Schweina Ein breites Angebot beim ersten Open-Neuland-Festival in Schweina

Werner Kaiser

Schweina war Auftaktort für die Saison von Regionalfestivals der Gemeinschaft „Neuland gewinnen“. Die Mitglieder des 2017 gegründeten Vereins packen selbst an, um ihre Heimat zu einem Ort zu machen, an dem sie gern leben.

 
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Schweina war am Samstag ein Ort von Neulandgewinnern – beim Regionalfestival der Gemeinschaft „Neuland gewinnen“.

Das Open-Neuland-Festival fand – nomen est omen – überwiegend im Freien statt, wo etwa die Demokratiewerkstatt des Wartburgkreises einlud, mit einer Art Puzzle die Zuordnung öffentlicher Aufgaben zu Bund, Land und Kommune zu durchdenken. Die Kinder- und Jugendkunstschule in Schweina reihte sich mit ihrer direkt benachbarten Mal- und Holzwerkstatt ins Festivalprogramm ein, genau wie gleich nebenan das altehrwürdige, mit großem Enthusiasmus in vielen kleinen Schritten wieder entstehende „Krone“-Wirtshaus, dessen gut aufgeräumte Baustelle zu besichtigen war.

Eine richtige Neulandgewinnerin ist Yvonne Ammer. Sie wollte nicht mehr bloß so Friseurmeisterin sein und gründete in Altenburg den Salon „Schnitt & Schnittchen“. Da kann sie der Kundschaft in jeder Hinsicht den Kopf waschen. Man lässt wohl Geld hier, aber auch Sorgen, Fragen, Ungewissheiten. Doch das ist keine Müllhalde, Yvonne „gräbt zugeschüttete Kreativität wieder aus“. Dazu gehört – wie in Schweina – zum Beispiel die Frage: „Was würden Sie im Heimatort gern bauen (lassen)“ und die Aufforderung, das mal zu modellieren.

Aus Lausnitz in Südostthüringen kam Stefan Mömkes. Sein Projekt „Rauhbank“ wendet sich besonders an Geflüchtete unter 30 Jahren. Sie lernen mit der Holzbearbeitung, Gärtnerei und Bienenzucht auch etwas über die hiesige Arbeitswelt. Beim Festival halfen ihm junge Besucher, die Einzelteile einer hölzernen Bank zu bearbeiten und zusammenzufügen.

57 Vereinsmitglieder

Als Mentorin der Akteure vom Vorstand des inzwischen 57 Mitglieder zählenden „Neuland gewinnen“-Vereins war Babette Scurrell vor Ort, die als freie Mitarbeiterin zum Thünen-Institut für Regionalentwicklung gehört. Von ihr kann man einiges über die menschliche und örtliche Notwendigkeit der hier präsentierten Projekte lernen und die Begeisterung nachvollziehen, wenn sie etwa die unweit von Weimar verortete, rund 60 Erwachsene und Kinder zählende Gemeinschaft „Schloss Tonndorf“ um Thomas Meier beschreibt. In der Rechtsform einer Genossenschaft arbeiten die Mitglieder dort nicht nur an der Erhaltung des historischen Bauwerks; sie produzieren ökologisch Gemüse, Kräuter und Milcherzeugnisse, betreiben Catering und ein Café, verfolgen pädagogische Ziele – und praktizieren ein achtungsvolles Gemeinschaftsleben. Rat geben und einholen wurde auf dem Festival großgeschrieben. So waren die „Trabant- und IFA-Freunde Bad Salzungen e.V.“ nicht nur angereist, um eine kleine Auswahl ihrer Trabbis und Wartburgs zu präsentieren, sondern sie wollten auch praktisch mit den Schweinaer Schraubern in Austausch treten. In einen größeren Rahmen der Zusammenarbeit führte der Vortrag von Christoff Gäbler, der den in Augsburg ansässigen Verbund offener Werkstätten vorstellte und dessen Unterstützung anbot. Nachhaltigkeit war eines der Themen in dem von Babette Scurrell moderierten Gespräch von Landrat Reinhard Krebs (CDU) mit dem Landwirt Florian Andersek aus Burla und dem Gärtner Hendrick Noßmann aus Fernbreitenbach.

