Sensationsfund in Hamburger Uni-BibliothekÄltestes Manuskript über Kindheit Jesu entdeckt
Markus Brauer 06.06.2024 - 08:50 Uhr
Jahrzehntelang lag ein Papyrusfragment unbeachtet in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek. Dabei handelt es sich um das älteste Schriftstück über die Kindheit Jesus von Nazareth. Über ein außergewöhnlichen, wiederentdeckten Fund.
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Papyrus-Experten haben ein Manuskript-Fragment als früheste erhaltene Abschrift des Kindheitsevangeliums des Thomas entziffert. Sie datierten die Handschrift auf das 4. bis 5. Jahrhundert, wie das Institut für Christentum und Antike der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin mitgeteilt hat. Für die wissenschaftliche Bibelforschung ist das eine außergewöhnliche Entdeckung, denn die Handschrift stammt aus der Frühzeit des Christentums.
Kindheit Jesu nach dem Thomas-Evangelium
Das Thomas-Evangelium berichtet von der Kindheit Jesu und zählt zu den sogenannten apokryphen Schriften. Diese wurden nicht in die Bibel aufgenommen, waren aber mit ihren Erzählungen in der Spätantike und im Mittelalter sehr beliebt und weit verbreitet.
Den Angaben zufolge lag das Papyrusfragment seit Jahrzehnten mit der Inventarnummer „P.Hamb.Graec. 1011“ unbeachtet in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky. Die Entdeckung machten der Papyrus-Experte Lajos Berkes vom Berliner Institut und sein Kollege Gabriel Nocchi Macedo von der Universität Lüttich in Belgien.
Neue Erkenntnisse zur biblischen Textüberlieferung
„Das Fragment ist von außerordentlichem Interesse für die Forschung“, erklärt, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der HU. „Zum einen, weil wir es auf das 4. bis 5. Jahrhundert datieren konnten und es damit die früheste bekannte Abschrift ist. Zum anderen, weil wir neue Erkenntnisse zur Textüberlieferung gewinnen konnten.“ Bisher habe ein Kodex aus dem 11. Jahrhundert als früheste griechische Textfassung des Thomas-Evangeliums gegolten.
„Unsere Erkenntnisse zu dieser spätantiken griechischen Abschrift des Werks bestätigen die derzeit geltende Einschätzung, dass das Kindheitsevangelium nach Thomas ursprünglich auf Griechisch verfasst wurde“, berichtete Nocchi Macedo.
Das Evangelium wurde vermutlich im 2. Jahrhundert nach Christus erstmals aufgeschrieben. „Unsere Erkenntnisse zu dieser spätantiken griechischen Abschrift des Werks bestätigen die derzeit geltende Einschätzung, dass das Kindheitsevangelium nach Thomas ursprünglich auf Griechisch verfasst wurde“, erläutert Nocchi Macedo.
Das etwa 11 mal 5 Zentimeter große Fragment enthält Reste von dreizehn Zeilen in griechischen Lettern, ungefähr 10 Buchstaben je Zeile und stammt aus dem spätantiken Ägypten. Der Papyrus blieb lange unbeachtet, weil der Inhalt für unbedeutend gehalten wurde.
„Man dachte, es handelt sich um einen Teil eines Alltagsdokuments, etwa eines Privatbriefes oder einer Einkaufsliste, weil die Schrift so unbeholfen wirkt“, sagt Berkes. „Uns ist zunächst das Wort Jesus im Text aufgefallen. Dann haben wir durch den Vergleich mit zahlreichen anderen digitalisierten Papyri Buchstabe für Buchstabe entziffert und uns wurde schnell klar, dass es sich nicht um ein Alltagsdokument handeln kann.“
Anhand weiterer Schlüsselbegriffe wie „krähend“ oder „Zweig“, nach denen die Papyrologen in anderen frühen christlichen Texten suchten, erkannten sie, dass es sich um die Abschrift des Kindheitsevangeliums nach Thomas handelt. „Aus dem Vergleich mit den bereits bekannten Manuskripten wissen wir, dass unser Text der früheste ist. Er folgt dem Urtext, der nach aktuellem Forschungsstand im 2. Jahrhundert nach Christus verfasst worden ist.“
Die Forscher vermuten, dass die Abschrift des Evangeliums als Schreibübung in einer Schule oder einem Kloster entstanden ist, worauf unter anderem die ungeübte Handschrift mit unregelmäßigen Zeilen hinweist.
