Suhl Bis an die Kotzgrenze

Seit Monaten keine Wettkämpfe: Auch Sportschützen haben mit der Corona-Krise zu kämpfen. Skeet-Bundestrainer Axel Krämer hat für die Asse am Stützpunkt Suhl die Trainingsumfänge deutlich erhöht.

 
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Suhl - "Mehr Tempo bei der zweiten Scheibe", fordert Axel Krämer, als bei einer Doublette wieder einer der beiden orangefarbenen Tonteller unversehrt in den Fangzaun segelt und zerbröselt. Skeet-Spezialistin Nadine Messerschmidt nimmt den sachlichen Hinweis umgehend auf und räumt die folgende Doublette - hier müssen binnen weniger Zehntelsekunden gleich zwei katapultartig aus dem Hoch-und Niederhaus geschleuderte Tonscheiben getroffen werden - souverän ab.

Es ist beinahe idyllisch beim Kader-Training der Thüringer Flintenschützen auf dem Suhler Friedberg. Die Wiesen auf der weiträumigen Anlage sind frisch gemäht, ein kleiner Traktor tuckert über Stand zwei und das Wetter passt. Einzig die Donnerschläge beim Abfeuern der Schrotmunition stören den Beobachter, was wiederum für die mit Ohrstöpseln ausgerüsteten Sportler Alltag ist. Stressiger Alltag allerdings, denn die Belastung ist gerade groß.

Maximal 450 Scheiben

"Nachdem bei uns wegen Corona von heute auf morgen alles abgesagt wurde, muss man als Trainer schlussfolgern", erklärt Bundestrainer Krämer, der am Stützpunkt in Suhl auch die heimischen Olympia- und Auswahlkader betreut. Die Schlussfolgerung lautete: Die Belastung im Training bis an die Grenze hochfahren. "In normalen Zeiten haben wir im Training in der Spitze maximal auf 150 Scheiben geschossen. Jetzt sind es täglich 200 bis 300", sagt Nadine Messerschmidt, als sie mit ihrer Trainingspartnerin Valentina Umhöfer gerade Pause macht. Statt der beiden Frauen üben nun Ex-Vizeweltmeister Vincent Haaga und Paul Butterer auf Stand drei. Das Männer-Duo trieb es sogar noch krasser. Sie feuerten zuletzt mehrfach in einer Trainingseinheit am Vormittag auf 450 Scheiben.

Interne Wettkämpfe

"Die hohen Schusszahlen sind gekoppelt an konkrete Zielstellungen", sagt Trainer Krämer, "und da kommen die Sportler physisch und psychisch an ihre Grenzen: "Ja, das kotzt sie mitunter richtig an." Der erfahrene Coach zwingt seine Schützlinge ganz bewusst in den Extrembereich, der praktisch in jedem Wettkampf auf sie wartet. Sei es das Wetter mit Hitze oder Wind, sei es der eigene Druck, seien es die Psychospielchen der Konkurrenz. Krämers erste Erkenntnisse während der Hochbelastungsphase: Die Sportler würden mehr Schwächen zeigen und ihre Fehler gehäufter falsch einschätzen.

Wie für den Trainer ist die Intensitätssteigerung auch für die Flintenschützen Neuland. Im normalen Dauerstress mit Weltcups, Ranglisten oder Meisterschaften sind derartige Belastungsspitzen gar nicht möglich. "Wir werden sehen, wie die hohe Belastung dann im Wettkampf anschlägt", hofft Nadine Messerschmidt auf einen positiven Effekt. Die Corona-Pause gebe ihr und ihren Mitstreitern auf alle Fälle "mehr Spielraum im Training", man sei "aber noch in der Findungsphase".

Ende des Monats will Axel Krämer nach sechswöchiger Dauerbelastung mit einem internen Trainingsvergleich an jedem Freitag die Reißleine ziehen. Schließlich hat er in Eigenregie zusammen mit Trap-Bundestrainer Uwe Möller eine so genannte Kaderleistungsüberprüfung angesetzt. Ende August und im September werden sich Deutschlands beste Trap-und Skeetschützen in Frankfurt/Oder, Berlin und Schaale erstmals seit langer Zeit wieder im Wettbewerb messen. Valentina Umhöfer bestritt ihren letzten Wettkampf im September 2019, Nadine Messerschmidt im März in Zypern.

Auf der Mittelmeer-Insel sorgte die 25-jährige Bundeswehr-Soldatin mit ihrem ersten Weltcupsieg für einen Paukenschlag. Mit neuer persönlicher Bestleistung von 122 Treffern zog sie als Vorkampfsiegerin ins Finale der besten Sechs ein und setzte sich auch dort souverän durch. "Nadine war im Strahl", erinnert sich Trainer Krämer. "Ja, sie hatte eine Top-Form und die Olympiateilnahme vor Augen", bestätigt Jürgen Raabe, Europameister von 1996 und Assistenz-Bundestrainer: "Schade für sie, dass Tokio verlegt wurde." Für die erst 21 Jahre alte Valentina Umhöfer hingegen sei laut Raabe die ungewollte Trainingsphase ein Vorteil, speziell für das Techniktraining.

Umzug nach Breitenbach

"Die Olympia-Verlegung ist der richtige Schritt gewesen", betont Nadine Messerschmidt, "und nun hoffen wir auf 2021." In der Hoffnung auf die Durchführung der Olympischen Sommerspiele in der japanischen Hauptstadt schwingt allgemein allerdings auch immer mehr Skepsis. Immerhin: Größere Einschränkungen wegen der Pandemie haben die Flintenschützen beim Training nicht. "Wir dürfen drinnen in den Pausen nicht mehr in größeren Gruppen zusammensitzen und müssen unsere Waffen nach jedem Training desinfizieren", klärt Nadine Messerschmidt auf. Der Sicherheitsabstand beim Üben im Freien ist bei Flintenschützen zwangsläufig gegeben.

Für Thüringens aktuell beste Schützin kam die Corona-Pause aus privaten Gründen wie gerufen. Mit Lebenspartner und Töchterchen ist sie in der trainings- und wettkampffreien Zeit von Schmalkalden ins nahe Breitenbach gezogen. "Da hatten wir zum Einrichten viel mehr Zeit als gedacht", sagt die einstige Biathletin. Jetzt allerdings gilt die Konzentration wieder mehr den Doubletten aus Hoch- und Niederhaus.

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