Bei ihm muss es mehr sein. Sonst hätten die einflussreichen Familien Porsche und Piëch den Maschinenbauer nicht an die höchste Stelle des Volkswagen-Konzerns gehievt. Er soll ihn als Nachfolger des genialisch ruppigen Herbert Diess auf stabileren Kurs bringen.
Im Jobsharing mit sich selbst führt der 54-Jährige seit September gleichzeitig VW, den größten, oft als unregierbar bezeichneten Autokonzern Europas, und die Zuffenhausener Sportwagenschmiede Porsche. Ein Kraftakt, dem nicht wenige Branchenexperten keine lange Dauer vorhersagen.
Die „Porschegate“-Misstöne vom Start, als er sich seines guten Kontakts zu Finanzminister Christian Lindner (FDP) rühmte, wurden allerdings bald von Erfolgsmeldungen übertönt. Denn an der Frankfurter Börse ereignete sich „Ein Wunder namens Porsche“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb.
Während andere Werte schwächelten, legte die Aktie seit dem Börsengang um rund 30 Prozent zu. Blumes Bonus dafür kann sich in den kommenden Jahren auf bis zu 4,725 Millionen Euro auswachsen. Ganz netter Verdienst eigentlich, auch wenn es darauf nicht ankommt. (MAS)
Boris Palmer: Für ihn zählt nur noch das Klima
Wenn man dem Tübinger OB Boris Palmer zuhört, wie er beseelt vom weihnachtlichen Trubel auf seinem Marktplatz das Jahr Revue passieren lässt, käme man nie auf die Idee, dass seine berufliche Karriere und der Verlust der parteipolitischen Heimat zur Disposition standen.
Die weitere Mitgliedschaft bei den Grünen darf mit dem Kompromiss, diese bis Ende 2023 ruhen zu lassen, als gesichert gelten – falls es schneller gehe, sei es ihm auch recht, so Palmer. Die OB-Wahl hat er quasi parteilos mit überschaubarem Aufwand gewonnen.
Der Verweis auf die Erfolge – allein zwischen 2016 und 2019 sank der CO2-Ausstoß pro Kopf um 40 Prozent – machte der absoluten Mehrheit der Wähler mehr Lust auf Radvorrangrouten, auf den Ausbau von Photovoltaik, des Wärmenetzes und auf die Elektrifizierung des Busbestands.
Debattenbeiträge in den sozialen Medien hat er reduziert; das spart Zeit und Nerven. Wenn er postet, zuletzt zum Mord einer Schülerin durch einen Asylbewerber, kann einmal schon mehr als genug sein. Wichtig ist ihm der Kampf für mehr Klimaschutz – „die Aufgabe des Jahrhunderts“.
Die Kritik von SUV-Fahrern, die er mit dem Gemeinderat durch hohe Parkgebühren zu missionieren versucht, sind mehr Anreiz als Ärgernis. Dass er nachts die Laternen brennen lassen muss, damit auch ungenutzte Zebrastreifen beleuchtet sind oder ihm per Gericht seine selbst gestrickte (erfolgreiche) Verpackungssteuer untersagt wird, sind deshalb keine Nieder-, sondern Steilvorlagen, die er dann live bei Lanz verwandelt. Notfalls nervt er den Parteifreund Habeck. Der schaut demnächst bei ihm vorbei. (JON)
Robert Habeck: Der Philosoph als Krisenmanager
Der Weg vom gefeierten Star zu einer Person, mit der manche sogar Mitleid empfinden, kann kurz sein. Robert Habeck, der promovierte Philosoph, Buchautor und grüne Vordenker, ist weit über seine Partei hinaus beliebt: als einer, der nicht so tut, als habe er für alles eine Lösung, und der die Menschen an seinen Zweifeln teilhaben lässt.
Nur wenige Wochen nach seinem Start als Wirtschafts- und Klimaminister fiel Russland in die Ukraine ein, und Habeck stand voll in der Verantwortung für die Energieversorgung eines Industrielands. Da ist eher Entschlossenheit gefragt.