Aus den wenigen Worten auf dem Fragment geht hervor, dass der Text den Anfang der Erzählung über die „Belebung der Spatzen“ schildert, eine Episode aus der Kindheit Jesu, die als das „zweite Wunder“ im apokryphen Thomas-Evangelium gilt: Jesus spielt an der Furt eines reißenden Stroms und formt aus dem weichen Ton, den er im Schlamm findet, zwölf Spatzen. Als sein Vater Joseph ihn tadelt und fragt, warum er am heiligen Sabbath solche Dinge tue, klatscht der fünfjährige Jesus in die Hände und erweckt die Tonfiguren zum Leben.
Info: Eine Bibel, viele Bücher
Bibel Das Wort Bibel (von altgriechisch „biblia“, Bücher) bezeichnet die Sammlung der heiligen Schriften von Juden und Christen. „Tanach“ ist der Name für die jüdische Bibel, die aus insgesamt 24 Büchern besteht: Tora (Weisung), Nevi (Propheten) und Ketiuvim (Schriften).
Biblische Bücher Die evangelischen Kirchen haben diese Schriften der jüdischen Bibel – des Tanach – übernommen, allerdings in 39 Bücher eingeteilt. Hinzu kommen die 27 Schriften des griechischen Neuen Testaments – zusammen 66 Bücher. Katholische Bibeln hingegen umfassen 73 Bücher.Dieser numerische Unterschied hat folgenden Grund: Der Reformator Martin Luther (1483-1546) hatte sieben Bücher, die im Judentum aus dem Tanach ausgeschlossen worden und in der katholischen Tradition Teil der Bibel waren, aus seiner Bibelübersetzung entfernt. Diese sogenannten deuterokanonischen Schriften wurden ursprünglich in die „Vulgata“, die lateinische Übersetzung der griechischen Bibel (die auch „Septuaginta“ heißt) Ende des Vierten Jahrhunderts aufgenommen.
Bücher „erster“ und „zweiter“ Klasse Das Wort deuterokanonisch kommt vom Griechischen „deuteros“, zweiter. Das Gegenteil ist protokanonisch (von griechisch „protos“, erster), womit alle Schriften des Alten Testaments bezeichnet werden, die in der jüdischen und evangelischen Bibel enthalten sind. Mit deuterokanonischen Schriften ist Folgendes gemeint: Die bereits erwähnten sieben Schriften des Alten Testaments werden von der katholischen Kirche und teilweise von der orthodoxen Kirche sowie den altorientalischen Kirchen als fester Bestandteil der Bibel angesehen. Es handelt sich um das Buch Judit, das Buch Tobit, 1. und 2. Makkabäer, das Buch Baruch, die Weisheit Salomos, Jesus Sirach sowie die Anhänge zum Buch Ester und Daniel.
„Vulgata“ Zusammen mit den anderen Büchern des Alten Testaments (seit der „Vulgata“ sind dies 39) gelten sie als kanonisch. Dass heißt: Diese 46 Bücher wurden um das Jahr 400 von der Kirche endgültig als Teil der Bibel festgelegt (kanonisiert) und damit zum Maßstab (Kanon) des Glaubens und der Religionsausübung. Als „Vulgata“ (von Lateinisch „vulgáta“, im Volk verbreitet) bezeichnet man die lateinische Bibelübersetzung. Seit der Spätantike hatte sie sich gegen ältere lateinische Übersetzungen durchgesetzt. Die „Vulgata“ basiert auf der lateinischen Übersetzung der biblischen Schriften aus dem Hebräischen und Griechischen durch den Kirchenvater Hieronymus (347-420 n. Chr.).
Vetus Latina Die älteren Übersetzungen werden auch unter dem Begriff „Vetus Latina“ oder Altlateinische Bibel (von Lateinisch „vetus latina“, alte lateinische) zusammengefasst. Es handelt sich um sämtliche Übersetzungen der alt- und neutestamentlichen Schriften in die Lateinische Sprache, die vor der „Vulgata“ in Gebrauch waren. Die „Vulgata“ war in der Spätantike und im Mittelalter die maßgebliche Bibelausgabe der Kirche.
Aramäisch – Alltagssprache zur Zeit Jesu Die „Septuaginta“ (griechisch für „Übersetzung der Siebzig“) wiederum ist die älteste vollständige Übersetzung der hebräisch-aramäischen Bibel (Aramäisch war zur Zeit Jesu die Umgangssprache) in die antike altgriechische Alltagssprache, der sogenannten Koine. Die griechische Übersetzung entstand ab 250 v. Chr. und war bis 100 n. Chr. abgeschlossen.