SOS-Festival Silly spielt Suhl in den Sommer

Was für ein heißer Sommerauftakt in Südthüringen! Die Kultrocker von Silly eröffnen ihre Tournee durch den Osten der Republik am Samstagabend beim Festival unserer Zeitung in Suhl. Zum ersten Mal gemeinsam mit dabei: Sängerin Julia Neigel und City-Frontmann Tony Krahl.

Alles wird besser, aber nichts wird gut“ – mit einem ihrer ganz alten Songs eröffnen Uwe Hassbecker & Co am Samstagabend ihre diesjährige Sommertournee mitten im Thüringer Wald. Kein Zufall, freilich. Der Titel vom „Februar“-Album der Band lieferte schon im Sommer 1989 den Soundtrack für das Aufbegehren mancher DDR-Künstler gegen die erstarrte DDR-Führung. „Verbieten ist nicht mehr“, tönte Rockröhre Tamara Danz damals von der Bühne. Wie das wohl 34 später klingt? Nun, zwischen den Zeilen zu lesen hat der Bürger hierzulande ja gelernt. Leise, aber unüberhörbar kommentiert Silly den Zeitgeist auch noch mit anderen Titeln besagten Albums.

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Mit Julia Neigel steht seit 2018 eine echte Powerfrau auf der Silly-Bühne, die überglücklich ist, auch 2023 wieder mit Uwe Hassbecker, Ritchie Barton und Hans-Jürgen Reznicek auf Tour zu gehen – sagt sie mit strahlenden Augen vor dem Konzert. Gespannt ist die Ostrock-Fangemeinde, die sich zum gut 1500 Mann großen „Sommer in Südthüringen“-Publikum in Suhl versammelt hat, aber vor allem auf die Premiere von City-Frontmann Tony Krahl auf der Bühne. Der hatte sich erst am Donnerstag in der superillu dafür bedankt, bei den Jungs von Silly „Asyl bekommen“ zu haben – zunächst für einen Sommer lang. In Suhl bittet er die Fans augenzwinkernd um Nachsicht, falls der ein oder andere Song, den man ja irgendwie noch mit der unvergleichlichen Stimme von Tamara Danz im Ohr hat, ein ganz klein bisschen anders klingen sollte. Er sei erstens noch Praktikant und zweitens schon in Altersteilzeit. Und versucht sich dann gleich an den richtig guten Hits, mit der die Band ein großes Stück Rockgeschichte im Osten geschrieben hat: An den „Kindern von Berlin“, an „Bataillon d’Amour“ und „So ne kleine Frau“. Ungewohnt, klar. Ungewohnt, solche Texte aus männlicher Brust zu hören – aber mit der rauen Stimme Krahls, mit seiner lakonisch-lässig-inbrünstigen Art in den Suhler Abendhimmel geschickt, auch schon wieder eine besondere Klasse. Oder würde jemand bestreiten, man könne seine Paradiesvögel nicht einfangen?

Julia Neigel setzt den „Schlohweißen Tag“ dagegen und natürlich „Asyl im Paradies“, einen der intimen und berührenden Texte von Tamara Danz, die nichts von ihrer zeitlosen Gültigkeit eingebüßt und eben dadurch ein Stück weit den Soundtrack des Ostens mitgeschrieben haben. Julia Neigels Stimme ist zarter, klingt vielleicht eine Spur weniger nach diesen unbestimmbaren Sehnsuchtsorten, die Überfrau Tamara mit ihrer Leidenschaft und wohl auch im Wissen um ihre Krankheit beim 1996er Album „Paradies“ in die Lieder zu malen vermochte. Bei „Instandbesetzt“ aber – einen Titel, den Julia Neigel, wie sie sagt, „unglaublich liebt“ – zeigt sie ihre ganz eigene Kraft und ihr ganz eigenes Charisma .

Die Band hat sich vorgenommen, bei ihrer Sommertournee 2023, die sie quer durch den Osten führen wird – von Suhl nach Neuhardenberg fast an der Oder, weiter nach Sellin auf Rügen, Dresden oder Zörbig in Sachsen-Anhalt – tief in die Silly-Schatzkiste zu greifen. Zumal in Suhl, wo die Band in den vergangenen Jahrzehnten merkwürdigerweise gar nicht so oft gespielt hat. Eine Stadt, an die sich aber die Musiker sogar weit bis in Vorwendezeiten zurückerinnern können, als im Haus Philharmonie noch FDJ-„Werkstattwochen“ stattfanden (kramt Ritchie Barton aus seinem Gedächtnis), oder in der Hans-Jürgen Reznicek auch mal privat Winterurlaub machte, weil ihm ein Suhler Tontechniker eine Unterkunft verschaffte.

Die ganz alten Hits treffen sich natürlich mit den Erwartungen eines begeisternd mitsingenden und mitjubelnden Publikums – und sorgen dabei für eigenartige Déjà-vu-Momente. Wer den Text von „S.O.S.“ noch von damals kennt und ihn heute wieder hört – den verblüfft er vielleicht sogar für einen kurzen Moment: Wie sich doch die Zeiten gleichen! Oder ist das gesungen geglaubte gebrauchte Narrenschiff wieder ein bisschen aufgetaucht? Nicht von ungefähr spielt Silly dieses Lied in Suhl, nicht von ungefähr tobt auch die „wilde Mathilde“ über die Bühne oder trifft sich der Trümmerberg „Mont Klamott“ aus den ganz frühen Band-Jahren mit „Berlin“ aus den ganz frühen City-Jahren. Dem Gefühl der Zeit eine Klang geben, einen Text, dafür ist Silly noch immer gut. Und dafür muss es nicht mal zu Bleistift und Notenpapier greifen – die Zeiten passend sich irgendwie den Hits von damals an.

Und ja, am Ende versäumt es die Band auch nicht, alles in Rot zu tauchen. Ein Lied, das aus der Zeit mit Anna Loos als Frontfrau stammt, zum Titel eines Albums geworden ist und noch immer zum Träumen einlädt. Ein Lied, bei dem die Musiker auch ihre Fähigkeiten auf den Instrumenten unter Beweis stellen können – denn Spitzenmusiker sind sie ja alle in den Bands des Ostens (gewesen). Daniel Hassbecker und Ronny Dehn sind als musikalische Gäste mit in Suhl dabei. Und „Alles Rot“ ist nicht nur ein Liebeslied, es ist auch der vielleicht schönste Song aus der Nach-Danz-Ära.

Premiere in Suhl für Silly mit Krahl und Neigel – ein tolles Konzert. Ein kurzer Moment zum Träumen, zum Anlehnen, zum Erinnern, zum sich selbst vergewissern. Ein kurzer Moment, im Blick zurück Orientierung zu suchen und zu finden in einer rasend schnellen Zeit.

Weitere Konzerte in der Region: 1. Juli (Apolda), 5. August (Creuzburg), www.silly.de