Er verneigte sich tief vor dem katarischen Handelsminister, damit Deutschland Flüssiggas bekommt, das keineswegs klimaneutral ist. Und als klar wurde, wie schwierig der Winter werden könnte, stellte er sogar einen Grundpfeiler grüner Politik infrage: den Atomausstieg zum Jahresende.
Doch was er als Lösung präsentierte, erschien den Atomgegnern gleichermaßen unzumutbar wie denen, die kompromissloses Krisenmanagement erwarten. Zwei der drei Kraftwerke etwas länger laufen zu lassen – das lässt viele Fragen nach der künftigen Energieversorgung offen. Doch mehr war in der Partei nicht drin, zumal seine Ministerkollegin Annalena Baerbock ihn im Regen stehen ließ – nicht zum ersten Mal nach der Wahl.
Als auch noch die Gaspreisumlage scheiterte, zeigte Habeck Anflüge von Selbstmitleid und klagte – gewiss mit guten Gründen – über die extreme Arbeitsbelastung in seinem Ministerium. Von seiner Souveränität ist in solchen Situationen nicht mehr viel zu sehen.
Sein persönlicher Antrieb, sagt Habeck, lasse sich mit dem Wort „Hoffnung“ beschreiben. Sie bedeute nicht, dass etwas gut ausgehe, sondern dass es „Sinn hat, egal, wie es ausgeht“, zitierte er den einstigen tschechischen Staatspräsidenten Václav Havel. Viele Bürger haben allerdings eine andere Hoffnung: Sie wollen, dass Habecks Handeln nicht nur einen Sinn hat, sondern dass es auch zu einem guten Ende führt. (KÖ)
Sanna Marin: Nordisch cool
Die Finnen sind zu beneiden: um ihre Seen, ihre Zufriedenheit – und ihre coole Ministerpräsidentin. Zu einer Pressekonferenz erschien Sanna Marin in einer Motorradjacke; während sie Finnland auf den Weg in die Nato brachte, hatte sie noch Zeit für ein Rockfestival; und statt in einer Talkshow Phrasen zu dreschen, feierte sie mit Freunden eine Party.
Politiker sind schließlich auch nur Menschen. Zumindest die 36-Jährige. Natürlich folgte auf das Partyvideo ein Aufschrei. Die Empörung ließ aber vor allem ihre Kritiker alt aussehen. Finnlands Justizkanzler Tuomas Pöysti stellte – wenig überraschend – fest, dass Marin weder pflichtvergessen noch gesetzeswidrig gehandelt habe.
Zeigte das Video doch schlicht eine junge Frau, die sich amüsiert. Man stelle sich Saskia Esken, Olaf Scholz, Friedrich Merz oder Ricarda Lang beim Feiern vor. Nein, besser nicht! Corona, Ukraine-Krieg und Inflation sind schlimm genug. Mehr Kopfkino braucht es nicht. Die Finnen sind wirklich zu beneiden: um ihr nordisches Design, ihre Zimtschnecken – und Sanna Marin. (SMR)
Alexandra Popp: Erst Grübeln, dann Gottschalk
Womöglich feierte Alexandra Popp ihren größten Erfolg 2022 auf der Couch. Im November war die Fußball-Nationalspielerin zu Gast bei „Wetten dass . . ?“ – und Thomas Gottschalk musste ihren Namen unfallfrei aussprechen.
Nun ja, was soll daran schwer sein? Nun ja, könnte Giulia Gwinn erwidern, bei mir hat es nicht geklappt. Giulia, ebenfalls Gast der Sendung, war für den Showmaster zunächst Giuliana. So oder so empfanden es die Fußballerinnen als Ehre, auf Deutschlands berühmtester Coach zu sitzen.
Verdient war das allemal. Vor allem für Alexandra Popp. Die hatte schon darüber nachgedacht, ihre Karriere zu beenden – weil sie aufgrund einer Verletzung auch ihre dritte EM zu verpassen drohte. Aber die Stürmerin kämpfte sich zurück und führte das deutsche Team ins Finale. Das verpasste sie dann wegen einer erneuten Blessur, die Enttäuschung nach der Niederlage war groß.
