Mit dem Prozess wollte der italienische Staat deutlich machen, dass er sich mit dem Wirken der Mafia nicht abfinden will. Grundlage dafür waren Aussagen mehr als 50 verschiedener Kronzeugen, die der 'Ndrangheta abgeschworen haben. Viele leben heute in Zeugenschutzprogrammen. Normalerweise gilt in der Mafia das "Gesetz des Schweigens" - also, dass niemand Aussagen macht. Nach Einschätzung von Experten besteht die 'Ndrangheta aus etwa 150 Familien. In den 1980er-Jahren standen auf Sizilien schon einmal mehr als 400 Angehörige der Cosa Nostra vor Gericht.
Eine Clan-Familie im Visier
Der Prozess richtete sich vor allem gegen den Clan der Familie Mancuso, einen der verschiedenen Zweige. Die beiden örtlichen Bosse Saverio Razionale und Domenico Bonavota wurden zu je 30 Jahren verurteilt. Auch für viele andere Clanmitglieder gab es viele Jahre Gefängnis.
Das Urteil gegen den obersten mutmaßlichen Clan-Boss Luigi Mancuso steht allerdings noch aus. Sein Verfahren wurde von dem Mammutprozess abgetrennt, weil dies wohl noch komplizierter geworden wäre. Luigi Mancuso wurde "Der Onkel" genannt. Andere trugen Spitznamen wie "Wolf", "Lammkeule" oder "Fettsack" - wie in einem der großen Hollywood-Filme.
Insgesamt standen 338 Angeklagte vor Gericht - auch Politiker und Beamte, die der 'Ndrangheta gegen Geld gefällig waren. Prominentester Fall war der Ex-Abgeordnete Pittelli von der Forza Italia, die heute in Rom der kleinste Partner in einer Koalition aus drei Rechtsparteien ist. Gegründet wurde sie vom im Juni verstorbenen Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi. Die Staatsanwaltschaft hatte für Pittelli sogar 17 Jahre Haft beantragt - es wurden elf. Ein Ex-Bürgermeister, den die Staatsanwaltschaft 18 Jahre hinter Gitter bringen wollte, wurde freigesprochen.
Prozess im Hochsicherheitstrakt
Wegen der enormen Dimensionen war in Lamezia Terme eigens ein Callcenter in einen Hochsicherheitstrakt umgebaut worden - mit einem Gerichtssaal von mehr als 100 Meter Länge, 35 Meter Breite und vergitterten Zellen. Damit sich Richter, Anwälte, Zeugen und Mafiosi nicht zufällig über den Weg laufen, gab es sogar getrennte Toiletten: 32 davon.
Dass der Prozess überhaupt zustande kam, ist der Verdienst von Oberstaatsanwalt Nicola Gratteri. Der 65-Jährige kämpft seit mehr als drei Jahrzehnten gegen die Mafia. Nach jahrelangen Ermittlungen ließ er kurz vor Weihnachten 2019 Hunderte mutmaßliche Mafiosi und Helfer verhaften. Die Polizei war an jenem Dezembermorgen mit 3000 Carabinieri im Einsatz, auch in Deutschland. Damit die Mafia von Zuträgern im Staatsdienst nicht gewarnt werden konnte, ließ Gratteri die Haftbefehle im Ausland kopieren.
Die Razzia und auch der Prozess liefen in Italien unter dem Namen "Rinascita Scott": Rinascita bedeutet Wiedergeburt und Sieben William Scott war der Name eines US-Drogenfahnders, der einst in Rom auf Posten war. Von Scott soll Gratteri erläutert bekommen haben, wie das Geschäft mit Kokain zwischen Kolumbien und Kalabrien funktioniert. Er starb 2013. Gratteri selbst gab noch während des Prozesses die Rolle als Chefankläger ab. Inzwischen ist er oberster Staatsanwalt in Neapel - und steht nach wie vor unter strengstem Schutz.