Im Vorfeld des Lungentages am kommenden Samstag wurden dem Organisator der Veranstaltung, Dr. Claus Steppert, bereits einige Fragen gestellt:
Seit Wochen wird diskutiert, ob eine 4. Welle kommt. Nun ist sie da…?
Steppert: Das ist das Trügerische am exponentiellen Verlauf: Trotz gegenteiliger Beteuerungen vieler Politiker und Aufhebung von Maskenauflagen, beispielsweise in NRW, ist es mit den Corona-Wellen wie bei einem Tsunami: Auf dem Meer haben wir nur eine Wellenhöhe von wenigen Zentimetern, an Land baut sich diese Welle aber auf viele Meter auf. Wir sehen die rasch steigenden Inzidenzzahlen und dürfen hierbei nicht vergessen, dass der positive Test von heute auf eine Infektion vor sieben bis zehn Tagen zurückzuführen ist. Wir laufen also immer hinterher. Bei einer Steigerung von sechs Prozent täglich kommt es in einer Woche zu einer Steigerung um 50 Prozent! Bei intensivpflichtigen Patienten ist davon auszugehen, dass die Infektion bereits etwa vier Wochen zurückliegt.
In Ihrem Impulsvortrag fragen Sie etwas provokativ: COVID-19 – nur eine Erkrankung der Lunge? Welche Organe kann COVID denn noch befallen?
Steppert: Im Gegensatz zur Virusgrippe Influenza sind die Andockstellen des Coronavirus in vielen Organen vorhanden. Neben der Lungenbeteiligung, die in den schweren, intensivpflichtigen Fällen auch durch eine überschießende Immunabwehr bedingt ist, kommt es in vielen, auch weniger schweren, Fällen zu einer Beteiligung der Nieren, des Herzens, der Leber und des Blutes, einschließlich einer Störung der Blutgerinnung. Nachdem der Riechnerv kein eigentlicher Nerv, sondern eine Ausstülpung des Gehirns ist, ist bei dem häufigen Verlust des Geruchssinns auch eine Beteiligung des Gehirns zu unterstellen.
Nach den aktuellen Corona-Verordnungen sollen Maßnahmen neben der Inzidenz auch auf der Belegung der Krankenhäuser und Intensivstationen basieren. Was halten Sie davon?
Steppert: Ich halte das für etwas problematisch. Neben der Latenz zwischen Infektion und stationärem Aufenthalt von zwei bis vier Wochen wissen wir heute, dass auch die Erkrankten, die nicht ins Krankenhaus müssen und teilweise nicht einmal Symptome aufweisen, von Long COVID und Post COVID betroffen sein können. Was dies für die öffentliche Gesundheit und die Arbeitswelt bedeutet, ist heute noch nicht absehbar.
Die Begriffe Long COVID und Post COVID hört man ja jetzt immer öfter. Aber was versteht man überhaupt darunter?
Steppert: Hier gehen die Definitionen teilweise etwas auseinander. Üblicherweise werden Beschwerden, die länger als vier Wochen ab Infektion bestehen, als Long COVID bezeichnet. Beschwerden, die länger als drei Monate ab Infektion bestehen, nennt man Post-COVID. Dies sollte man nicht unterschätzen. In einer aktuell publizierten Studie aus England weisen 20 Prozent der Patienten noch vier Wochen nach COVID-Infektion weiterbestehende Symptome auf, etwa zehn Prozent noch nach mehr als einem halben Jahr. Eineweitere Studie kommt zu der Erkenntnis, dass bis zu 60 Prozent der Patienten noch nach sechs Monaten über Muskelschwäche und Müdigkeit klagen. Derzeit ist weder die genaue Ursache von Long- und Post COVID noch eine Therapie bekannt. Beides ist Ziel internationaler Forschung.
Lassen sich Langzeitfolgen von Covid-19 vermeiden? Wenn ja, wie?
Steppert: Zunächst sollten sich die Menschen durch die AHA-Regeln vor dem SARSCoV2- Erreger schützen, außerdem größere Menschenansammlungen meiden, sich gesund ernähren, Sport treiben und sich impfen lassen. Natürlich gibt es auch sogenannte „Impfdurchbrüche“, was bedeutet, dass sich auch geimpfte Personen infizieren können. Aber diese Patientengruppe ist dann weniger ansteckend und erkrankt in aller Regel nicht schwer, wie Untersuchungen aus dem Ausland zeigen. Covid-Patienten im Krankenhaus und auf Intensivstationen sind durchweg nicht Geimpfte!
Sie haben als Thema auch „COVID und Kinder“. Wir dachten, Kinder werden selten wirklich krank?
Steppert: Hier möchte ich dem Vortrag von Prof. Dr. Dahlem nicht vorgreifen. Bedenklich ist für mich jedoch, dass beispielsweise in Texas die Kinder-Intensivstationen mit COVID-Patienten überbelegt sind. Ein offenes Ohr für dieses und unsere weiteren Themen lohnt also auf jeden Fall und wir freuen uns auf viele interessierte „virtuelle“ Besucher.
Interview: Regiomed