Aber Hasse hat Bedenken, weil bei der Nutzung von Youtube immer auch Daten in die USA abfließen. Und deshalb könne von Schülern nicht verlangt werden, auf ihren privaten Endgeräten Videos bei Youtube als Hausaufgabe anzusehen, argumentiert Hasse.
Für Hagemann brachte Hasses Ansage vor Ostern das Fass zum Überlaufen. Er schrieb eine Mail an diese Zeitung, machte seinem Ärger Luft und fragte, was denn noch vom digitalen Unterricht bleibe, wenn Hasse immer alles verbiete.
Einige Tage später, am Telefon, ist sein Ärger schon wieder verflogen, doch seine grundsätzliche Kritik bleibt. „Wenn wir Youtube nicht mehr einsetzen dürfen, dann bleibt vom digitalen Unterricht nicht mehr viel übrig“, sagte Hagemann. Die Datenschutzbedenken versteht er durchaus. Hagemann weiß zudem, wovon er dabei spricht. Er ist Administrator der Schulcloud. Ihm ist bewusst, dass das amerikanische Portal nur eine Krücke sein kann, ein Behelf für die Übergangszeit, bis die Digitalisierung an der Schule weiter ist als sie es aktuell ist.
Hasses Kommunikation wirke in dieser Situation demotivierend. Es entstünde der Eindruck, dass der Datenschutzbeauftragte immer nur sage, was nicht geht. „Viele junge Lehrer haben in den vergangenen Monaten versucht, einen möglichst digitalen Unterricht zu machen. Gerade Kollegen, die frisch von der Uni kommen, bekommen dort gezeigt, dass sie Youtube selbstverständlich einsetzen sollen“, berichtet Hagemann. Ansagen wie die von Hasse wirkten dann verwirrend. Zumal Kollegen, die aus anderen Bundesländern kämen, es dort auch anders erlebt hätten.
Dass inzwischen überhaupt über den Einsatz von Videos im Distanzunterricht gesprochen wird, das ist für Hagemann ein riesiger Schritt nach vorn in der Pandemie. „Die Schulcloud ist toll, keine Frage, aber sie war im vergangenen Jahr eben noch im Rohbau. Bis heute können wir viele Dinge gar nicht nutzen“, schildert er. Das mache den Einsatz von Notlösungen unumgänglich.
Im vergangenen Frühjahr habe der Fernunterricht an den meisten Schulen noch so ausgesehen: Montags verschicken die Lehrer Arbeitsblätter per Mail an ihre Schüler oder diese mussten sie sich in der Schule abholen. Freitags gingen die bearbeiteten Blätter zurück an die Lehrer, die diese dann kontrollierten.
Gerade in den ersten Wochen sei der Online-Unterricht im vergangenen Jahr eher eine Belastung als ein Segen gewesen. „Für alle Seiten“, sagt Hagemann. „Es fiel sämtliche Begleitung der Schüler durch uns Lehrer weg, von einem Tag auf den anderen. Es blieb alles an den Eltern hängen.“ Nicht selten hätten Kinder tagsüber alleine mit den unzulänglichen technischen Möglichkeiten gekämpft. Abends, wenn die Eltern dann von der Arbeit kamen, musste dann noch gemeinsam die Schule nachgeholt werden. das war für alle sehr frustrierend“, berichtet Hagemann.
Im Laufe des Jahres sei das durch die Weiterentwicklung der Schulcloud etwas besser geworden, doch die persönliche Interaktion zwischen Schülern und Lehrern im Präsenzunterricht könne auch der beste digitale Fernunterricht nicht ersetzen.
„Was fehlt, ist die Rückkopplung“, sagt Hagemann. Er habe in diesem Schuljahr zwar in etwa den Stoff vermittelt, der geplant gewesen sei. „Aber ich habe im Distanzunterricht kein Gefühlt dafür, was auch wirklich bei den Schülern hängen geblieben ist.“ Noch immer sei es so, dass die Schüler ihr Mikrofon und ihre Kamera während des Videounterrichts ausschalten, damit das Bild weniger ruckelt. „Dadurch kann ich aber überhaupt nicht sehen, wer dem Unterricht wirklich folgt oder wer mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist. Im Klassenraum bekomme ich das mit“, berichtet Hagemann.
Er hat sich inzwischen so seine Tricks angeeignet. „Ich spreche Schüler überraschend an. Wenn es dann nicht nur Sekunden, sondern Minuten dauert, bis Kamera und Mikrofon angehen, dann war wohl jemand gerade abgelenkt.“
In dieser angespannten Situation sei es daher wenig hilfreich, wenn durch den Datenschützer der Eindruck entstehe, er wolle alles verbieten. Zumal die Lehrer nach Alternativen gesucht hatten. „Als die Videokonferenzen über die Schulcloud noch nicht funktionierten, wollten wir Alternativen nutzen. Unter anderem eine Lösung der Technischen Universität Ilmenau, mit Servern in Deutschland. Doch auch das wurde uns untersagt“, berichtet Hagemann.
Er würde sich vom Datenschutzbeauftragten eine offenere, lösungsorientiertere Kommunikation wünschen. Hasse hat im Interview mit dieser Zeitung jüngst berichtet, dass es diese doch gebe. Gemeinsam mit dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung (Thillm) biete er regelmäßig Online-Diskussionen zu Datenschutz und Schule an. Bei Tino Hagemann jedoch sind diese Angebote noch nicht angekommen. Und er dürfte kein Einzelfall sein. Ein weiteres Beispiel dafür, dass digitale Kommunikation rund um das Thema Schule in Zeiten der Pandemie noch nicht wirklich rund läuft.