Über lebhaftes Interesse freute sich Vorstand Kersten Roselt von der EnergieWerkStadt eG, der mit einer kleinen Abordnung aus Jena gekommen war. Die Anfragen und Informationen der Bürger sowie eine Umfrage mit Unterstützung der Stadt Bad Liebenstein sollen mithelfen, bis Jahresende ein „integriertes energetisches Entwicklungskonzept für Schweina“ zu erstellen. Ermitteln wollen die Energieplaner solche Potenziale wie Erdwärme; laut Kersten Roselt werden Schweinaer Besonderheiten wie die Industriebrachen im innerörtlichen Bereich eine wichtige Rolle spielen. Die Aufgeschlossenheit der Einheimischen während des Festivals dürfte eine Ermutigung gewesen sein.

Ein solches Event ohne Kultur? Halbe Sache! Dafür stand zunächst Adetayo „Tutipsy“ Manuwa. Der gebürtige Nigerianer lebt und studiert in Dessau und hat mit seinem „One Community Project“ Senioren, Studierende und Kinder aus unterschiedlichsten Teilen der Welt vereint. Mit seinen beiden Freunden aus Nigeria und Malaysia lud er zum Mitmachkonzert in die Schrauberwerkstatt ein – das reichte vom „Horch, was kommt von draußen rein“ bis zum Pop. Der Schriftsteller Landolf Scherzer hat von Herbst 1991 bis Frühjahr 1992 im russischen Kaluga gelebt, von dort diverse Reportagereisen unternommen und seine Erlebnisse und Eindrücke in dem Buch „Am Sarg der Sojus“ verarbeitet. Daraus las er vor und kam mit dem Publikum ins Gespräch. Mit der schwäbischen Gruppe „UnderCoverCouchgesang“ und DJ Roland aus Leimbach ging es schließlich in die Nacht.

Einziger Neuland-Standort

Der Fröbelort ist der einzige Neuland-Standort in West- und Nordthüringen. Möglich gemacht hat das Vaiko Weyh. Er hat Neuland betreten und die leer stehende Schlosserei der früheren Pfeifen-und-Holz-Fabrik in der Markgasse 2 zum Ort der Simson Schrauberwerkstatt gemacht. Das war kurz vor der Pandemie und mit der folgte gleich eine schwere Zeit. Aber es hat sich dennoch ein Stamm etabliert – hauptsächlich junge Leute, ältere werden auch nicht abgewiesen. Simsonmopeds von den ersten Baureihen bis zu den späten, heute teuer gehandelte Modelle, stehen im Mittelpunkt. Schließlich heißt es bei Wikipedia: „Mit über 1,6 Millionen produzierten Fahrzeugen ist die S 50/S 51-Reihe das meistgebaute Kleinkraftrad Deutschlands.“ Es darf aber auch mal eine Touren- oder Sport-AWO aus der Suhler Zweiradschmiede sein.

Der Knackpunkt an den Simsonfahrzeugen ist: An den Dingern können die jungen Schrauber einen ganzen Kosmos lernen. Der Motor, der ganze Aufbau, Fahrzeugelektrik und Lackierung, selbst das Design sind Gegenstand des Interesses. Und des Selbst-Handanlegens, denn darum geht es auch: sinnvolle, zielgerichtete Arbeit, bei der man sich mal schmutzig machen kann und die ein sicht- und durchschaubares Ergebnis hervorbringt. Aber da werkeln keine Maschinen; man tauscht sich aus, bringt seine Probleme mit (manchem kann geholfen werden), und eine Flasche Bier wird ebenso wenig stehen gelassen.

Sozialarbeit ist das schon, aber auch ein Dienst am Arbeitsmarkt, ein Nest für Heimatgefühl, und bei allen Mühen: Es funktioniert, findet Vaiko Weyh.

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