Reaktionen Echo auf angekündigte Schließung

2022 streikte die Belegschaft von Marelli Automotive Lighting in Brotterode und forderte ein Zukunftskonzept. Foto/Archiv: Michael Lauerwald Foto:  

Automotive Lighting Brotterode soll offenbar zum 31. März 2024 definitiv geschlossen werden. Die Belegschaft ist am Dienstag informiert worden. Land, Kreis und Stadt reagieren entsetzt, wollen das Gespräch mit dem Unternehmen suchen.

 
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Von Susann Schönewald

Brotterode Seit Monaten fordern Belegschaft und Gewerkschaft klare Aussagen des Managements, wie es für die rund 650 Beschäftigten und 250 Leiharbeiter bei Marelli Automotiv Lighting weitergehen soll. Bereits 2021 hatte die IG Metall gewarnt, dass bei dem Scheinwerfer-Hersteller das Licht ausgehen könnte. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich ab, dass die Aufträge zeitnah auslaufen und die Frage offen ist, wie das Werk in Brotterode danach ausgelastet sein wird. Wenn der Standort in Frage steht, warnte die Gewerkschaft, hätte das bittere Auswirkungen auf die Region.

Mitte März dieses Jahres hatte die IG Metall den Arbeitgeber Marelli Automotive Lighting in Brotterode zu Verhandlungen über den Abschluss eines Zukunfts- und Sozialtarifvertrages aufgefordert. In den ersten beiden Verhandlungsrunden habe es keinerlei Fortschritte gegeben, so die Gewerkschaft in einer Mitteilung am Dienstag. Die Beschäftigten hatten daraufhin zeitweise die Arbeit niedergelegt, um auf die angespannte Situation aufmerksam zu machen.

Zur Erinnerung: In einer ersten Information an den Betriebsrat am 31. Januar dieses Jahres war die Rede davon, dass die Belegschaft bis Ende 2025 auf 125 Beschäftigte reduziert werden soll. Bei einer Versammlung der IG Metall Anfang März in Barchfeld war auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow anwesend. Er sprach den Menschen Mut zu, die Pläne des Unternehmens nicht einfach hinzunehmen. Er hatte sich zuletzt an das globale Management gewandt, konkrete Antworten gab es nicht. Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee lagen keinerlei Informationen vor.

In der dritten Verhandlungsrunde am 8. Mai legte die Arbeitgeberseite dann die Karten auf den Tisch: Der gesamte Standort soll bereits zum 31. März 2024 geschlossen werden. Uwe Lauerbach, 2. Bevollmächtigter der IG Metall Suhl-Sonneberg spricht von einem „Schlag ins Gesicht“. „Es ist ein Skandal was hier passiert.“ Mit dieser zweiten Option habe keiner gerechnet, sagte der Gewerkschafter unserer Zeitung. Er wisse diese Aussage auch nicht einzuordnen beziehungsweise einzuschätzen. „Ich sehe kein Konzept dahinter“, erklärte Laubach. Weder bei der scheibchenweise Reduzierung der Belegschaft noch bei der Schließung des Werks.

Die IG Metall und der Betriebsrat werden jetzt über das weitere Vorgehen beraten. Vor dem Hintergrund des Kahlschlags in Brotterode könne sich das Unternehmen auf massive Gegenwehr einstellen, heißt es seitens der Gewerkschaft.

In einer Infoveranstaltung des Unternehmens im Betrieb am 9. Mai wurden die Beschäftigten über die vorgezogen geplante Werksschließung in Brotterode informiert. Nachvollziehbar explodierten die Emotionen der Betroffenen. „Die Wut ist groß, der Schock sitzt tief“, beschreibt Uwe Laubach die Emotionen der Frauen und Männer. „Plötzlich Broterklärt das Management von Marelli die komplette Werksschließung für März 2024. Eine solche Frechheit fordert uns jetzt zu einer Zuspitzung der Tarifverhandlungen heraus. Der Arbeitgeber ist kurz davor, konstruktive Verhandlungen unmöglich zu machen. Wir fordern Marelli auf, mit der IG Metall und den Beschäftigten tragfähige Lösungen zu entwickeln“, verkündet Uwe Laubach.

Über 900 Beschäftigte blicken nun in eine ungewisse Zukunft. Aber nicht nur deren Arbeitsplätze hängen an einem seidenen Faden, sondern auch viele Zulieferbetriebe aus der Umgebung und einige Lieferanten für Essen zur Pausenverpflegung.

Gefühl von Ohnmacht

Seit die Meldung raus ist, klingelt bei Kay Goßmann, Bürgermeister in Brotterode-Trusetal, ständig das Telefon. Die Ereignisse überstürzen sich, sagte ein fassungsloser Verwaltungschef unserer Zeitung. Mit dieser Hiobsbotschaft habe er nicht gerechnet. Zumal der Stadtrat erst in der vergangenen Woche den Antrag des Unternehmens zum Bau einer Photovoltaik-Anlage genehmigt hatte, verbunden mit dem Abschluss eines städtebaulichen Vertrages. „Ich fühle mich veralbert“, äußerte sich Goßmann bestürzt über die Art und Weise des Umgangs miteinander. Der Landkreis, die Stadt hätten in den vergangenen Jahren für gute Bedingungen gesorgt. Bis zuletzt. Ohnmächtig, hilflos, wütend, aber trotzdem kämpferisch: So beschreibt der Bürgermeister seine aktuelle Gefühlslage. Jetzt denkt er ganz besonders an die Zukunft von hunderten Existenzen und Familien in der Region. Das Problem liegt seiner Meinung nach in der Globalisierung. „Wir haben keine Handhabe.“ Das ist in anderen kleineren Betrieben in der Region anders, da sitzt der Chef mit der Belegschaft gemeinsam am Mittagstisch. Anders als bei Mirelli, der seit 2019 zur japanischen Calsonic Kansei Corporation gehört.

