Proteste im Land Bürgermeister fühlen sich unter Druck

Eike Kellermann
Gemeinde- und Städtebund-Chef Michael Brychcy. Foto: picture alliance / dpa/Martin Schutt

Erst die Demonstrationen gegen die Corona-Beschränkungen, nun wegen der Sorgen vor unbezahlbaren Energiepreisen: Die Thüringer Bürgermeister haben Angst, zum Prellbock zu werden.

 
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„Demonstrationen sind ok. Aber die Art und Weise macht mir Angst“, sagt Michael Brychcy. Der Präsident des Thüringer Gemeinde- und Städtebundes, seit 33 Jahren Bürgermeister in Waltershausen, weiß selbst ein Lied davon zu singen. Bei ihm vor dem Haus hätten auch schon Demonstranten gestanden, sagt er. Da werde es der Familie ganz anders. Die aktuelle Situation nennt er eine „enorme Bewährungsprobe für unsere Gesellschaft“.

Die Sorge der Bürgermeister vor sogenannten Wutbürgern bestimmte die 32. Jahresversammlung des Gemeinde- und Städtebundes am Mittwoch auf der Messe in Erfurt. So sagte der Bürgermeister einer 400-Einwohner-Gemeinde aus Ostthüringen, die Bürger hätten seit Corona das Vertrauen in die Politik verloren und es sei fraglich, ob es zurück komme. Das freilich veranlasste den Gemeinde-Präsidenten, den Kollegen zu Mäßigung aufzurufen. „Wir dürfen nicht resignieren. Wir als Bürgermeister müssen dagegen halten“, sagte Brychcy. „Wenn wir ins gleiche Horn blasen, haben wir verloren.“ Innenminister Georg Maier (SPD) nannte es angsteinflößend, wenn Demonstranten mit Trommeln durch die Stadt ziehen. Hinter den Demos steckten auch Rechtsextreme, „aber nicht flächendeckend“, so Maier.

Der Grund, weshalb auch in Thüringer Städten Bürger gerade wieder auf die Straße gehen, sind die Preissteigerungen in der Folge des Ukraine-Kriegs. „Das große Problem ist die Angst der Bürger, dass sie die Energiepreise nicht mehr bezahlen können“, sagte der Bürgermeister von Römhild (Landkreis Hildburghausen), Heiko Bartholomäus. Die Demonstranten seien von der „blanken Angst“ getrieben, meinte auch der Hauptgeschäftsführer des bundesdeutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Deshalb lautete sein Appell an die Bundesregierung und an die Bundesländer, jetzt unbedingt die Preise für Gas und Strom zu deckeln.

Siegesmund: Der Preisdeckel kommt

Die Thüringer Energie- und Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) konnte in dieser Hinsicht mit einer brandheißen Information aufwarten. Eigenen Angaben zufolge beriet sie am Mittwoch mit ihren Länderkollegen und dem Bundeswirtschaftministerium. Demnach wurde nicht nur von der Bundesregierung inzwischen geklärt, wie der Gaspreis-Deckel aussehen soll. Siegesmund kündigte sogar eine einheitliche europäische Lösung an, die schon diesen Freitag verkündet werden solle.

Bei der Bürgermeister-Versammlung wurde aber auch deutlich, dass es an der Zeit sei, den Wählern reinen Wein einschenken und nicht mehr alles zu versprechen. Der Römhilder Amtsinhaber Bartholomäus erwartet, dass es den Deutschen in den nächsten Jahren schlechter gehen werde. Ein Rückgang der Wirtschaftsleistung gilt als wahrscheinlich. Gemeinde-Präsident Brychcy nannte in diesem Zusammenhang das viel gelobte 9-Euro-Ticket eine „populistische Einzelmaßnahme“. Hauptgeschäftsführer Landsberg verlangte angesichts der zu erwartenden Belastungen für die Staatskasse einen Verzicht auf zusätzliche Sozial-Leistungen, etwa das in Thüringen geplante dritte beitragsfreie Kita-Jahr. Zum 9-Euro-Ticket („ein Geschenk auf Zeit“) sagte Landsberg: Die 2,5 Milliarden Euro wären besser dafür verwendet worden, mehr Buslinien im ländlichen Raum zu schaffen und Fahrer einzustellen.

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