Forscher nutzen Zellen aus menschlichen Hautproben
Wie die biologische Hardware aussehen könnte, veranschaulicht das Team mit Illustrationen: Eine davon zeigt einen Zellklumpen - das Organoid - der in einer Schale mit Flüssigkeit schwimmt und mit winzigen Röhrchen nach außen verbunden ist.
Für solche Organoide nutzen die Forscher Zellen aus menschlichen Hautproben, die zunächst in einen stammzellenähnlichen Zustand transformiert und dann dazu gebracht werden, sich zu Hirnzellen zu entwickeln. Jedes der so entstandenen dreidimensionalen Hirnorganoide enthält etwa 50.000 Zellen, was für die angestrebten Biocomputer noch zu wenig sei: "Um anspruchsvolle Berechnungen zu unterstützen, wollen wir diese Zahl auf zehn Millionen erhöhen", schreibt das Team.
Das in der Illustration abgebildete System aus Röhrchen und Flüssigkeit dient den Organoiden: Sie erhalten darüber Sauerstoff, Nährstoffe und Wachstumsfaktoren, während Abfallstoffe beseitigt werden. Zudem beschreiben die Forscher Technologien, die es erlauben, den Zellen Informationen zu senden und auszulesen, was sie "denken". Die Autoren planen, Werkzeuge aus verschiedenen Disziplinen wie Bioengineering und maschinelles Lernen zu adaptieren sowie neue Stimulations- und Aufzeichnungsgeräte zu entwickeln.
"Wir haben eine Gehirn-Computer-Schnittstelle entwickelt"
Hartung erläutert dazu: "Wir haben eine Gehirn-Computer-Schnittstelle entwickelt, eine Art EEG-Kappe für Organoide, die wir in einem im August veröffentlichten Artikel vorgestellt haben. Es handelt sich um eine flexible Hülle, die dicht mit winzigen Elektroden bedeckt ist, die sowohl Signale vom Organoiden aufnehmen als auch an ihn weiterleiten können."
Dass OI grundsätzlich machbar ist, hätten frühere Arbeiten bereits belegt, so Hartung, der konkret eine Studie seines Mitautors Brett Kagan (Cortical Labs in Melbourne) nennt. Dessen Team hatte 2022 gezeigt, dass es möglich ist, Gehirnzellkulturen das Videospiel "Pong" beizubringen, bei dem ein Punkt auf dem Bildschirm ähnlich wie beim Tennis hin und her geschlagen wird.
Es könnte laut Hartung zwar noch Jahrzehnte dauern, bis die organoide Intelligenz ein System antreiben kann, das so intelligent ist wie eine Maus. Doch schon jetzt stehen komplexe ethische Fragen im Raum. Könnten Hirnorganoide etwa Leid fühlen oder gar ein Bewusstsein entwickeln? Und welche Rechte hätten die Spender der Hautzellen? Um diesen Unsicherheiten zu begegnen, schlagen die Autoren vor, den Forschungsprozess kontinuierlich von einem Team aus Ethikern, Forschern und Mitgliedern der Öffentlichkeit begleiten zu lassen, das gemeinsam entsprechende Fragen identifiziert, diskutiert und beantwortet.
Sorge vor der Überschreitung ethisch formulierter Handlungsgrenzen
Tatsächlich beschäftigte sich eine Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina schon 2022 mit den Hirnorganoiden, die mit den gegenwärtigen Möglichkeiten derzeit maximal die Größe einer Erbse erreichen könnten. Die Leopoldina-Autoren stellten fest: "Die Herstellung und Beforschung dieser neuartigen Entitäten kann leicht Unbehagen und Sorge vor der Überschreitung ethisch formulierter Handlungsgrenzen wachrufen, geht es doch um solche Zellverbände, die das biologische Substrat des menschlichen Geistes bilden und auf höchst künstliche Weise instrumentalisiert werden." Auf absehbare Zeit sei jedoch nicht zu erwarten, dass diese Schmerzempfinden oder andere, auch nur rudimentäre Bewusstseinszustände entwickeln könnten.
"Zugleich ist die Hirnorganoidforschung aber ein Forschungsfeld mit einer hohen Dynamik, in dem in den vergangenen Jahren substanzielle Fortschritte gelungen und weitere für die Zukunft zu erwarten sind", heißt es weiter. Dann könnten möglicherweise Regulierungen durch eine spezielle Ethikkommission nötig werden.