Rodel-WM Nur noch eine Rechnung offen

Erlösung am Ende einer langen, schweren Reise: Die Lokalmatadoren Toni Eggert und Sascha Benecken bejubeln ihren Sieg im Hauptrennen am Samstag. Foto: Gerhard König/Gerhard König

Toni Eggert und Sascha Benecken liefern beim Heimspiel – und wie. Nachdem sie sich im Sommer noch mit Rücktrittsgedanken getragen haben und nach einem schweren Saisonverlauf nicht zu den Top-Favoriten zählen, gelingt den Lokalmatadoren der Gold-Hattrick.

 
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Sascha Benecken lief den Auslauf der Bahn wie ein Tiger rauf und runter, winkte ins jubelnde Publikum, umarmte so manchen, klatschte hier und da ab und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Sein kongenialer Doppel-Partner Toni Eggert feierte den insgesamt zehnten gemeinsamen WM-Triumph am Samstagvormittag etwa ruhiger. Er suchte zuerst nach seiner Herzdame Eliza Tīruma, schenkte ihr wie schon am Vortag beim Sprint-Erfolg die Siegerblumen und genoss das Bad in der feiernden Menge. Ja, wenn sich eine ganze Sportler-Saison quasi auf zweimal 42 Sekunden verdichtet, dann fällt Ballast ab. Sehr viel Ballast.

„Es ist so schön, nach zwei Jahren ohne Zuschauern diese WM hier so erleben zu dürfen. Viele drücken uns hier vor Ort die Daumen, viele kennen uns persönlich. Das hat uns zusätzliche Energie gegeben. Und hinterher ist man dann jubel-schwanger“, erklärt Sascha Benecken, der jeden seiner Sätze fein formuliert wie ein Poet. Am Sonntag fand die Jubel-Arie ihre Fortsetzung. Dank einer unglaublichen Aufholjagd der beiden Lokalmatadoren, die im Duett als letzte ins Rennen gingen, gewann Deutschland auch die Team-Staffel – bei Traumwetter am Rennsteig und mit winzigen 0,023 Sekunden Vorsprung vor Österreich.

Sascha Benecken, der Untermann des Erfolgsgespanns, hat neben seinen sportlichen Fähigkeiten viele künstlerische Talente. 2008 bei der letzten Titelkämpfen in Oberhof sang er als Jungspund mit „Adrenalin“ noch den WM-Song. „Seither habe ich mir immer vorgestellt, wie es ist, auf der Heim-Bahn Weltmeister zu werden. Und nun ist dieser Kindheitstraum in Erfüllung gegangen.“ Nicht nur im Hauptrennen mit zwei Läufen, sondern auch im Sprint am Freitag und mit der prestigeträchtigen Staffel am Sonntag.

Wer wie Eggert/Benecken bereits achtmal Weltmeister war, für den sind Nummer neun, vielleicht sogar zehn und elf ein Kinderspiel, gerade in der heimischen Eisrinne. Von wegen! Von Heimvorteil konnte angesichts des dreijährigen Bahnumbaus nicht die Rede sein, und auch von der Favoritenrolle nicht. „Nur“ zwei Weltcupsiege standen in diesem Winter für Eggert/Benecken zu Buche, und auch im Training lief es nicht optimal. Hinzu kamen vor allem die Probleme nach der tief greifenden Regeländerung.

Große Hilfe von der FES

Am 30. Juni wurde seitens des Rodelweltverbandes FIL offiziell, was vorher durch die Gerüchteküche waberte: Die Doppel-Schlitten mussten aus Sicherheitsgründen breiter und tiefer werden. „Wir haben zwei Wochen lang gehadert und sogar über Rücktritt nachgedacht, denn unser über die Jahre mit viel Mühe und für viel Geld und ertüfteltes Material war plötzlich Schrott“, blickt Toni Eggert zurück. Im „Express-Modus“ habe man dann den neuen Schlitten gebaut, sagt Sascha Benecken, „und ohne die große Hilfe der FES stünden wir jetzt nicht hier.“ Das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) leistete fortan die technische Unterstützung, nach dem das Duo jahrelang von Thyssenkrupp großzügig gefördert wurde. Im Rennrodeln geht es oft um Tausendstelsekunden, aber auch um Investitionssummen in Material und Schlitten im mittleren fünfstelligen Bereich.

Nachtschicht in der Werkstatt

Nun ist ja alles gut gegangen. Überragend gut gegangen. Mit zweimal Laufbestzeit am Samstag und dem WM-Hattrick binnen drei Tagen. Doch dafür haben die beiden in Suhl geborenen Doppel-Spezialisten in den vergangenen Monaten und Wochen extrem viel investiert. „Wenn man baut und tüftelt, kommt rund 85 Prozent Ausschuss raus“, berichtet Benecken, „da haben wir auch Lehrgeld bezahlt.“ Erfolgs- und Stützpunkttrainer Jan Eichhorn sieht indes gerade im akribischen Arbeiten des Duos den Schlüssel zum Erfolg. Noch in der WM-Woche hätten die Dauer-Weltmeister Zusatzschichten in der Starthalle eingelegt, so Eichhorn. Tüftler Eggert wiederum verbrachte die halbe Nacht zwischen Sprint und Hauptrennen in der Werkstatt. Er bastelte bis kurz vor Mitternacht noch am Schlitten, ehe ihn um 6 Uhr das Handy weckte.

Was dem „Thüringen-Express“ zum ganz großen Glück noch fehlt, ist der Olympiasieg. „Da ist ja noch eine Rechnung offen. Eine Farbe im Medaillensatz haben wir noch nicht“, sagt Toni Eggert. Nach Platz sieben in Sotschi, Bronze in Pyeongchang und Silber in Tokio soll die Krönung zum denkbaren Karriereende in drei Jahren bei den Winterspielen in Mailand/Cortina d’Ampezzo folgen. Zwei Mal 42 Sekunden oder ein paar mehr bis zur olympischen Unsterblichkeit. Rekord-Weltmeister sind sie ja schon.

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