Das Gespräch suchen

Landrätin Peggy Greiser (parteilos) will nach den kolportierten Schließungsplänen zusammen mit Wirtschaftsstaatsekretär Carsten Feller (SPD) und Bürgermeister Kay Goßmann das Gespräch mit der Unternehmensleitung und der Gewerkschaft IG Metall suchen. „Noch fehlen uns offizielle Informationen über das Ob, das Wie und das Warum“, sagt Greiser. Personalabbaupläne und eine schwieriger werdende Auftragslage, insbesondere im Premiumsegment, hätten sich zuletzt abgezeichnet. „Dabei hatten wir natürlich die Hoffnung, dass die Kürzungen weniger drastisch ausfielen, als zunächst im Raum stand. Dass nun offenbar über eine komplette Schließung des Werks am Standort diskutiert werde, sei ein absolutes Schreckensszenario für die Region. „Es handelt sich um einen der größten Industriearbeitgeber in Südthüringen mit hervorragend ausgebildeten Fachkräften, die heute seltener denn je sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da keine standortverträgliche Lösung gibt. Und dafür werden wir uns einsetzen“, so Landrätin Peggy Greiser.

Land weiter zu Gesprächen bereit

„Die Situation bei Automotive Lighting gibt schon seit längerer Zeit viel Grund zur Besorgnis“, reagiert Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) auf die Ankündigung des Unternehmens. Zwar seien seinem Ministerium endgültige Schließungsabsichten aktuell nicht bekannt, eine Reduzierung von Produktionskapazitäten ist seitens des Unternehmens allerdings bereits angekündigt worden. Die Unsicherheit hänge wie ein Damoklesschwert über den Beschäftigten. „Das ist bitter, so geht man mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht um“, erklärt Tiefensee. Er bedauere sehr, dass es dem Unternehmen nach wie vor nicht gelungen ist, den Standort Brotterode zu stabilisieren und in ein ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Natürlich seien die Entwicklungen bei Marelli auch eine Folge des Strukturwandels und des momentan schwierigen konjunkturellen Umfelds für die Automobilindustrie in Deutschland und Europa. Das Land sei bereits seit vielen Monaten mit Marelli über die weitere Standortentwicklung im Gespräch und habe mehrfach konkrete Unterstützungsangebote gemacht. Zuletzt waren Staatssekretär Carsten Feller am 19. Januar und Ministerpräsident Bodo Ramelow am 5. März vor Ort im Unternehmen.

„Wir sind weiterhin überzeugt davon, dass der Standorterhalt grundsätzlich möglich ist – zumal der Bereich Fahrzeugelektrik vom Strukturwandel in der Automobilbranche deutlich weniger betroffen ist“, betont der Wirtschaftsminister. Erfolgreiche Gespräche über die Zukunft des Werks setzen voraus, dass Marelli selbst an Brotterode festhält und auch eine Verlagerung zukunftsfähiger Produkte hierher ins Auge fasst. Hier scheint es mitunter am nötigen Elan des Unternehmens zu fehlen, so Tiefensee. „Als Land sind wir bereit und haben auch mehrfach zugesagt, alles an Unterstützungsmöglichkeiten zur Standortsicherung in die Waagschale zu werfen, was möglich und sinnvoll ist.“

Ullrich: Werk hat keine Zukunft

Dass Marelli Automotive Lighting das Werk in Brotterode schon im März 2024 komplett schließen könnte, hatte auch Südthüringens FDP-Bundestagsabgeordneter Gerald Ullrich nicht gedacht. Er hätte sich vorstellen können, dass sie eine Entwicklungsabteilung und eine Musterbau/ Kleinserienfertigung aufrechterhalten wird. Aber nicht in dem vorhandenen Gebäudebestand. Dazu bräuchte man nicht das Hauptwerk, sondern man könnte in der Nähe bauen oder mieten. Doch die angekündigte Schließung des gesamten Werkes zeigt, dass es sich nach wie vor nicht rechnet, so Ullrich. Für ihn ist klar: Das Werk in Brotterode hat keine Zukunft. Der FDP-Mann begründet das unter anderem mit der viel zu komplizierten Logistik. Vielleicht wäre es gut gewesen, raus aus Brotterode, hin zur Autobahn zu gehen und dort ein Werk aufzubauen, ähnlich wie in Tschechien. Als unwürdig und zermürbend bezeichnet Ullrich die Hängepartie der Verhandlungen. „Das tut mir für die Betroffenen sehr leid.“ Qualifizierte Arbeitskräfte würden aber auch in der Region gesucht. Daher sei den Betroffenen mehr geholfen, offene Stellen im Umkreis zu besetzen.

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