Schutz vor Vogelgrippe Ist Deutschland auf eine Vogelgrippe-Pandemie vorbereitet?

Markus Brauer/

Virologen sehen das Vogelgrippevirus H5N1 als potenziellen Pandemie-Kandidaten. Was das für Deutschland bedeutet und warum Experten glauben, dass das Land besser vorbereitet sei als bei Corona.

 
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Experten halten den Befall von Rindern durch H5N1 für besorgniserregend, weil sich das Virus in einer großen Population von Säugetieren vermehrt, die vom Menschen genutzt werden. Foto: Imago/Bihlmayerfotografie

Spätestens seit Corona ist Pandemie zu einem Reizwort geworden. Entsprechend hoch ist derzeit die Aufmerksamkeit für das momentan kursierende Vogelgrippevirus H5N1, das Virologe Christian Drosten und andere Experten als einen potenziellen Pandemie-Kandidaten sehen.

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Im Falle eines Ausbruchs bei Menschen wäre Deutschland aber wahrscheinlich deutlich besser vorbereitet als bei Corona. Ein Überblick: 

Wieso sprechen derzeit alle über Vogelgrippe?

Das Virus H5N1 befällt seit Jahrzehnten verstärkt Vögel – zunächst in Asien, inzwischen nahezu weltweit. Auch Säugetiere erkrankten daran. Seit einigen Jahren breitet sich eine besondere Gruppe von H5N1-Viren aus, die sogenannte Klade 2.3.4.4b, mit der sich in den USA auch zahlreiche Rinder angesteckt haben.

Rinder mit H5N1-Infektion gab es bis dato nicht. Wie die Übertragung vom Wildvogel auf eine Kuh ablief, ist noch unklar. Sicher ist, dass sich inzwischen auch Menschen bei den Rindern angesteckt haben. Vier Fälle wurden laut der US-Gesundheitsbehörde CDC bis Mitte des Jahres im Kontext des Ausbruchs in US-Milchviehhaltungen erfasst.

Was bedeutet das für Deutschland?

Für Menschen in Deutschland besteht dem Infektiologen Leif Erik Sander von der Berliner Charité zufolge derzeit kein Grund zur Sorge. Bisher sind H5N1-infizierte Rinder nur in den USA registriert worden.

In Deutschland wurde der Erreger weder bei Kühen noch in Milch nachgewiesen. Bei den infizierten Menschen in den USA verliefen die Infektionen zudem bislang recht milde. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt das Risiko für die öffentliche Gesundheit der Allgemeinbevölkerung als gering ein.

Trotzdem hält Sander den Befall von Rindern für besorgniserregend, weil sich das Virus in einer großen Population von Säugetieren vermehre, die vom Menschen genutzt würden. Eine der größten Sorgen sei, dass sich das Virus weiter anpasst.

Influenza-Virus Foto: dpa-infografik

Gibt es Impfstoffe?

Die Impfstoff-Situation ist laut Sander eine ganz andere als bei Corona, wo ein Prototyp erst hergestellt werden musste. Für eine ganze Reihe von Unternehmen ist die Entwicklung von Impfstoffen gegen neue Grippevirenstämme Routine, weil sie das zweimal jährlich auch für die saisonalen Grippeimpfstoffe machen, wie ein Sprecher des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) erklärt.

Nötig ist je einer für die Süd- und die Nordhalbkugel der Erde. Das Vogelgrippe-Virus H5N1 ist wie die saisonale Grippe ein Influenza-A-Virus.

Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts sind in der Europäischen Union mehrere H5N1-Impfstoffe zugelassen. Diese würden entweder mithilfe von Hühnereiern oder durch Vermehrung der Viren auf Zellkultur produziert, so wie die saisonalen Influenza-Impfstoffe auch.

Das Logo des Biotechnologieunternehmens Curevac, aufgenommen vor dem Firmensitz in Tübingen. Curevac entwickelt Impfstoffe auf Basis der mRNA Technologie. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

Wie schnell wäre ein Impfstoff verfügbar?

Im Fall einer Vogelgrippe-Pandemie könnten Impfstoffe für Menschen in Deutschland rasch zur Verfügung stehen, ist Sander überzeugt. „Wir haben Impfstoffe, die zugelassen sind, die in dem Moment, in dem ein Virus eine Pandemie auslöst, sehr schnell angepasst werden könnten.“

Es gebe präpandemische Impfstoffe oder Musterimpfstoffe, die quasi schon fertig, aber noch nicht an die neue Klade von H5N1-Viren angepasst seien. Diese Anpassung könne aber schnell erfolgen, ist der Charité-Professor überzeugt.

Für Rinder müssten Impfstoffe komplett neu getestet werden, bislang gebe es keine. „Das sollte jetzt geschehen.“ Theoretisch könne man für Kuh und Mensch denselben Impfstoff verwenden, erläutert Sander. Allerdings gebe es in der Regel unterschiedliche Hersteller für human- und veterinärmedizinische Impfstoffe.

Eine Frau lässt sich mit dem saisonalen Wirkstoff gegen die Grippe impfen. Foto: dpa/Robert Michael

Was gibt es für neue Entwicklungen?

