Frankfurt/Main - Börse - das ist für die meisten Deutschen vor allem ein Ort mit vielen Risiken.
Die Sparzinsen sind quasi abgeschafft, die Aktienmärkte haben einen Lauf. Genug Gründe, Geld an der Börse anzulegen, sollte man meinen. Warum tun viele Menschen das dennoch nicht?
Frankfurt/Main - Börse - das ist für die meisten Deutschen vor allem ein Ort mit vielen Risiken.
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"Ich vertraue den Aktienmärkten nicht", "Ich befürchte Aktien auszuwählen, die schlechter abschneiden als andere", "Ich habe Angst, dass ich (...) einen Großteil meines eingesetzten Vermögens verliere" - in einer Studie nennen Menschen - egal ob jung oder alt - vor allem solche Gründe dafür, warum sie kein Geld in Aktien stecken.
Die auf einer repräsentativen YouGov-Umfrage mit fast 2800 Teilnehmern beruhenden Ausarbeitung von Forschern der Frankfurt School of Finance & Management und der Goethe-Universität Frankfurt ergab jedoch auch: Zwei Drittel der Nicht-Aktienbesitzer meinen, sie hätten weder genug Geld noch ausreichend Kenntnisse, um an der Börse zu investieren. Werden deshalb Risiken von Aktien überschätzt? Oder ist das Risiko tatsächlich so groß wie viele meinen?
"In der Tat sind Risiko und Rendite untrennbar miteinander verknüpft, und wer in Aktien investiert, muss bereit sein, Schwankungen im Vermögensaufbau auszuhalten", schreiben die Autoren der von der Deutschen Börse in Auftrag gegebenen Studie. "Berechnet man das Risiko einer Aktienanlage basierend auf historischen Daten, ist es allerdings schwer erklärbar, warum viele Menschen in Deutschland dieses Risiko komplett scheuen."
Das Deutsche Aktieninstitut rechnet im "Dax-Renditedreieck" vor, dass sich langfristiges Sparen in Aktien in den vergangenen 50 Jahren in der Regel ausgezahlt hat. Selbst, wer im Jahr der Finanzkrise 2008 eingestiegen ist, und die Aktien bis Ende 2018 hielt, erzielte in den zehn Jahren demnach im Schnitt 8,2 Prozent Rendite pro Jahr.
Ungeachtet solcher Statistiken ist Deutschland beim Thema Aktienkultur "ein Entwicklungsland", wie Nicolas Nonnenmacher, Bereichsleiter bei der Deutschen Börse, beklagt. Zahlen des Aktieninstituts zufolge besaßen im Jahr 2018 etwa 10,3 Millionen Bürger in Deutschland, die älter sind als 14 Jahre, Anteilsscheine von Unternehmen oder Aktienfonds. Das ist zwar der höchste Stand seit 2007. Dennoch bleibt Deutschland mit einer Aktionärsquote von gut 16 Prozent meilenweit entfernt von anderen Industrieländern. In den USA etwa, wo der Staat die Altersvorsorge über den Kapitalmarkt stärker fördert, liegt sie bei über 50 Prozent. Auch in Schweden und den Niederlanden haben Aktien ein größeres Gewicht bei Privatanlegern.
Hierzulande verschreckten der Absturz der als "Volksaktie" angepriesenen Telekom-Papiere und das Platzen der New-Economy-Blase am Neuen Markt um die Jahrtausendwende viele Anleger nachhaltig. Auch wer zum Beispiel Aktien deutscher Banken in seinem Portfolio hat, hat seit Jahren wenig Freude damit. "Einige Kleinanleger haben sich an den Aktienmärkten die Finger verbrannt", erinnerte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Anfang Februar 2018. "Das mag teilweise auch an mangelhaften Finanzkenntnissen liegen. Jeder zweite Deutsche sagt bis heute: Von Kapitalmärkten verstehe ich nichts."
Doch weil die Rente alles andere als sicher ist und die Menschen gefordert sind, privat fürs Alter vorzusorgen, sehen viele Experten diese Haltung mit Sorge. Nach Ansicht von Michael Grote, Vizepräsident der Frankfurt School, werden Chancen zum Vermögensaufbau verschenkt. "Die Leute wissen nicht, wie wenig sie wissen müssen", sagt Grote. "Man denkt, man muss ein großer Experte sein, um in den Aktienmarkt zu investieren. Es geht aber viel einfacher."
Grote spielt damit darauf an, dass es mittlerweile etliche relativ kostengünstige Möglichkeiten gibt, breit gestreut und langfristig in Aktien zu investieren - zum Beispiel über Fondssparpläne oder sogenannte ETFs, die einen bestimmten Index wie etwa den deutschen Leitindex Dax abbilden. Ein Problem dabei: "Es gibt so viele Produkte, dass man als Anfänger da ein bisschen überfordert ist", sagt Christine Laudenbach von der Frankfurter Goethe-Universität als Co-Autorin der Studie. Und die Abkürzung "ETF" erschließt für Börsenlaien nicht sofort, was sich dahinter verbirgt.
Die Postbank erkennt zumindest ein vorsichtiges Umdenken: Laut einer aktuellen Umfrage sei die Zahl der Wertpapierbesitzer in Deutschland gestiegen - von 17 Prozent im Jahr 2011 auf aktuell über 30 Prozent. Überwiegend setzen die Privathaushalte in Deutschland ungeachtet der Zinsflaute jedoch weiterhin auf Bargeld und Bankeinlagen, auf die sie bei Bedarf schnell zugreifen können. Nach Bundesbank-Zahlen verfügten die privaten Haushalte Ende Juni 2019 über rund 2520 Milliarden Euro in Form von Bargeld, auf Giro- und Tagesgeldkonten sowie Sparbüchern. In Aktien und sonstigen Anteilsrechten steckten 651,5 Milliarden Euro, weitere 613,8 Milliarden Euro in Fonds.
"Niemand sollte ein Risiko eingehen, das er oder sie nicht eingehen möchte, das ein ungutes Gefühl verursacht oder gar für schlaflose Nächte sorgt", schreiben die von der Deutschen Börse mit der Spurensuche zum "Rätsel der Aktienmarktteilnahme in Deutschland" beauftragten Wissenschaftler. "Doch vielleicht lohnt es sich darüber nachzudenken, ob das Risiko, das mit dem Aktienmarkt verbunden wird, ein überschätztes Risiko ist."