Nach der WahlIHK: Auf Landrat warten viele Baustellen
Jolf Schneider 26.06.2023 - 17:24 Uhr
Sonneberg bekommt als erster Landkreis in Deutschland einen Landrat von der AfD. Aus Sicht der IHK Südthüringen muss dieser viele strukturelle Probleme im Kreis angehen, denn eine schöne Landschaft allein reiche nicht aus.
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Der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Südthüringen hat nach der Wahl von AfD-Kandidat Robert Sesselmann zum neuen Landrat vor einer Blockadepolitik gewarnt. „Letztlich befasst sich ein Landrat mit Verwaltungsthemen wie Müllentsorgung, ÖPNV und Schulverwaltung. Daran sollte sich der neugewählte Landrat halten. Die anderen Parteien im Kreistag sollten ihren Job im Interesse des Landkreises machen“, sagte IHK-Präsident Torsten Herrmann am Montag laut einer Mitteilung der Kammer.
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Der Landkreis Sonneberg habe wie die gesamte Region Südthüringen eine Reihe struktureller Probleme. Zwar gebe es eine prosperierende Wirtschaft mit einer hohen Industriedichte und einer unterdurchschnittlichen Arbeitslosenquote. Doch es bestünden große Defizite in Bereichen wie der medizinischen Versorgung, dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), Einkaufsmöglichkeiten und dem gastronomischen Angebot.
Bei der Wahlentscheidung der Sonneberger hätten bundespolitische Themen eine große Rolle, bilanzierte Herrmann. „Die Regelungsflut und der von zunehmender Bevormundung geleitete Weg in eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft wird auch von unseren Mitgliedsunternehmen kritisiert. Diese Signale sollte die Bundespolitik ernst nehmen und Probleme stärker über freiheitliche und marktwirtschaftliche Mechanismen lösen“, sagte Herrmann. Für den Landkreis Sonneberg, die dort ansässigen Unternehmen und die Bevölkerung ist es jetzt wichtig, dass es nicht zu einer Blockadepolitik kommt.
Insgesamt sieht die Kammer den Landkreis vor großen Herausforderungen. Sonneberg galt über Jahre als Musterlandkreis. Wegen einer gut laufenden Wirtschaft und der Nähe zu Franken war die Arbeitslosigkeit über Jahre die niedrigste in ganz Ostdeutschland. Doch in den vergangenen Jahren hat Sonneberg diesen Spitzenplatz eingebüßt.
Im Landkreis Sonneberg gebe es neben einer prosperierenden Wirtschaft viel Natur. Kinderbetreuung, Bildung und öffentliche Sicherheit seien auf einem hohen Niveau. Vielen Menschen würden auch die Sport- und Freizeitangebote gefallen. Damit höre es aber auch auf, bilanzierte die Kammer am Montag aus ersten Ergebnissen einer aktuellen Umfrage der Industrie- und Handelskammer. Diese zeige etliche Defizite. Diese müssten behoben werden, damit die Region attraktiv zum Leben und Arbeiten werde. Nicht alle Aufgaben lägen in der Hand des Landratsamts. Doch selbst bei fehlender Zuständigkeit sei der neue Landrat als Moderator und Wirtschaftsförderer gefragt, erklärte IHK-Hauptgeschäftsführer Ralf Pieterwas.
Anlass für die Umfrage war ein Ergebnis der IHK-Arbeitsmarktumfrage 2022. Dort hatten 47 Prozent der Unternehmen angegeben, dass die Region attraktiver für Beschäftigte gemacht werden müsse, damit die Fachkräftesicherung gelingt. Für Südthüringen wurde ein ähnliches Ergebnis ermittelt, für Deutschland als Ganzes jedoch nur 24 Prozent. Damit liegen die Ursachen für das Umfrageergebnis vor Ort.
Nahezu optimal sei nur die Umweltqualität im Landkreis Sonneberg, von der fast alle befragten Unternehmen begeistert seien. Doch Landschaft gebe es fast überall. Daher erscheine es als wichtig, dass außerdem das Kinderbetreuungsangebot und die öffentliche Sicherheit und Ordnung hohe Zustimmungswerte erreichen. 59 Prozent der Unternehmen halten das Angebot der allgemeinbildenden Schulen für sehr attraktiv oder attraktiv. Im Fall der Sport- und Freizeitmöglichkeiten beträgt dieser Anteil 51 Prozent.
„Viele Unternehmen sind auf der Suche nach Mitarbeitern, weil die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Junge Menschen kommen nicht im gleichen Umfang nach und haben Auswahl, wo sie leben und arbeiten wollen. Die Unternehmen stehen daher vor der doppelten Herausforderung, Mitarbeiter zu binden und in anderen Regionen zu finden. Dabei wird es immer wichtiger, ob man in seiner Region ein gutes Leben führen kann. Für den Landkreis Sonneberg kann dies nur teilweise bejaht werden. Große Defizite bestehen unter anderem im öffentlichen Nahverkehr und in der medizinischen Versorgung“, erklärte Pieterwas.
Am wenigsten attraktiv erscheint den Unternehmen das gastronomische Angebot. Nur acht Prozent sehen hierin einen Grund, den Landkreis zum Lebensmittelpunkt zu machen. In den vergangenen Jahren haben viele Gaststätten aufgegeben, darüber hinaus besteht da und dort Luft nach oben in Sachen Qualität und Service. Auch das Kulturangebot findet mit einem Anteil von 21 Prozent wenig Zustimmung. Im Idealfall könnten sich kulturelle Events und Gastgewerbe gegenseitig beflügeln. Im ländlichen Raum sei ein Kulturangebot für jeden Geschmack allerdings schwierig, räumte Pieterwas ein.
Um so wichtiger sei die Mobilität, um Events in der Umgebung erreichen zu können. Der öffentliche Personennahverkehr in Sonneberg erscheint laut IHK aber ausbaufähig, wenn vier von fünf Unternehmen ihn als wenig attraktiv bis unattraktiv beurteilen.
Ein großes Defizit sei auch die medizinische Versorgung. Das Angebot von Allgemeinmedizinern bewerten 29 Prozent der Befragten attraktiv, das von Fachärzten 24 Prozent. Zugezogene Mitarbeiter müssten davon ausgehen, dass sie im Landkreis Sonneberg keinen Hausarzt finden. Allerdings werde es auch mit dem Dach über dem Kopf schwierig, da die Verfügbarkeit von Wohnraum aus Sicht von drei von vier Unternehmen ebenfalls ein Standortnachteil sei.
Darüber hinaus weisen die Unternehmen auf wenig attraktive Verdienstmöglichkeiten, eingeschränkte Einkaufsmöglichkeiten und ein bescheidenes Breitbandangebot hin. „Die Prognose ist daher erlaubt: Der neue Landrat wird sich nicht langweilen“, so Pieterwas.
Derzeit führt die IHK Südthüringen eine Standortzufriedenheitsumfrage durch. In dieser Umfrage wird noch genauer untersucht, worin die Stärken und Schwächen der einzelnen Landkreise bestehen. Außerdem werden die Standortbedingungen für Deutschland als Ganzes untersucht. Erste Ergebnisse werden im Herbst 2023 erwartet.