Frankfurt/Main - Der Abgang von Reinhard Grindel wird für den Deutschen Fußball-Bund zur großen Chance - viel Zeit bleibt dem heftig durchgeschüttelten Krisenverband aber nicht.
Wie schon 2015 müssen Reinhard Rauball und Rainer Koch einen neuen Mann für die DFB-Spitze finden. Damals drängte der nun gescheiterte Reinhard Grindel ins Amt. Jetzt geht die Frage über die Personalsuche hinaus - für eine tiefgreifende Reform bleiben nur wenige Monate.
Frankfurt/Main - Der Abgang von Reinhard Grindel wird für den Deutschen Fußball-Bund zur großen Chance - viel Zeit bleibt dem heftig durchgeschüttelten Krisenverband aber nicht.
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Während dem zurückgetretenen Präsidenten nach einer Serie von Pannen und Fehltritten weiteres Unheil von UEFA und FIFA droht, steht der größte nationale Fachverband vor einer echten Zeitenwende. Nach monatelangen Turbulenzen hat der DFB nun ein knappes halbes Jahr zur Neuausrichtung.
Bis zum Bundestag am 27. September soll nicht nur ein anerkannter und unbelasteter Grindel-Nachfolger gefunden werden, der Verband will auch maßgebliche Reformen anstoßen. "Amateur- und Profivertreter sind nun gemeinsam gefordert, bis zum kommenden DFB-Bundestag die Weichen für die Zukunft zu stellen. Nicht nur sportlich, sondern auch mit Blick auf die Positionierung in der Gesellschaft steht der DFB vor enormen Herausforderungen", sagte Reinhard Rauball, der im Sommer als Ligapräsident aufhört - auch für ihn gibt es noch keinen fixen Nachfolger.
Wie schon nach dem Aus von Grindels Vorgänger Wolfgang Niersbach im Herbst 2015 im Zuge des Sommermärchen-Skandals liegt die Interimsführung nun bei Rauball und dem Chef der Amateurverbände, Rainer Koch. Die öffentliche Debatte geht nach den moralischen Verfehlungen von Grindel - wie dem letztlich entscheidenden Uhrengeschenk von Funktionärskollege Grigori Surkis aus der Ukraine - über die reine Chef-Personalie aber weit hinaus. National wie international.
Zum einen wird der Ruf nach einer grundlegenden Strukturreform des Verbandes mit seinem komplizierten Gebilde aus vielen Amateurvertretern und der einflussreichen Profi-Fraktion als sich stetig bekämpfenden Polen immer lauter. Zum anderen muss der DFB auch nach außen gegen ein desaströses Erscheinungsbild ankämpfen.
International muss der Verband sich positionieren, ob FIFA-Chef Gianni Infantino am 5. Juni im Amt bestätigt werden soll. Da mischt auch Grindel als Mitglied der UEFA-Exekutive und des FIFA-Councils weiter mit. Dass er diese Ämter behalten darf, ist eine taktische Erwägung des DFB. Würde er sie aufgeben, wäre derzeit überhaupt nicht gesichert, dass ein deutscher Kandidat nachrückt.
Nach Informationen der "Welt" ist Grindel beim europäischen Dachverband aber nicht haltbar. "Er ist ein guter Typ, aber wir haben keine andere Option, als hart mit ihm zu sein", zitierte die Zeitung einen hochrangigen UEFA-Funktionär. "Wenn er aus ethischen Gründen beim DFB aufhört, kann er nicht gleichzeitig bei der UEFA bleiben. Das wäre komplett unrealistisch. Für den DFB ist er nicht gut genug, aber für die UEFA schon? Das kann ja nicht sein." In den kommenden Tagen solle Grindel demnach auch dort der Rücktritt nahegelegt werden.
Auch die Ethikkommission des Weltverbandes wird sich den Fall vermutlich sehr genau anschauen - auch wenn sich sowohl FIFA als auch UEFA offiziell noch bedeckt hielten. Kurzfristig bedeutender als die diplomatische Vertretung auf dem internationalen Parkett sind aber erst einmal die Aufräumarbeiten innerhalb des nationalen Verbandes.
"Der deutsche Fußball braucht jetzt viel, aber keine ermüdenden Diskussionen über Namen. Der DFB ist nun vor allem aufgefordert, seine Strukturen zu prüfen und sich weiterzuentwickeln", sagte Vize Peter Frymuth der "Rheinischen Post". Eine entscheidende Frage wird sein, ob der nächste DFB-Chef weiter als Ehrenamtler den Posten ausüben soll. Den Strukturen im Spitzenfußball wird diese Praxis schon lange nicht mehr gerecht.
Während sich 2015 eine Kandidatur des damaligen DFB-Schatzmeisters Grindel zumindest schon abzeichnete, ist diesmal völlig offen, wer den DFB aus der nächsten großen Krise führen soll. "Wer soll es jetzt nur tun? Ja, generell gilt es zu fragen: Wer will das Amt dann überhaupt noch?", fragte die "Neue Zürcher Zeitung" am Mittwoch und schrieb weiter von einem "Verband der Skandale, ja man kann ohne weiteres behaupten, dass er sich seit gut anderthalb Jahrzehnten von Krise zu Krise hangelt".
Klar machte die bereits bekannte Doppelspitze bislang nur: Die neue Führungskraft soll nicht aus dem Kreis des jetzigen Präsidiums kommen - DFB-Direktor Oliver Bierhoff scheidet damit als Kandidat aus. Philipp Lahm wurde schon nach dem WM-Desaster und dem schlechten Krisenmanagement Grindels in der Foto-Affäre um Mesut Özil und Ilkay Gündogan im Sommer 2018 als möglicher Kandidat genannt. Doch der Ehrenspielführer beteuerte, er habe keinerlei Pläne in diese Richtung.
Ex-Nationalmannschaftskollege Christoph Metzelder gilt ebenso als charismatische Führungskraft mit Integrationspotenzial und erfüllt damit eine Bedingung für das Profil des nächsten DFB-Präsidenten. Thomas Hitzlsperger vom VfB Stuttgart hat derweil keine Ambitionen auf das Amt. "Ich habe meine Aufgabe als Sportvorstand beim VfB Stuttgart gerade erst angetreten. Diese Aufgabe füllt mich voll und ganz aus, und es ist für mich keine Option, eine andere Position außerhalb des VfB anzustreben", teilte der 36-Jährige am Mittwoch auf dpa-Anfrage mit. Hitzlsperger hatte mit Lahm und Metzelder die WM 2006 und die EM 2008 gespielt und verfügt über DFB-Erfahrung als Vielfaltsbotschafter.
In jedem Fall dürfte der Markt nach einem Kandidaten mit ausreichend Fußball-Hintergrund abgesucht werden - das war eine Grundschwäche bei Grindel. Bayer Leverkusens Sportchef Rudi Völler konnte 2000 nicht Nein sagen, als der DFB dringend einen Teamchef brauchte. Doch spekuliert wird auch über fußballferne Namen: von Ex-Daimler-Chef Dieter Zetsche über den ehemaligen Innen- und Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) bis hin zu Sylvia Schenk. Die Frage ist: Wer will sich diesen DFB zumuten?