Nach der Hilfsaktion Leonards Start in ein sorgloseres Leben

Madlen Pfeifer
Am 8. Februar sind Stefanie Moersch, der kleine Leonard und der große Bruder Justin in Erfurt, um die Glocke zum Ende der Chemotherapie-Behandlung zu läuten. Foto: privat/privat

Vor wenigen Tagen hat Stefanie Moersch für ihren Sohn Leonard im Erfurter Klinikum die Glocke geläutet. Sie symbolisiert das Ende der Chemotherapie-Behandlung und zugleich den Start in ein zwar noch nicht tumorfreies, aber hoffentlich nun unbeschwerteres Leben.

 
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Der 8. Februar wird Stefanie Moersch wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Ebenso wie der 4. Januar. Es sind zwei Tage, an denen sich das Leben der Mutter, vor allem ihres Sohnes Leonard und das der ganzen Lauschaer Großfamilie zwar noch nicht ganz zum Positiven verändert, aber es doch zumindest nach den zurückliegenden Monaten zwischen Hoffen und Bangen wieder in die richtigen Bahnen gelenkt hat.

Wie mehrfach berichtet, hatten Ärzte im Dezember 2021 bei dem damals Einjährigen einen 4,5 mal 4,5 Zentimeter großen Hirntumor diagnostiziert. Der Befund krempelt das Leben der zehnköpfigen Familie vollends um. Der Fokus richtet sich fortan auf den kleinen Jungen. Darauf, dass er wieder gesund wird. Mutter Stefanie kann ihrer selbstständigen Arbeit nicht mehr nachgehen. Die übrigen sieben Kinder müssen viel zurückstecken. Und der Vater kommt mit der Situation nicht zurecht. Das Paar lebt seither getrennt. Das Hilfswerk dieser Zeitung „Freies Wort hilft“ hatte vergangenes Jahr einen Spendenaufruf für Leonard gestartet. Mehr als 20000 Euro haben Leser im Zuge dessen gespendet. Geld, das der Familie zumindest finanzielle Ängste genommen und ihr unter anderem einen Urlaub an der Ostsee, gemeinsame Zeit und schöne Erlebnisse ermöglicht hat. Die Sorge um den jüngsten Sohn und Bruder aber bleibt.

Die Hälfte des Tumors wurde entfernt

Leonard hat seit der Diagnose unzählige Chemotherapien über sich ergehen lassen müssen. Das Ergebnis der gut einjährigen Behandlungen aber ist ernüchternd. Das bisher letzte MRT vom Dezember zeigt, wie Stefanie Moersch erzählt, keine Veränderung. „Im Großen und Ganzen war die Chemotherapie für die Katz“, sagt sie. Für die Mutter steht fest, dass sie die Behandlung, die bis zu Leonards drittem Geburtstag im Juli angedacht war, vorzeitig abbricht. Vor allem, weil sich ein Hoffnungsschimmer in Berlin aufgetan hat. In Eigeninitiative hatte Stefanie Kontakt zu einer auf Hirntumore bei Kindern spezialisierten Klinik aufgenommen und die jüngste MRT-Aufnahme dorthin geschickt. Noch im Dezember stand fest: Leonard wird am 4. Januar operiert und der Tumor dabei – soweit es geht – entfernt.

Vier bis fünf Stunden hat der Eingriff gedauert. 51 Prozent des pfirsichgroßen Geschwulstes konnten beseitigt werden. „Leonard hat die OP total gut weggesteckt“, erzählt Stefanie. Zwar sei es ihm die ersten drei Tage noch nicht so gut, aber danach dann ziemlich schnell aufwärts mit ihm gegangen. Am fünften Tag durften Mutter und Sohn nach Hause gehen. Oder vielmehr zur anschließenden Reha. Drei Wochen waren Minimum geplant. Leonard aber sträubte sich, ließ kaum eine Therapie über sich ergehen. Stefanie zog nach einer Woche die Reißleine und trat die Heimreise an. Weg von Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen. „Raus aus den weißen Räumen mit piepsenden Geräten“, sagt sie. Das habe man in den vergangenen Monaten viel zu oft erleben müssen.

Stefanie und Leonard sind also seit Mitte, Ende Januar zu Hause. Medikamente braucht der Zweijährige keine mehr. Auch der Portkatheter, den er dauerhaft zur Verabreichung der Chemotherapie tragen musste, ist inzwischen entfernt worden. Ähnlich ist es mit dem künstlichen Ablaufsystem, das ihm seinerzeit eingesetzt wurde, weil das Hirnwasser aufgrund des Tumors nicht auf natürlichem Weg abfließen konnte. Noch befindet es sich in seinem Körper, ist aber nicht mehr im Einsatz. Einzig der Schlauch in den Magen muss noch funktionstüchtig bleiben, um ihm weiterhin künstlich Nahrung zuzuführen. Es ist das nächste Ziel, von der Magensonde weg zu kommen. Eines, das nicht ganz so einfach zu erreichen scheint.

