Punkrock an der Orgel Der coole Biologielehrer spielt die Orgel

Wolfgang Swietek
Zwischen Punkrock, Filmmusik und Kirchenliedern: Biologielehrer Tim Stammberger entlockte der weitgehend noch im Original erhaltenen Nößler-Orgel in der Dorfkirche von Henfstädt ungewohnte Töne. Foto: Wolfgang Swietek

Die „Toten Hosen“ mit ihrer Fußball-Hymne „An Tagen wie diesen“ in einer Dorfkirche? Klar! So lockt man junge Menschen zum Orgelkonzert. Erst recht, wenn der Biologielehrer in die Tasten und Pedale haut.

 
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Henfstädt - Die kleine Reihe der Orgelkonzerte zum Wochenende, die in den nächsten fünf Wochen immer freitags um 17 Uhr erklingen werden, eröffnete Tim Stammberger, der junge Organist aus Hildburghausen.

Er legt keine Noten auf das Pult, setzt sich einfach auf die Orgelbank und beginnt zu spielen. Nachdem er sich noch zwei Minuten zuvor mit ein paar jungen Leuten locker unterhalten hat. Von Lampenfieber vor dem Konzert, das er gleich spielen soll, offenbar keine Spur. Die zahlreichen jungen Leute auf der Empore in der kleinen Dorfkirche von Henfstädt finden das cool. Cool vor allem deshalb, weil der Organist, zu dessen Konzert sie extra gekommen sind, ihr Lehrer ist. Doch Tim Stammberger ist nicht ihr Musiklehrer – er unterrichtet sie am Gymnasium in Schleusingen in den Fächern Biologie und Geographie. Und der kann auch die Orgel spielen? Das wollen sie nun genau wissen.

Mit zehn Jahren hat Tim Stammberger seinen ersten Unterricht am Klavier bekommen, an der Kreismusikschule Hildburghausen bei Klavierlehrerin Guselja Hopf. Doch wieso hatte auch die Orgel damals schon so eine Faszination auf einen Fünftklässler ausgeübt, dass er auch auf diesem Instrument Unterricht nehmen wollte?

Tim Stammberger erklärt das so: „Dieses riesige Instrument, das wie ein ganzes Orchester klingt, aber von nur einem Musiker gespielt wird, hat mich einfach fasziniert. Und da wollte ich wissen, ob ich das auch hinbekomme.“

Kirchenmusikdirektor Torsten Sterzik hat früh das Talent seines noch so jungen Schülers erkannt, hatte wohl auch gehofft, ihn später für ein Studium der Kirchenmusik begeistern zu können. Nach nur einem Jahr Unterricht, setzte Hildburghausens Kantor ihn bei einem Weihnachtsgottesdienst im Dezember 2005 an die große Orgel in der Christuskirche. Und verschaffte ihm dadurch gleich ein riesiges Erfolgserlebnis, war dies doch kein Auftritt vor zehn oder zwanzig Zuhörern. Die Bänke des recht großen Gotteshauses waren reichlich gefüllt, also einige hundert Zuhörer.

Bis zu seinem Abitur im Jahr 2013 hat Tim Stammberger weiterhin Unterricht genommen, aber den dringenden Wunsch von Kantor Sterzik nicht erfüllt, sondern hat sich an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena für ein Studium der Naturwissenschaften in den Fächern Biologie und Geographie eingeschrieben.

Dafür nennt er zwei Gründe: „Ich wollte schon immer Lehrer werden. Die Musik dagegen sollte für mich reine Freude bleiben, ohne Druck und beruflichen Zwang und ständige Verpflichtungen. Auch wenn ich dafür eine große Leidenschaft empfinde.“

So ging Tim Stammberger seinen Weg so, wie er ihn sich vorgenommen hatte: Nach dem Studium dann im Jahr 2019 Referendariat am Gymnasium in Schleusingen, dann das zweite Staatsexamen und danach auch in Schleusingen eine Stelle als Lehrer in den Fächern Biologie und Geographie angetreten.

Dass das Gymnasium in der Aula sogar eine eigene Orgel besitzt, kommt ihm natürlich bei seiner Neigung sehr entgegen, er kann das Instrument bei verschiedenen Veranstaltungen der Schule erklingen lassen. Auch sonst lässt er sich nicht lange bitten, wenn eine Kirchgemeinde einen Organisten für eine Vertretung braucht.

Bewusst hatte Barbara Morgenroth, die diese kleine Orgelreihe in der Kirche von Henfstädt ins Leben gerufen hat, nicht nur bekannte Organisten dafür gewonnen. Sie wollte auch jungen Nachwuchsmusikern damit einen öffentlichen Auftritt verschaffen. So wird am kommenden Freitag, 23. Juli, Sven Rußwurm aus Milz die Orgel spielen. Dass sie gleich beim ersten Konzert mit Tim Stammberger noch etwas anderes erreichte, war so wohl nicht abzusehen – weil nicht nur der Organist recht jung ist, sondern auch etliche der Zuhörer Jugendliche waren. Sind doch etliche seiner Schüler vom Gymnasium Schleusingen gekommen, um ihren Lehrer spielen zu hören. Und so hieß es gleich zur Begrüßung: Die jungen Leute wollen die alte Orgel (die auf 274 Jahre geschätzt wird), sondern ihren Lehrer hören.

Darauf hatte Tim Stammberger auch sein Programm abgestimmt. Nicht Werke von Johann Sebastian Bach wolle er spielen, den man meist mit einer Orgel verbinde, wie er bekannte. Wenn er junge Leute für die Orgel begeistern wolle, dann mit der Musik, die sie sonst auch mögen, aber nicht von einer Orgel erwarten.

So hatte er für den ersten Teil Filmmusiken ausgewählt, die sonst meist auf dem Klavier gespielt werden. Überrascht waren die jungen Leute dann, als ihr Lehrer das von den „Toten Hosen“ bekannte „An Tagen wie diesen“ auf der Orgel spielte. Das hatten sie wohl doch nicht von einer Orgel erwartet.

Wie er zu solchen freien Improvisationen gekommen sei, erklärt Tim Stammberger so: Wenn er bei einem Trauungs-Gottesdienst die Orgel spiele, sei er mitunter von dem Paar um einen Titel gebeten worden, den die Brautleute gerne hören würden, aber gleich ihre Bedenken anmeldeten: Wir wissen allerdings nicht, ob das auf der Orgel geht.

Er hat’s probiert, und kam zu der Erkenntnis – doch, auf der Orgel lässt sich so gut wie alles spielen. Er behalte die Grundmelodie im Ohr, und dann suche er sich die dazu passenden Register, und improvisiere nach eigenem musikalischen Empfinden.

Eindrucksvoll praktizierte es Tim Stammberger dann bei dem bekannten Lied nach dem Text von Dietrich Bonhoeffer „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Etwas verhalten noch bei „Der Mond ist aufgegangen“, kraftvoller dann schon bei den „Irischen Segenswünschen“, bis Tim Stammberger bei „Komm heil’ger Geist“ die Nößler-Orgel in voller Stärke erklingen ließ.

Die Henfstädter Kirche birgt eine Orgel aus der Werkstatt von Johann Valentin Nößler aus dem Jahr 1747, die 2009 von Orgelbau Waltershausen restauriert wurde. Sie ist einmanualig mit Pedal und hat elf Register. Die Dorfkirche wurde 1544 erstmals urkundlich erwähnt. Fenster mit Spitz- und Rundbögen weisen auf eine frühgotische Bauzeit, ein Baudatum ist nicht überliefert.

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