In der Tat fühlt sich in den USA mit Trump an der Macht mancher zurück in den "Wilden Westen" versetzt. Der Polizist Michael Fanone, der am 6. Januar 2021 am Kapitol im Einsatz war, niedergeknüppelt und mit einem Elektroschocker malträtiert wurde, sagte dem Sender CNN, er habe nach der Begnadigung seiner Peiniger nun Angst um seine Sicherheit und die seiner Kinder.
Zweifel am System
Trumps Entscheidung wirft aber auch die Frage auf, wie es um Amerikas Justizsystem bestellt ist. Ein US-Präsident hat zwar per Verfassung die Befugnis, die Strafen von Tätern, die nach Bundesrecht verurteilt wurden, zu verkürzen oder Verurteilte ganz zu begnadigen - auch nachträglich, also nach dem Verbüßen einer Strafe. Dass Trump diese Befugnis aber nutzt, um Gewalttäter freizulassen, die amerikanische Polizeibeamte verletzt haben und die - angeheizt durch ihn selbst - versuchten, den friedlichen und demokratischen Machtwechsel in den USA zu stoppen, ist beispiellos. Nachfragen dazu weicht Trump aus und gibt sich ahnungslos, wer genau begnadigt worden sei. Und: Er zeigt auf seinen Amtsvorgänger Biden.
Der hatte kurz vor Schluss seiner Amtszeit seinen Sohn, seine Geschwister und deren Ehepartner präventiv begnadigte, ebenso demokratische Abgeordnete und ehemalige Regierungsleute - um den Sohn vor einer Haftstrafe und alle anderen vor möglicher Strafverfolgung durch Trumps Regierung zu schützen. Dabei hatte der Demokrat das zuvor kategorisch ausgeschlossen und präventive Begnadigungen vor Jahren noch als falsch kritisiert. Seine Kehrtwende hat nicht gerade zum Vertrauen in die Gerechtigkeit der US-Justiz beigetragen.
Das System ist per se sehr politisiert. Präsidenten wählen Richter für Bundesgerichte und den Supreme Court aus und liefern sich einen Wettlauf, wer mehr Nominierungen in einer Amtszeit schafft, weil es für die Durchsetzung ihrer Politik sehr hilfreich ist, auf wohlgesonnene Richter zu treffen, wenn ihre Entscheidungen juristisch angefochten werden. Dabei bräuchten die USA gerade jetzt mehr denn je ein Justizsystem, das über jeden Zweifel erhaben ist.