Langsam zurück in die Normalität

Wie Stefanie erzählt, gebe es zwar in Deutschland von der Krankenkasse unterstützte Entwöhnungsprogramme, die aber für den Jungen wiederum mit Arzt- und Krankenhausbesuchen einhergehen würden. Und seine Mutter weiß aus den Erfahrungen der vergangenen Monate, dass das mit ihrem Sohn nur schwer bis gar nicht umzusetzen ist. Sie hat sich weiter informiert und ein Therapiezentrum in Österreich ausfindig gemacht, über das eine Entwöhnung von zu Hause aus via Online-Behandlung möglich ist. Das Problem: Die Krankenkasse zahlt das nicht. Doch ist sie im Zuge ihrer Recherchen auf einen sehr ähnlichen Fall gestoßen, bei dem ein Gericht anders entschieden habe – sprich die Kasse für die Behandlung aufkommen müsse, wie sie erzählt. Im Moment ist Stefanie noch uneins, ob sie den gleichen, aber wohl zeitintensiven Weg gehen soll – Zeit, in der Leonard weiter von der Sonde abhängig wäre – oder aber einen Teil des „Freies-Wort-hilft“-Spendengeldes dafür in die Hand nimmt, um schnellstmöglich mit der Entwöhnung beginnen zu können.

Ein weiterer bedeutender Schritt im Leben der Familie und des kleinen Leonards, für den bereits Gespräche laufen, ist der Kindergarten. „Das ist jetzt so wichtig“, sagt Stefanie. Mehr als ein Jahr lang hat der Zweijährige den Großteil seiner Zeit in Krankenhäusern allein mit seiner Mutter verbracht. „Er hängt an mir wie ein Kaugummi“, so die 39-Jährige. Sie wünscht sich nichts mehr, als dass ihr Jüngster endlich einfach Kind und mit Gleichaltrigen zusammen sein und spielen kann. „Diese ganz banalen Sachen.“ Stefanie verknüpft mit dem Kindergarten-Besuch auch die Hoffnung, „dass es mit der Sprache vorwärts geht“ – denn auch die beziehungsweise das dafür zuständige Zentrum im Hirn hatte der Tumor beeinträchtigt. In der kommenden Woche soll es in der Lauschaer Kita ein Gespräch vor Ort geben – auch zusammen mit Verantwortlichen, die dem Jungen einen Integrationshelfer zur Seite stellen wollen. Und dann wird entschieden, wann Leonards erster Tag im Kindergarten sein und wie lange er anfangs dort betreut wird. Angepeilt seien erst einmal ein paar Stunden am Vormittag, sagt Stefanie. Stunden, die auch ihr selbst wieder ein wenig Zeit für sich, für ihre anderen Kinder und – schon ein wenig weitergedacht – dann auch wieder für ihre Arbeit, das Nähen, ermöglichen. „Es ist ein Stück Normalität, das zurückkehrt. Langsam aber stetig“, sagt Stefanie. „Es kann nur besser werden.“

Ungewisse Zukunftsaussichten

Mit der Operation am 4. Januar hat für Leonard und seine Familie ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Es ist, wenn man so will, sein zweiter Geburtstag. Und einen dritten kann er künftig auch noch feiern – immer am 8. Februar. An dem Tag, als er auf der Kinderkrebsstation im Klinikum Erfurt die Glocke betätigen und damit im wahrsten Sinne des Wortes das Ende der Behandlung einläuten durfte. Mit welcher Prognose er in die Zukunft starten kann? Mutter Stefanie zuckt mit den Schultern. Die Ärzte mögen sich nicht festlegen, sagt sie. Die Erfahrungen seien ganz unterschiedlich. Es gebe Patienten, die seinerzeit in Leonards Alter waren und heute gesunde Jugendliche sind, aber auch Kinder, bei denen sich drei, vier Jahre später der gesundheitliche Zustand wieder verschlechtert.

„Ich bin jetzt gespannt auf das nächste MRT“, sagt Stefanie. Vier Monate nach der Operation steht das an, folglich im Mai. „Vielleicht“, so die Mutter, „haben wir ja Glück und der Rest des Tumors ist dann einfach verschwunden.“ Positiv denken ist jetzt die Devise und den Weg weitergehen, der sich mit dem neuen Jahr ergeben hat. Wo dieser hinführen wird? Die Familie ist gespannt. Eine Route aber ist schon ganz fest eingeplant. Und zwar eine in Richtung Urlaub, gemeinsame Zeit und unvergessliche Momente mit allen Kindern in den Sommerferien. „Diesmal ein bisschen weiter weg“, sagt Stefanie. „Vielleicht mit dem Flieger nach Spanien. Das habe ich mir vorgenommen, dass wir das dieses Jahr machen.“ Dank all der Leser, die im vergangenen Jahr so viel Geld für den kleinen Leonard gespendet haben.

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