panik.
So entsteht das Gegengift
„Ich wollte einen Behälter über sie stülpen, habe aber nicht getroffen. Und dann ist sie ein bisschen wütend geworden“, sagt die Australierin. „Schließlich habe ich draußen einen Jogger gefragt, ob er mir helfen kann.“ Der Mann schafft es, die Spinne einzufangen und erzählt Paull vom Spinnenjäger Scott Johnson. Der holt das Tier am Morgen ab, noch bevor er zu seiner Arbeit als Autoschlosser fährt.
Derzeit wird er fast täglich über Facebook angeschrieben – denn das zuletzt extrem regnerische Wetter an Australiens Ostküste lockt viele Krabbeltiere aus ihren Verstecken. Die meisten wollten die Spinne zunächst identifiziert haben. Denn in etwa 70 Prozent der Fälle handele es sich gar nicht um eine Sydney-Trichternetzspinne. Anhand von Fotos kann Johnson die Spezies im besten Fall sofort erkennen: „Die meisten Spinnen haben acht Augen. An ihrer Anordnung kann man fast immer sicher feststellen, um welche Art es sich handelt.“
Sobald der Australier etwa fünf bis zehn Exemplare der giftigen Spinnenart eingesammelt hat – etwa alle zwei Wochen – bringt er die Tiere in den bei Somersby nördlich von Sydney gelegenen „Reptile Park“. Hier werden vor allem die Männchen gebraucht. Sie sind fünf- bis sechsmal giftiger als die Weibchen – und ihr Toxin eignet sich besonders gut für die Herstellung eines sogenannten Antidots, denn dieses wirkt auch gegen Bisse von anderen Arten.
„Wir sind sehr davon abhängig, dass Menschen die Trichternetzspinnen bei uns abgeben“, erklärte Tim Faulkner, Leiter des Reptile Parks, in einer kürzlich veröffentlichten Mitteilung. Ohne diese Hilfe der Bürger sei es sonst unmöglich, Leben zu retten.
Männchen werden für ihr Gift gemolken
Der Reptile Park ist der einzige Ort in Australien, an dem die Männchen für ihr Gift gemolken werden – eine heikle Aufgabe: „Die Tierpfleger brauchen eine sehr ruhige Hand und höchste Konzentration“, sagte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur. „Sie benutzen einen kleinen Absauger mit einer Glaspipette und bringen so die Spinne dazu, sich in eine Verteidigungsposition zu begeben.“ Dann werde das Toxin vorsichtig aus den Reißzähnen gesogen.
Anschließend wird das Sekret zum Hersteller des Gegenserums, Seqirus, nach Melbourne geschickt. Für nur eine Ampulle Antidot müssen bis zu 150 Spinnen gemolken werden. Die Männchen können aber nur maximal ein Jahr lang gemolken werden, weil sie dann auf natürliche Weise sterben. Deswegen wird so dringend „Nachschub“ benötigt.
Spinnenjäger Scott Johnson nimmt seine Aufgabe deshalb sehr ernst: „Ich bringe alle Spinnen persönlich in den Reptile Park.“ Andauernd werde er über Facebook gefragt, ob er die giftigen Tiere auch an Privatpersonen verkaufe - denn manche Leute halten sich die Spinnen tatsächlich als „Haustiere“. Das lehnt Johnson aber ab: Er will mit seiner Arbeit der Gemeinschaft helfen und dazu beitragen, dass auch weiterhin keiner an einem Spinnenbiss sterben muss.