Derzeit entwickeln nach VFA-Angaben eine Reihe von Unternehmen neuartige Grippeimpfstoffe auf mRNA-Basis, eine Technologie, die zum Teil auch bei Covid-19-Impfstoffen zum Einsatz kam. Dazu zählen der US-Konzern Moderna und das Tübinger Biotech-Unternehmen Curevac in Zusammenarbeit mit dem Biopharma-Unternehmen GSK.

Möglichst zeitnah soll die zweite Phase der klinischen Erprobung des Vogelgrippe-Impfstoffes starten, teilt Curevac-Sprecher Patrick Perez mit. Die weitere Entwicklung werde von GSK übernommen. Für eine Zulassung sind gewöhnlich drei klinische Phasen nötig.

Ein Warnschild zur Geflügelpest hängt bei einer Tierseuchenübung. Foto: dpa/Christoph Reichwein

Was ist ein päpandemischer Impfstoff?

Es handle sich um einen präpandemischen Impfstoff, erklärt Perez. Das Prinzip beruhe darauf, vor einem möglichen Ausbruch bereits einen Impfstoff so weit zu entwickeln, dass er im tatsächlichen Fall einer Pandemie schnell zugelassen und verfügbar gemacht werden könne. „Das bietet den Vorteil, im Fall einer Pandemie sehr schnell reagieren zu können, ohne einen Impfstoff zuzulassen, vorzuproduzieren und zu lagern, wenn er vielleicht nie gebraucht wird.“

Der Moderna-Kandidat befindet sich laut Unternehmen ebenfalls in der klinischen Untersuchung. „Wir erwarten erste vorläufige Ergebnisse aus diesen Studien im Laufe des Jahres. Wenn diese Ergebnisse positiv sind, wird der Impfstoffkandidat in die Phase-3-Entwicklung übergehen.“

Wäre eine Impfung jetzt schon sinnvoll?

„Momentan gibt es noch keine Veranlassung, Menschen aktiv zu impfen“, betont Sander. „Es geht nicht darum, die Sorge zu verbreiten, dass eine Pandemie unmittelbar bevorsteht. Man sollte aber alles machen, um vorbereitet zu sein.“

Für wen eine Impfung infrage kommt, hänge ganz vom Szenario ab, so Sander weiter. Wenn es in Deutschland größere Ausbrüche bei Nutztieren gebe, könnte man überlegen die Mitarbeiter der Betriebe vorsorglich zu impfen. Aus seiner Sicht wäre es vor allem interessant, Impfstoffe für Tiere zu haben.

Info: Vogelgrippe Virus H5N1

Was ruft Vogelgrippe hervor?
Die Vogelgrippe oder Aviäre Influenza wird ebenso wie die Grippe beim Menschen durch Influenza-A-Viren hervorgerufen, allerdings durch diverse andere Subtypen. Derzeit grassiert die größte je dokumentierte Vogelgrippewelle, die sich über fast die gesamte Erde erstreckt und auch Europa betrifft. Der Erreger befällt vor allem Vögel, wurde aber auch bei vielen Säugetieren gefunden, darunter Katzen, Bären und Robben.

Um was für ein Virus geht es?
H5N1 ist ein Influenza-A-Virus wie die beim Menschen kursierenden Erreger der saisonalen Grippe. H und N bezeichnen zwei Eiweiße der Virushülle: Hämagglutinin und Neuraminidase. Sie kommen jeweils in verschiedenen Subtypen vor (H1 bis H16 und N1 bis N9). Der Name H5N1 bedeutet also die Kombination der Eiweiße H5 und N1 auf der Oberfläche der Variante.

Seit wann ist H5N1 aktiv?
Seit 1997 werden verstärkt auf H5N1 zurückgehende Ausbrüche erfasst. Seit 2016 breitet sich eine Untervariante des Erregers aus – die sogenannte Klade 2.3.4.4b. Folge waren verheerende Vogelgrippe-Ausbrüche in inzwischen fast allen Teilen der Welt bei Wildvögeln, auch Geflügel und seltener Säugetiere wie Meeressäuger, Nerze, Füchse und Bären waren betroffen. Eine Klade (von altgriechisch: kládos, Zweig) – auch Monophylum, monophyletische Gruppe oder geschlossene Abstammungsgemeinschaft genannt – ist in der Biologie eine systematische Einheit, die den letzten gemeinsamen Vorfahren und alle seine Nachfahren enthält.

Wie gefährlich ist das H5N1-Virus für Menschen?
Menschliche Infektionen treten nur vereinzelt auf. Die Symptome reichen von Augen- oder Atemwegsinfektionen bis hin zu schweren Erkrankungen wie Lungenentzündungen, die zum Tod führen können.„Auf der Grundlage der verfügbaren Informationen schätzt die WHO das derzeitige Risiko für die Allgemeinbevölkerung, das von diesem Virus ausgeht, als gering ein“, teilte die WHO mit.

Was würde bei einer neuen Pandemie geschehen?
Laut einer Analyse der unabhängigen Beobachtungsstelle Gesundheits-Krisenvorsorge (Global Preparedness Monitoring Board, GPMB) ist die Welt nur unzureichend auf neue Pandemien vorbereitet. Im Zuge der Corona-Pandemie sei einiges getan worden, hält die GPMB fest. Aber manche Länder hätten ihre Vorkehrungen, um auf ähnliche Krisen schnell reagieren zu können, wieder zurückgefahren und in anderen Staaten gebe es kaum Fortschritte.