Suhl - "Vorauseilende Abschiede" betitelt der 62-jährige Amateurliterat sein erstes Lyrikbändchen, in das er am Mittwochabend sein Publikum im gut gefüllten Bücherzimmer der Rimbach-Buchhandlung hineinhören ließ. "Ungereimtes", so der Untertitel, sind die gut 50 Stücke aus mehr als einem Schreib-Jahrzehnt, "Wagnisse", wie das Büchlein ankündigt. Gewiss die besten wählt man für ein Erstlingswerk, das Visitenkarte sein soll.

Herz reimt sich nicht auf Schmerz, zum Glück. Gleichwohl nehmen Paarbeziehungen und der Umgang von Menschen miteinander einigen Raum ein in den knappen Gedankenfetzen der kleinen Stücke. "Vorauseilende Abschiede", so sagt Lindig selbst, thematisiert längst gescheiterte Beziehungen, an die sich Menschen klammern aus Rücksicht auf andere. Das gleichnamige Schlüsselgedicht in seinem Buch erkennt: "Wir ließen Feuer niederbrennen in unseren Augen, schonten alle andern, nur nicht uns. Wir gingen auseinander, in die Nebel, in die Nacht ... Und unsre Haut ist lederhart."

Von ähnlichem Gefühl erzählen auch andere Zeilen: "Ohne Gesicht gehst du durch Träume, hast mir die Lider zugenäht. Am Ende ist mein Laufen nur mühsam abgefangenes Fallen." Reibflächen, persönliche Konflikte, selbst erlebt oder beobachtet, geben ihm Schreibinspiration schon seit frühester Jugend. Er erzählt den Literaturliebhabern auf nette Art, wie die Lyrik in seiner "Texteküche" entsteht: In die Fächer mit Mut, Angst, Süße, Bitterkeit, Schweigen greifen und kräftig umrühren. "Ich erhasche, was gerade vorüberfliegt."

Sein recht bewegtes Berufsleben mag eine ergiebige Quelle gewesen sein. Der studierte Physiker arbeitete im Eisenhüttenkombinat, Robotron Zella-Mehlis, Porzellanwerk Ilmenau und nach den Wendewirren in einer Apoldaer Firma, ehe der "erzwungene Ruhestand" lauerte. Lyrik und Kurzprosa, aufgeschrieben in der "Unebenheit des Gebirges, einer Gegend, in der sich immer ein Versteck bietet, ein Ort, um zur Ruhe zu kommen", so seine Sicht, brachten Harald Lindig in thüringenweiten Wettbewerben Anerkennung und Preise ein, so einen 1. Platz beim Literaturwettbewerb "Spätlese" 2007 in Suhl. Lindig war einer der Ersten im Südthüringer Literaturverein, der ihn nun in der "Lesereihe 2012" erneut nach Suhl holte, seinem Wohnort für zehn Jahre. Ein "schreibender Werktätiger" war er damals und schöpferisch in ebensolchen Zirkeln.

Indes, heute seinen Stil zu definieren, fällt nicht leicht, sein Ausprobieren scheint noch kein sicheres Ergebnis zu haben. So habe er leichte politische Kabarettversuche ebenso unternommen wie Schritte in der Kinderprosa, erzählt er. Seine Sicht auf Heuchelei schreibe er nieder, auf scheinheiligen Pazifismus als Legitimation für Kriege, aber auch auf den "Altersrassismus" in unserer Zeit von Jugend und Fitness. Vielleicht ein bisschen viel auf einmal - oder die ewige Suche nach Antworten, die so viele umtreibt. Eine "Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung" nennt Lindig unsere Zeit mit vielen "Gebrüdern Grimmig".

Seine Verse knüpfen gedankliche Knoten, für die der Lyrik-Otto-Normalverbraucher Mühe hat und Geduld braucht, sie aufzulösen. Etwa bei der Leuchtturmwärterin: "Irgendetwas stimmt nicht mit deinem Licht. Ich komme nicht mehr zurück an Land, nicht hinaus auf das Meer. Bist immer eine Andere und doch die Gleiche ... Hüte dich vor der Bernsteinhexe, sie lauert dir auf, unten am Kliff." - Angst? Ausweglosigkeit? Oder nur ein Urlaubsausflug? Welche Symbolik in den "ungereimten" Zeilen liegt, möchte man gern ohne Gebrauchsanleitung des Autors ergründen können. Aber der Zugang fällt schwer. Alles lässt wahrlich sehr viel Raum für Assoziationen. "Ich denke, künftig mehr Prosa zu lesen, das ist leichter für's Publikum", erkennt er selbst.

Harald Lindig baut Stimmungen auf, um sie im Handumdrehen unergründlich zerfließen zu lassen: "Verlaufen uns im Weichbild dieser Stadt, fremd geworden aneinander. Bevor am Abend dann die Viadukte Arm in Arm durch Straßen stampfen." Was uns der Autor sagen will, seine Gedankengänge nachvollziehen zu können, dazu lassen die Verse noch ein bisschen Luft nach oben. Machen aber neugierig, in Ruhe nachzulesen. Interessant rahmen die feinen Grafiken von Frank Rothämel aus Zella-Mehlis alles ein.

Harald Lindig: "Vorauseilende Abschiede", Goldhelm Verlag Manebach.