Meine drei Mädels und ich fahren tapfer los. Schon bald wird über heißkalte Schauer und überkochende Schädelinnenräume geklagt. Ich würde sagen, die Sache läuft vor den Baum – wenn nicht, ja genau … ein kühles Nass zu finden ist. Am Straßenrand läuft aus einem Rohr Quellwasser, an dem wir uns erfrischen und ausruhen. Unsere Rettung! Zum Abend hin lässt die große Hitze nach und wir fahren das Chong Kemin Tal weiter bergauf.
Frauen- und Männerrollen
Bei Tschannybek werden wir für die Nacht unterkommen. Stefan, ein guter Freund aus Suhl, kennt ihn. Er empfiehlt ihn auch als Organisator einer Passüberquerung zu Pferd. Tschannybek ist um die 45 Jahre alt, trägt die Kappe der Muslime und hat einen langen Bart. Wir wohnen in seiner Unterkunft in einem schönen Zimmer. Sein Garten ist eine ruhige und auch grüne Oase. In einer Höhe von 1800 m ü NN ist es auch nicht so heiß. Smilla beobachtet genau die Tätigkeiten der Familienmitglieder. Es gibt klare Männer- und Frauenaufgaben. Warum, so fragt sie, sind die Rollen der Geschlechter hier so strikt festgelegt? Warum sind die Männer so viel präsenter als die Frauen? Wir diskutieren viel.
„Der Hilfsandré“
Nach einer ersten „Durchfallwelle“ mit zwei Tagen Fasten und Zwangspause, starten wir mit Christina, einer allein reisenden Italienerin, zu Fuß über die Berge Richtig Issyk Kul See. Sie ist richtig nett, erzählt uns von ihrer Tour als Alleinreisende durch den Iran, von der Herzlichkeit und Neugier der Leute dort. Selma und Christina verstehen sich besonders gut und palavern in ihrer gemeinsamen Sprache, Englisch. Mit von der Partie ist Asylbek, unser einheimischer Führer – ebenfalls mit beeindruckendem Bart, ruhig und unaufgeregt. Ich helfe Asylbek beim Aufpacken der Pferde, Zeltaufbauen und Feuermachen. Dabei treibt er mich mit „Dawai! André“ an. (Axel und André ist ja eh fast eins …) Wibke grinst in sich hinein und tauft mich „Hilfsan-dré“. Liebevoll, oder?
Asylbek reitet voraus, mit knapper Leine ein Packpferd mit Ausrüstung unserer sechsköpfigen Karawane hinter sich. Irgendwo abgeschlagen laufen wir mit dem dritten Pferd, auf dem Smilla und Selma abwechselnd reiten. Es ist sehr gutmütig und hat seine eigene Vorstellung von Geschwindigkeit. So tauchen wir in die Gebirgswelt ein, langsam, bedächtig, Flüsse überquerend, auf schmalsten Pfaden, beobachtend, fasziniert. Als ein Gewittersturm losbricht, ist jegliche Idylle vorbei. Außer bei Asylbek, der ruhig auf seinem Pferd sitzt, tief unter dem dicken Regenüberhang eingegraben. Wahrscheinlich könnte er so noch zwei Wochen weiterreiten. Unter unseren gewichtssparenden Outdoorjacken ist es nicht ganz so heimelig. Unsere Rettung ist ein Holzverschlag mit Ofen, in dem wir Essen bekommen und den Regen abwarten. Wir fühlen uns jetzt mittendrin. Ja genau, weit ab der Zivilisation.
Der lange Tag endet am 2500 Meter ü NN hoch gelegenen Bergsee Kel-Kogur, der, tief eingegraben zwischen Berghängen, wie eine dunkle Perle wirkt. Es regnet, doch zum Kochen machen wir ein Feuer, trinken heißen Tee und schauen in die dunkle Nacht.
Allein dieser Tag wirkt wie eine ganze Reise. Vielleicht ein Gefühl wie bei Alex Supertramp (Chris McCandless im Film „Into the Wild“). Fortsetzung folgt