Vor zwei Jahren präsentierte der Club of Rome einen Report zu den entscheidenden Maßnahmen für eine lebenswerte Zukunft der Menschheit. Nun gibt es eine Fassung speziell für Deutschland.
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Zivilisationskritiker sehen das Ende der Menschheit nicht erst jetzt heraufziehen. Schon vor 52 Jahren sorgte der „Club of Rome“ mit seiner apokalyptischen Zukunftsvision „Die Grenzen des Wachstums“ für Furore. 1977 gab der damalige US-Präsident Jimmy Carter „Global 2000“ in Auftrag. Die Umweltstudie befasste sich mit den grundlegenden Entwicklungen der Umweltbedingungen und ihre Auswirkungen auf die Zukunft der Menschheit bis zum Jahr 2000.
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Ein Fall fürs Altpapier?
Zum 50-jährigen Jubiläum des Berichts schrieb der „Spiegel“: „Im besten Fall lässt sich sagen, dass „Die Grenzen des Wachstums“ vor 50 Jahren geholfen haben, den Blick für Umweltprobleme zu schärfen. Im schlechtesten Fall trug es dazu bei, den Glauben an den Fortschritt zu zerstören. So oder so ist das Buch ein Fall fürs Altpapier.“
Tatsache ist: Allen Unkenrufen zum Trotz hat der moderne Mensch mit Hilfe seiner Rationalität und seines Erfindungsreichtums sowie des technischen Fortschritts noch immer eine Lösung gefunden:
Dank der grünen Revolution konnten die landwirtschaftlichen Erträge enorm gesteigert werden.
Dank des medizinischen Fortschritts wurde die Kindersterblichkeit massiv gesenkt.
Dank verbesserter Bildungschancen haben immer mehr die Chance zum sozialen Aufstieg.
Doch wie lange wird das noch gut gehen? Dass angesichts der begrenzten Ressourcen ein globales Umdenken und Umsteuern stattfinden muss, ist unbestritten. Die Frage ist, wo der Hebel zu einem ökologisch nachhaltigen Weltwirtschaftssystem ansetzen soll. Der Wandel in Richtung mehr Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit muss gelingen.
Sollte er scheitern, werden sich die globalen Krisensymptome weiter verschärfen. Dann könnte die Warnung des australischen Umweltaktivisten und früheren Chefs von Greenpeace International, Paul Gilding, Wirklichkeit werden: „Mit dem Zwang zu immer mehr Wachstum und einer Überforderung des Planeten frisst sich unser System selbst auf.“
„Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“
Ungeachtet seiner zahllosen Kritiker hat der 1968 gegründete Zusammenschluss von Experten verschiedener Disziplinen aus mehr als 30 Ländern einige Nachfolgewerke veröffentlicht. Das neueste vom Club of Rome und Wuppertal Institut herausgegebene 280-Seiten-Werk ist ausgerechnet im „Spiegel“-Verlag erschienen und trägt den Titel: „Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle“.
Die zentrale These des Thinktanks lautet: Klimawandel und drohende Überlastung unseres Planeten lassen sich nicht ohne tiefgreifende Veränderungen auch in sozialen Bereichen begegnen. Die unter anderem vom Club of Rome organisierte Initiative, „Earth4All“, legt nun einen Bericht für Deutschland vor. In ihm würden praktische Lösungen, die auf den Kontext hierzulande zugeschnitten seien, angeboten, erläutern Sandrine Dixson-Declève und Paul Shrivastava, Präsidentin und Präsident des Club of Rome.
Wirtschaftlicher Fortschritt müsse mit ökologischer Gesundheit und sozialer Gerechtigkeit in Einklang gebracht werden, heißt es im Vorwort von „Earth for All Deutschland“ weiter. „Wir hoffen, dass dieser Bericht zum Handeln anregt. Gemeinsam können wir eine Welt aufbauen, in der sowohl die Menschen als auch unser Planet gedeihen.“
Vor gut 50 Jahren rüttelte der Gelehren-Club mit seinem Bericht „The Limits to Growth. A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind“ die Welt auf. Der Bericht gilt als einflussreichste Publikation zur drohenden Überlastung unseres Planeten. Wenn sich die globale Wirtschaftsweise nicht ändere, brächen Ökonomie, Umwelt und Lebensqualität zusammen, warnte damals die Forschergruppe.
Im 2022 vorgestellten Folgebericht „Earth for All“ ging es um zentrale Maßnahmen für eine lebenswerte Zukunft der Menschheit:
Beendigung der Armut
Beseitigung der eklatanten Ungleichheit
Empowerment (Ermächtigung) der Frauen
Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems
Übergang zum Einsatz sauberer Energie.
An diesen Kernthesen zieht sich auch das aktuelle Buch entlang. Zu den Hauptautoren von „Earth for All Deutschland“ gehören Manfred Fischedick, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, einer Denkfabrik für Nachhaltigkeitsforschung, weitere Experten der Forschungseinrichtung in Wuppertal und Till Kellerhoff, Programmdirektor des Club of Rome.
Die Treibhausgasemissionen wie erforderlich noch weiter zu reduzieren, sei eine komplexe politische und gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe, die derzeit durch multiple globale Krisen und geopolitische Spannungen überlagert werde, schreibt Fischedick in einem weiteren Vorwort.
