Coburg Reichsbürgertreffen in der Waldorfschule

Eine Flagge mit dem Wappen der Reichsbürgergruppierung „Bundesstaat Bayern“. Inzwischen nennt sie sich Volksstaat Bayern. Welche Vertreter unterschiedlichster Organisationen aus ganz Deutschland sich am Wochenende in Coburg trafen, ist unklar. Foto: picture alliance / Matthias Balk/Matthias Balk

Entsetzen bei Lehrern und Eltern: Staatsfeinde schleichen sich in den Saal der Rudolf-Steiner-Schule in Coburg ein. Die Polizei löst das Treffen auf. Jetzt ermittelt die Kripo.

 
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Coburg - Hans-Joachim Döhner, Leiter der Rudolf-Steiner-Schule im Coburger Stadtteil Beiersdorf, zeigt sich am Montag „schockiert über das, was passiert ist. Wir alle sind entsetzt.“ Am Samstagabend hatte ein illegales Treffen von Reichsbürgern aus ganz Deutschland im Saal der Waldorfschule stattgefunden. Deren Leitung und der Vorstand der Steiner-Schule distanzierten sich von der Versammlung und „ausdrücklich im Namen der Schulgemeinschaft von jeglichem Gedankengut der Reichsbürgerbewegung“. Die Schülerinnen und Schüler ab der neunten Klasse wurden am Montag informiert, ebenso Eltern, deren Kinder die Schule besuchen.

Döhner schloss aus, dass pädagogisches Personal oder Büromitarbeiter den Reichsbürgern Zutritt zum Saal gewährten. Deren Gedankengut sei mit der Philosophie der Schule nicht vereinbar. Hier müssten Eltern, die seit dem Wochenende besorgte Anfragen an die Schulleitung richten würden, keine Bedenken haben.

Polizei war informiert

Die oberfränkische Polizei wusste aufgrund umfangreicher Ermittlungen vorab von der geplanten Versammlung im Raum Coburg, teilte Matthias Potzel, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberfranken in Bayreuth, am Montag mit. Welche Quellen man hatte, wollte Potzel unter Hinweis auf ermittlungstaktische Gründe nicht erläutern. Allerdings habe man nicht gewusst, wo das Treffen am Samstag genau stattfinden sollte. Die Coburger Polizei habe daraufhin ihre Präsenz erhöht und am Abend verstärkt Ein- und Ausfahrtsstraßen der Stadt kontrolliert.

Dabei hätten sich Anhaltspunkte verdichtet, wonach die Zusammenkunft in der Rudolf-Steiner-Schule im Stadtteil Beiersdorf stattfinden sollte. Gegen 20 Uhr betraten die Einsatzkräfte das Gelände am Callenberg, wo sich der Verdacht bestätigt habe. „55 Personen, die allesamt dem Reichsbürgermilieu zuzuordnen sind und aus weiten Teilen von Deutschland stammen, hielten sich im großen Saal der Schule auf“, so Potzel. Ralf Wietasch, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Coburg, informierte die Schulleitung, die – wie Hans-Joachim Döhner am Montag gegenüber unserer Zeitung betonte – keinerlei Wissen von dem Treffen gehabt habe. Der Saal, der von außen nicht einsehbar ist, sei nicht vermietet gewesen. „Die Schulleitung hat, nachdem sie davon Nachricht erhalten hatte, umgehend von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht und Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet. Daraufhin wurde die Versammlung von der Polizei aufgelöst“, so Döhner.

Gebäude umstellt

Polizeibeamte hätten unterdessen den ruhig gelegenen Gebäudekomplex umstellt, die Anwesenden kontrolliert, deren Identität festgestellt und schließlich des Platzes verwiesen. „Jeden der Anwesenden erwartet nun ein Strafverfahren“, erläuterte Polizeisprecher Potzel.

Schulleiter Döhner ist es ein Rätsel, wie die Reichsbürger in den Saal gelangen konnten, der grundsätzlich nur nach einer eingehenden Prüfung an Interessenten, beispielsweise örtliche Vereine oder Familien, vergeben werde. Für Samstagabend sei keine Vermietung oder Überlassung erfolgt. Am Nachmittag habe dort die Präsentation der Jahresarbeiten von Schülerinnen und Schülern stattgefunden, eine traditionelle Veranstaltung der Rudolf-Steiner-Schule. Die letzten Beteiligten hätten das Gebäude gegen 19 Uhr verlassen. Sie hätten versichert, die Türen verschlossen zu haben. Nachdem es keine Aufbruchspuren gibt, müsse davon ausgegangen werden, dass jemand die Reichsbürger in den Saal eingelassen hat. „Wir haben rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, die meisten davon hätten Zugriff auf einen Schlüssel, erläuterte Döhner. Jetzt müsse herausgefunden werden, wer letztlich die Tür aufschloss.

Das ist Kern der polizeilichen Ermittlungen des Kommissariats für Staatsschutzdelikte der Kriminalpolizei Coburg. Sie arbeite dabei eng mit der Schulleitung zusammen, betonte Polizeisprecher Matthias Potzel. Er bestätigte die Angabe der Schulleitung: Derzeit gebe es keine Hinweise, dass pädagogisches Personal oder Büromitarbeiter das Reichsbürgertreffen ermöglicht haben.

„Reichsbürger“

Reichsbürger sind nach Angaben des bayerischen Innenministeriums Gruppierungen und Einzelpersonen, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Zur Verwirklichung ihrer Ziele treten sie zum Teil aggressiv gegenüber Gerichten und Behörden auf.

Zahl der Personen in Bayern, die der Reichsbürger-Szene zugerechnet werden, beläuft sich auf rund 4330 (Stand: 30. Juni 2021). Das Spektrum reicht von Querulanten, Staatsverdrossenen oder Verschwörungstheoretikern bis hin zu Geschäftemachern, psychisch Kranken und Personen mit einem rechtsextremistischem Weltbild.

„Stuttgarter Erklärung“

In der „Stuttgarter Erklärung“, die die Rudolf-Steiner-Schule Coburg mitträgt, sprechen sich die Waldorfschulen in Deutschland gegen Rassismus und Diskriminierung aus. Darin heißt es:

„Als Schulen ohne Auslese, Sonderung und Diskriminierung ihrer Schülerinnen und Schüler sehen sie alle Menschen als frei und gleich an Würde und Rechten an, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Sprache, Weltanschauung oder Religion.“

„Die Anthroposophie als Grundlage der Waldorfpädagogik richtet sich gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus. Die Freien Waldorfschulen sind sich bewusst, dass das Gesamtwerk Rudolf Steiners vereinzelt Formulierungen enthält, die von einer rassistisch diskriminierenden Haltung der damaligen Zeit mitgeprägt sind. Die Waldorfschulen distanzieren sich von diesen Äußerungen ausdrücklich. Sie stehen im vollständigen Widerspruch zur Grundausrichtung der Waldorfpädagogik und zum modernen Bewusstseinswandel.“

„Weder in der Praxis der Schulen noch in der Lehrerausbildung werden rassistische oder diskriminierende Tendenzen geduldet. Die Freien Waldorfschulen verwahren sich ausdrücklich gegen jede rassistische oder nationalistische Vereinnahmung ihrer Pädagogik.“

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