Schmalkalden Inklusionstag auf dem Altmarkt

Annett Recknagel

Eine Mauer aus bemalten Pappsteinen wurde zum Schmalkalder Inklusionstag auf dem Altmarkterrichtet – Schüler von Bentheim- und Martin-Luther-Schule hatten die Steine beschriftet.

 
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„Die grüne Ampelphase reicht nicht aus, um von einer Straßenseite auf die andere zu gelangen“, bemängeln die Mädchen und Jungen der Tagesschulklasse 4 der Bentheimschule. Gehört ein Rollstuhlfahrer zur Gruppe, werde es noch schwieriger. Treppen und Stufen vor den Geschäften kritisierten die Kinder auch. In der Haindorfsgasse, kurz vor dem Zebrastreifen, stünden derzeit Sperren, die vermutlich das Parken von Autos verhindern sollen. Für Sehbeeinträchtigte seien sie eine große Stolpergefahr. Die Kinder schlugen vor, sie kontrastreicher zu gestalten. Im Bereich der Gaststätte Barolo sei es zudem sehr schwierig, die Straße zu überqueren. Der gegenüberliegende Bäcker sei ein beliebtes Anlaufziel – auch der Bentheimschüler. All diese Sachen – und dafür waren die Kinder sehr dankbar – durften sie auf Steine aus Pappe bringen. Entsprechende mit den Erziehern gemeinsam verfasste Texte wurden draufgeklebt, Bilder dazu gemalt. Die Pappsteine wanderten in Tragetaschen und ab ging es zum Altmarkt.

Zwei Tagesschulklassen brachten zwölf Steine mit, die den Grundstock für eine Mauer bildeten, die auf dem Marktplatz errichtet wurde. Anlass war der europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Initiiert wurde er 1992 von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland. Ziel ist es, auf die Situation von Menschen mit Behinderungen aufmerksam zu machen und sich für eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft für alle Menschen einzusetzen. In Schmalkalden finden anlässlich dieses Tages seit 2018 Aktionstage statt. Zum jüngsten griffen die Initiatoren des Vereins zur sozialen und beruflichen Integration (VSBI) das Motto der „Aktion Mensch“ auf. Es lautete: „Tempo machen für Inklusion – barrierefrei zum Ziel“. Im Vorfeld hatte man dazu um die 100 Pappkartons an Martin-Luther-Schule, Lebenshilfe Südthüringen und Bentheimschule verschickt, um daraus zum Inklusionstag eine Mauer zu bauen und so auf Missstände hinzuweisen. Die Kinder hatten sich die größte Mühe gegeben. Um die Mittagszeit brachten die Martin-Luther-Schüler ihre beschrifteten Kartons, sodass eine große Mauer entstand. Die steht derzeit im Büro der Teilhabeberatung im Eichelbach. „Wir haben sie dort extra noch einmal aufgebaut“, erklärte Wolfgang Leffler vom Blinden- und Sehbehindertenverband.

Der Inklusionstag wurde von den Passanten sehr gut wahrgenommen. Auch Bürgermeister Thomas Kaminski bekundete großes Interesse und bat die Organisatoren, ihm die Aufschriften der Pappsteine umgehend zuzuschicken. „Wir wollen Barrieren abbauen“, formulierte es Roger Schmidtchen, Vorsitzender des VSBI und meinte einschließlich die möglichen Barrieren in den Köpfen von Menschen. Zudem gebe es nicht nur Hindernisse für Rollstuhlfahrer, sondern auch viele bürokratische Hürden, die Angehörigen von Behinderten und natürlich behinderten Menschen selbst das Leben schwermachten. Menschen mit psychischen Erkrankungen beispielsweise hätten andere Barrieren zu bewältigen als Sehschwache.

Und jede Menge unsichtbarer Barrieren gebe es obendrein. Wegen ungelöster Probleme auf Grund von bürokratischen Hürden würde mitunter manch ein Mensch allein zu Hause versauern.

Für Barrierefreiheit zu kämpfen sei ein ständiger Prozess, der auf gegenseitiger Rücksichtnahme basiere, so Schmidtchen. In Schmalkalden habe man diesbezüglich schon Etliches erreicht. Wenn Neubauten im öffentlichen Bereich anstünden, sei Barrierefreiheit immer ein Thema und werde im Blick behalten. Für Michael Sommer, der wegen einer Erkrankung seit einiger Zeit mit dem Rollstuhl unterwegs ist, gestalten sich die Abschrägungen im städtischen Bereich als Tücken. Im Bereich des City Centers sei es sehr schwierig mit dem Rollstuhl die Straßenseite zu wechseln. Zudem habe er festgestellt, dass sich die Behindertentoilette mit dem internationalen Schließsystem nicht öffnen ließe. Er habe sich extra solch einen Schlüssel, der behinderten Menschen kostenlosen Zugang versichere, besorgt. Innerhalb des VSDI kennt man das Problem. Die Toilette ist mit einem Wickelraum für Babys und Kleinkinder kombiniert und dafür werden 50 Cent verlangt. Das Schließsystem sei so programmiert und damit müssten dann behinderte Menschen für die Toilettenbenutzung auch 50 Cent bezahlen.

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