Doch auch ohne Titel haben die Fußballerinnen viel erreicht: Sie haben durch ihre sympathischen und leidenschaftlichen Auftritte ihrem Sport richtig viel Aufmerksamkeit verschafft. Man kennt nun nicht mehr nur Neuer, Kimmich und Müller – sondern auch Frohms, Gwinn und Popp. Das gilt mittlerweile sogar für Thomas (Popp: „Oder soll ich Sven sagen“) Gottschalk. (DIP)
Harry Styles: Pop, den wir 2022 brauchten
Harry Styles ist genau der eklektische Popstar, den man so dringend brauchte: die Musik ist eingängiger roséfarbener Pop, der britische 28-jährige Herr wunderschön anzuschauen und dazu noch genderfluid. Das heißt, er lackiert sich die Fingernägel, trägt Korsagen und Perlenketten. Alles längst keine Aufregung mehr wert. Wie schön!
Sein wunderbarer Song „As it was“ ist der Hit des Jahres, in zwei Filmen spielt er auch noch mit. Das Jahr 2022 ist jenes, in dem der ehemalige Boygroup-Sänger Harry Styles ganz oben angekommen ist. Er spielt eine ausverkaufte Stadiontournee (2023 geht die übrigens auch in Deutschland weiter). Der Journalist Jens Balzer nennt Styles den „Megapopstar der Achtsamkeit“. Und hat damit recht: Die – vor allem weiblichen – Fans lieben ihn für seine absolut untoxische Art. (NJA)
Denis Zipa: Aufstehen gegen den Krieg
Denis Zipa spricht mit leiser Stimme über den Krieg, der zum Himmel schreit. Er spricht leise, aber entschieden: „Alle Ukrainer sind zu 100 Prozent sicher, dass die Ukraine gewinnt. Wir hoffen, dass dies schon bald sein wird – deshalb stehen wir hier.“
Denis Zipa, geboren in Kiew, gelernter Softwareentwickler und Unternehmer in Heilbronn, gehört zu einem Kreis von Ukrainerinnen und Ukrainern, die in regelmäßigen Abständen auf dem Stuttgarter Wilhelmsplatz, dem Karlsplatz oder dem Schlossplatz stehen, um gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu demonstrieren. Sie stehen da im Frühling, im Sommer, im Herbst – und jetzt im Winter.
Zuletzt waren es etwas weniger Demonstranten, auch weil etliche Landsleute in die Ukraine zurückgekehrt seien, sagt Zipa. An seiner Entschlossenheit ändert das nichts. Seit 1995 lebt er in Deutschland; seine Familie war hierher gezogen.
Der 24. Februar 2022 hat für den 36-Jährigen alles verändert. Seitdem wendet er unermüdlich Zeit und Energie auf, um gemeinsam mit anderen Demos zu organisieren und Unterstützung für die Ukraine zu mobilisieren. Dazu gehören auch die Vorbereitungen für den Jahrestag der Invasion. „Das wird lokal und global nicht zu übersehen sein“, sagt er.
Zuvor wird Weihnachten gefeiert, am 25. Dezember, am 6. Januar, dem für orthodoxen Christen zentralen Datum, und dann noch mal am 14. Januar im Bürgerzentrum West, wo sich die ukrainische Community treffen wird.
Aber so richtig feiern? „Weihnachten wird kein unbeschwertes Fest sein“, sagt Zipa. Seit Soldaten von der Front jedoch Videos gepostet hätten, in denen sie ihre Landsleute darum baten, möglichst normal weiterzuleben – und auch zu feiern, gebe es ein Umdenken. „Wofür kämpfen wir denn sonst?“, hätten die Soldaten gefragt.
Denis Zipa kämpft auf seine Weise – er kämpft um anhaltende Aufmerksamkeit für sein Land und die Menschen, für die das Leben spätestens nach den russischen Angriffen auf die Energieversorgung extrem hart und entbehrungsreich sei. Er kämpft und er träumt: „Wir wollen nur in Frieden leben“, sagt er leise, aber unmissverständlich. „Und in Freiheit!“ (JAN)