Suhl - Hundertvier, hundertfünf, hundertsechs - die Stufen sind geschafft und Rainer Recknagel ist kaum außer Puste. Den Schlüssel ins mannshohe Uhrwerkhäuschen rein, und da steht es und klackt im Sekundentakt: das Herz der Turmuhr in der Suhler Kreuzkirche. Der 71-jährige Mann steht in 32 Metern über der Stadt. Und auf der Höhe der Zeit sozusagen. Seit 19 Jahren geht er mit schlafwandlerischer Sicherheit diesen Gang mehrmals die Woche über die 106 Stufen der Wendeltreppen. Noch 52 Tritte höher und er hat aus dem früheren Türmerstübchen der 1739 geweihten Kirche im Steinweg malerische Ausblicke über die Stadt in vier Richtungen.

In die zeigen auch die vier von oben mächtigen Zifferblätter. Deren Zeiger stoppt Recknagel am späten Samstagabend in ihrem Lauf. Seine kleine Handbewegung an der Elektronik nimmt der altehrwürdigen Uhr den Saft. "Was wir im Frühjahr an Zeit hergeben müssen, wird uns jetzt wieder geschenkt", philosophiert der freundliche Mann, früher Werkzeugbauer bei Simson.