Das Buch handele „von radikaler Veränderung“, heißt es zu Beginn. Das sei keine unerreichbare Utopie, sondern eine Vision. Dass Veränderung überraschend schnell möglich ist, zeigt ein Blick zurück: „Noch 1993 gingen Unternehmen der deutschen Energiewirtschaft in einer Zeitungsanzeige davon aus: ‚Regenerative Energien wie Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 Prozent unseres Strombedarfs decken‘“, wird im Buch zitiert. „Heute liegt der Anteil schon nahe bei 60 Prozent, Tendenz steigend.“
Eigentliche Herausforderungen kommen erst noch
Bei der Energiewende liege die eigentliche Herausforderung durch die Verkehrs- und Wärmewende allerdings bis zur Jahrhundertmitte noch vor uns. „Nicht zuletzt, weil beide Bereiche direkt in den Alltag der Menschen hineinreichen.“ Veränderungen seien unmittelbar spürbar und weniger abstrakt als bei der Umstellung auf erneuerbare Energien.
Betont wird im Buch auch, dass es bereits positive Trends gibt:
sinkende Kosten für erneuerbare Energien (Photovoltaik und Wind) und für Stromspeichertechnologien
weltweit wachsende Green-Tech-Branchen
Bemühungen um Kreislaufwirtschaft in der EU
wachsende Bereitschaft, Subventionen für fossile Energien abzuschaffen
Ohne mehr Gerechtigkeit geht es nicht
Oft noch zu wenig beachtet werde die extreme Ungleichheit der Weltgesellschaft mit schroffen Gegensätzen zwischen Reich und Arm. Auch die deutsche Politik behandele diesen Aspekt viel zu kurzsichtig. Denn nicht nur global zwischen Ländern, auch innerhalb Deutschlands tue sich ein Graben auf zwischen denen, die viel zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beitragen, und denen, die wenig beitragen, aber stark unter den Folgen leiden.
„Vereinfacht gesagt: Wer wenig verdient, hat kein Auto und macht keine Fernreisen, wohnt aber beengt dort, wo die Luft besonders schlecht und der Lärm besonders laut ist.“ Zu befürchten sei zudem, dass sich die Belastungen für diese Haushalte im Zuge des fortschreitenden Klimawandels noch verschärfen, da gerade in diesen Gegenden Probleme mit Hitzeinseln und wenig Zugang zu Grünflächen bestehen.
Arme schon immer im Nachteil
Neu sei dieses Phänomen nicht: „Historische Daten offenbaren, dass schon vor 200 Jahren die Villen der Fabrikanten dort gebaut wurden, wo der Wind und damit die frische Luft herkam (meist im Westen), und in Windrichtung der Fabrik (meist nach Osten) die Wohnquartiere der Fabrikarbeiter.“
Welchen Bildungsabschluss Kinder erreichen, hänge sehr stark vom Bildungsniveau der Eltern ab. Dass jeder Mensch durch eigene Arbeit den Aufstieg schaffen könne, sei ein zentrales Versprechen der sozialen Marktwirtschaft. In Deutschland sei die soziale Mobilität aber geringer als in den meisten anderen reichen Ländern. „Vor allem die Aufstiegschancen der unteren Einkommensgruppen sind gering und sinken derzeit weiter.“
Wen das Sparen an öffentlicher Infrastruktur trifft
Um soziale Gerechtigkeit gehe es auch, wenn wie in Deutschland seit Jahren zu wenig in den Erhalt von Schwimmbädern, Schulen und anderer öffentlicher Infrastruktur investiert werde. Gerade arme Haushalte seien darauf angewiesen. „Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder auf eine private Schule, hat ein eigenes Schwimmbad und kann bequem mit seinem Auto überall hinfahren“, heißt es dazu. „Wer sich all das nicht leisten kann, ist auf öffentliche Schulen, Hallenbäder und ÖPNV angewiesen – sprich einen leistungsfähigen Staat und eine gute Infrastruktur.“
Negativbeispiele gebe es auch im Bereich staatlicher Förderprogramme – etwa dem für den Kauf und die Installation einer Ladestation für Elektroautos (Wallbox) in Kombination mit einer Photovoltaikanlage und einem Solarstromspeicher. „Davon profitierten nämlich vor allem Eigenheimbesitzende, die sich ein Elektroauto leisten können.“ Eine ohnehin wirtschaftliche Investition sei für diese wohlhabende Klientel noch wirtschaftlicher gemacht worden.
Wachsende Ungleichheit bedeutet Ruck nach rechts
Mit der wachsenden Ungleichheit steige die Angst vor Veränderungen – „und für viele ist die persönliche Zumutbarkeitsschwelle, ob berechtigt oder nicht, erreicht. Die Solidarität sinkt. Die Gesellschaft rückt nach rechts.“
Weitere Kapitel sind Themen wie Gleichberechtigung, Bildung und Ernährung gewidmet. Erklärt wird zudem, dass die Kostenwahrnehmung beim Klimaschutz derzeit vielfach viel zu kurzfristig sei. Bei der Behauptung, dass die Bekämpfung des Klimawandels zu viel kostet, werde ausgeblendet, dass Untätigkeit am Ende viel mehr kosten würde.
„Verpasst Deutschland in der Energiewende den großen Sprung, würde das für uns alle langfristig teurer und keineswegs sicherer werden. Im schlimmsten Fall werden die Schäden – etwa durch einen ungebremsten Klimawandel – irreparabel sein.“
„Dieses Buch ist für uns der Startschuss auf einem längeren Weg“, heißt es abschließend. Ein großer Sprung in eine bessere Zukunft sei in Deutschland möglich, wenn auch hoch ambitioniert. Auch ein gutes Leben für alle auf dieser Erde sei eine große, aber machbare Gemeinschaftsaufgabe. „Mit diesem Buch schlagen wir eine Richtung vor. Die genauen Wege müssen wir gemeinsam finden.“