Point-Alpha-Preis verliehen Ein Provokateur und Mahner

Joachim Gauck, Bundespräsident a. D., bekam am Donnerstag in der Rhön den Point-Alpha-Preis überreicht. Rund 400 Gäste kamen zum Festakt in die Fahrzeughalle der Gedenkstätte Point Alpha.

 
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Die Preisverleihung stand im Schatten des russischen Überfalls auf die Ukraine. Das Thema zog sich wie ein roter Faden durch alle Redebeiträge, inklusive der Dankrede des Preisträgers. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs sei die europäische Friedens- und Freiheitsordnung noch nie so in Gefahr gewesen wie heute, sagte Christian Hirte, Präsident des Kuratoriums Deutsche Einheit und CDU-Bundestagsabgeordneter aus Bad Salzungen. Die fürchterlichen Bilder und Ereignisse in der Ukraine zeigten, dass Einheit und Frieden Europas keine Selbstverständlichkeiten seien. „Gerade heute sehen wir ja, was es heißt, Freiheit und Demokratie in Europa zu verteidigen. Aber nicht nur Gefahren von außen, sondern auch Gefahren im Inneren fordern uns heraus“, betonte der Kuratoriumsvorsitzende. Stefan Heck, Vorsitzender des Point-Alpha-Stiftungsrates, erklärte, der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sei ein Rückfall in Zeiten, die man längst überwunden geglaubt hatte.

„Dieser Preis erinnert uns an den mutigen Kampf der Männer und Frauen in der DDR, die für die Freiheit gekämpft haben“, sagte Hessens Ministerpräsident Bori Rhein (CDU). Er betonte, dass sie es gewesen seien, die es möglich machten, dass Deutschland und Europa wieder geeint wurden. Rhein mahnte, dass Freiheit und Demokratie aber keine Selbstverständlichkeit seien, sondern jeden Tag neu erkämpft werden müssten und verwies auf die aktuellen Ereignisse: „Der Systemwettbewerb ist mit einer Wucht wiedergekommen, wie wir es nicht erwartet hätten.“

Am Vorabend des 17. Juni erinnerte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) an die Zwangsaussiedlungen in der DDR und nannte den Staat, der dies zu verantworten hatte, „kriminell“. Den Amerikanern sei er dankbar, dass am Point Alpha seinerzeit nie ein Schuss gefallen und kein Krieg ausgebrochen sei. Im derzeitigen Krieg in der Ukraine gehe es nicht mehr um die beiden Systeme wie früher und Russland sei nicht mehr sozialistisch. „Wir haben eine viel umfassendere Bedrohung der Freiheit, wenn Autokratie die Oberhand gewinnt und Krieg Normalität zur Durchsetzung von imperialen Interessen wird“, erklärte Ramelow. Die erreichte Freiheit müsse gesamteuropäisch verteidigt werden.

Mehr als ein Behördenchef

Die Laudatio für Joachim Gauck hielt Andreas Voßkuhle, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, als Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie’’. „Sie waren Aufbereiter und Erinnerer, Zuhörer und Lernender, Provokateur und Mahner, Seelsorger und Psychologe, Prediger und Lehrer. Und Sie haben in ganz wunderbarer Weise dem Politischen ein menschliches Antlitz verliehen“, sagte er. Als Sonderbeauftragter für die Stasi-Unterlagen sei Gauck mehr als der Leiter einer zentralen Behörde gewesen. „Er wird die Personifizierung der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit – Alle sagten ,Gauck-Behörde’ – viele auch nach Ende seiner zehnjährigen Amtszeit im Jahre 2000“, so Voßkuhle. Er zeigte aber auch ein anderes Bild des Preisträgers auf – denn Joachim Gauck sei ebenso ein Provokateur und Mahner, bekannt für deutliche Worte, für Zuspitzungen, ja sogar für verbale Attacken.

So hatte er in seiner ersten Rede als Bundespräsident den wieder erstarkten Rechtsextremen den danach viel zitierten Satz entgegengeschleudert: „Euer Hass ist unser Ansporn!“ Einige Zeit später musste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage beschäftigen, ob ein Bundespräsident Demokratiefeinde als „Spinner“ bezeichnen dürfe. Joachim Gauck fordere heraus, um Debatten aus ihren eingefahrenen Linien zu befreien und demokratische Aushandlungen lebendig zu gestalten. Streit und Konflikte gehörten aber zu einer lebendigen Demokratie. „Und so steht hinter dem herausfordernden Stil von Joachim Gauck immer eine klare Absicht: die Demokratie und ihre Werte zu verteidigen, aus der Geschichte tatsächlich Konsequenzen zu ziehen, Handeln zu reflektieren und auch zu verändern, wenn es sich als notwendig erweist“, erklärte Voßkuhle.

Das politische Gespür von Joachim Gauck basiere nicht so sehr auf der nüchternen Analyse der Lage, sondern auf einem tiefen Verständnis des Menschen. „Er ist zugleich Seelsorger und Psychologe“, sagte Voßkuhle und erinnerte an viele Momente, in denen der Preisträger Menschen, die Trost brauchten, mit einer selbstverständlichen Geste umarmt hat. Dafür sei er nicht selten kritisiert worden, dass solche Gesten mit dem Amt eines Bundespräsidenten nicht vereinbar seien.

Gemeinsam mit Kuratoriums-Vizepräsident Jürgen Aretz und dem Stiftungsratsvorsitzenden Stefan Heck überreichte Christian Hirte an Joachim Gauck den Point-Alpha-Preis. Der Geehrte sprach wie der Laudator von einem „wunderschönen Tag“ und einer wunderschönen Laudatio. Damit gehe es ihm sehr gut. Er erinnerte daran, dass in der DDR Menschen, die Angst hatten, sich von ihrer Angst verabschiedet und den Weg zur Freiheit gesucht hatten. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine mahnte er die Menschen, auch heute ihre Angst zu überwinden und sich nicht zu fürchten „vor möglichen Einschränkungen des eigenen Lebensstandards“.

„Können noch mehr tun“

„Wir sind aufgefordert, alles bis zur Grenze des uns Möglichen zu unternehmen, um Putins mörderisches Treiben zu beenden. Diese Grenze haben wir noch nicht erreicht, wir können noch mehr tun“, betonte Gauck. Er begrüßte, dass die Bundesregierung eine Kehrtwende vollzogen habe – den Aggressor als solchen benenne und der Ukraine beistehen wolle. Beeindruckt habe ihn auch, dass viele Menschen in der Bundesrepublik Ukrainern helfen, unter anderem mit Spenden. Demokratie müsse wehrhaft sein. Dazu gehöre neben einer gut ausgerüsteten Bundeswehr auch „die Erkenntnis, dass wir Feinde haben“, eine Feindschaft, die uns aufgezwungen worden sei.

„Ich mag es, wenn Menschen nicht einfach nur zuschauen, sondern sagen: Wir sind die Bürger. Das ist unsere Demokratie und wir werden sie schützen“, sagte Gauck.

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