In Teilen der Auto- und Maschinenbauindustrie hatte man erwartet, dass sich die Lieferprobleme bei den überall verbauten Mikrochips in der zweiten Jahreshälfte entspannen. "Die Mangelversorgung wird sich wohl aber noch bis 2023 ziehen", schätzt Kegel. "Das hat sich durch die Lockdowns in China deutlich verschärft. Auch viele internationale Chiphersteller sind von den Engpässen in Shanghai massiv betroffen. Ich befürchte, dass sich dies abermals negativ auf die Versorgungslage auswirken wird." Gleichzeitig gelte: "Zurzeit sitzt die Elektro- und Digitalindustrie auf gigantischen Auftragsbüchern."
Für Deutschland habe der Krieg in der Ukraine die Konsequenz, dass der Ökostromausbau nicht mehr verzögert werden dürfe, mahnte Kegel. "Wenn Strom aus erneuerbaren Quellen der wichtigste Energieträger der Zukunft ist, dürfen wir ihn nicht durch zusätzliche Abgaben belasten." Das Auslaufen der EEG-Umlage zur Jahresmitte sei positiv. "Aber es müssen noch weitere Schritte folgen - auch damit Anreize geschaffen werden, wenn sich Industrie und Verbraucher von fossilen zu elektrischen Energieformen bewegen."
Russland und die Ukraine sind für die deutsche Elektro- und Digitalindustrie keine vergleichbar wichtigen Absatzmärkte wie für andere Branchen des verarbeitenden Gewerbes. Insgesamt entfallen gut 2 Prozent des Außenhandels der Branche auf die beiden Länder. "Der direkte Schaden ist für uns insofern relativ gering", sagte Kegel.
Zudem werde das beschleunigte Umschwenken in Richtung Erneuerbare die Nachfrage nach Elektro- und Digitaltechnik stützen. "Deshalb glauben wir, dass wir an unserer Prognose eines Wachstums von 4 Prozent in diesem Jahr festhalten können. Schwierig könnte es werden, falls der Krieg im kommenden Jahr noch nicht beendet sein und es eine Spirale von weiteren Sanktionen und Gegensanktionen geben sollte."
Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft sei ein zentraler Punkt, für den man die Hannover Messe als Forum nutzen wolle. Kegel nannte die Beispiele Stahl und Chemie, wo es bewährte Verfahren für den Ersatz von Kokskohle und Gas durch Wasserstoff gebe. "Wir brauchen diesen im Umbau unserer Grundstoffindustrien, wenn diese mittelfristig CO2-neutral werden sollen. Da müssen wir ran. Alle anderen weiterverarbeitenden Industrien hängen daran. Und dies muss politisch weiter gefördert werden, damit die Unternehmen in Deutschland wettbewerbsfähig bleiben." Hierzu gehöre auch, den Fachkräftemangel in den Ingenieurberufen noch ernster zu nehmen.
"Wir freuen uns auf die Messe", sagte der ZVEI-Chef. "Echte Messen haben uns viel mehr gefehlt, als wir anfangs vermutet hatten. Das breitere Tor in die Öffentlichkeit war nicht mehr da. Kundenkontakt und Wettbewerb um Lösungen ist auf einer Messe besser zu leisten."