„Münchener Freiheit“-Sänger Tim Wilhelm „Ich betrachte unser ganzes Leben als Urlaub“

Jessica Helbig
Das Konzert der „Münchener Freiheit“ zur Suhler Schwarzbiernacht 2015. Vorerst wird die Band der Bühne weiter fernbleiben müssen. Foto: frankphoto.de

Es hätte so schön werden können! Am 10. Juli wollte die Kult-Band Münchener Freiheit beim „SoS“-Festival spielen. Doch dann brach sich Schlagzeuger Rennie den Arm, die Band musste absagen. Bevor die traurige Nachricht die Runde machte, war Sänger und Frontmann Tim Wilhelm spontan zum Interview nach Suhl gekommen – und hat unsere Volontärin auf einen Kaffee in seinen Campingbus eingeladen.

 
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Nicht gerade von seiner schönsten Seite zeigt sich Suhl, als Tim Wilhelm mit seinem schwarzen Campingbus am Platz der Deutschen Einheit vorbeifährt. Der Himmel ist grau, es fängt gerade an zu regnen und die wenigen Menschen, die auf der Straße zu sehen sind, beschleunigen ihren Schritt. Der Sänger bringt den Bus vor dem City-Hotel zum Stehen. Eilig springt er aus dem Auto und verschwindet durch die automatische Schiebetür im Dunkel des Hochhauses am CCS. Als er kurze Zeit später daraus zurückkehrt, sagt er strahlend: „Ich kann hier stehenbleiben. Und die machen uns einen Kaffee.“

Mit wenigen Griffen richtet Tim das Innere seines Autos so her, dass wir uns bequem und mit genügend Abstand gegenübersitzen können. Eigentlich hatte das Gespräch erst einen Tag später in einer Bar stattfinden sollen. Doch wegen eines anderen Termins war Tim Wilhelm spontan früher in die Stadt gekommen. Etwas improvisiert ist das Treffen also. Aber in puncto Gemütlichkeit steht der Van der Bar in nichts nach.

Unter den wachsamen Augen von Hund Seppi, der Tim auf seinen Touren immer begleitet, beginnen wir das Gespräch:

Tim, nach der langen Corona-Pause könnt Ihr nun endlich bald wieder live spielen. Seid Ihr aufgeregt?

Da kann ich natürlich nicht für alle antworten – wir sind schließlich Individuen und haben auch unterschiedliche Funktionen in der Band. Für mich als Frontmann ist der Kontakt mit den Menschen fast so eine Art Elixier. Deshalb überwiegt die Vorfreude bei mir immer. So eine gewisse Aufregung spüre ich aber dennoch und darüber bin ich auch froh, weil die ein Teil dessen ist, was meinen Beruf so besonders macht. Würde ich das Kribbeln nicht mehr spüren, dann wäre ich vielleicht gut beraten, mir einen anderen Beruf zu suchen.

Wie habt Ihr die Zeit, in der Ihr keine Konzerte spielen konntet, genutzt?

Wir konnten zwar keine neue Platte fertig produzieren, da wir aufgrund der Auflagen nicht zeitgleich gemeinsam ins Studio durften. Aber wir haben Lieder geschrieben und jeder weiter Demos aufgenommen. Heutzutage kann man Vorproduktionen ja auch zu Hause machen. Ende vergangenen Jahres haben wir außerdem eine Live-Platte herausgebracht. Da haben wir uns wirklich mal die Zeit genommen, uns hinzusetzen, durch viele Live-Mitschnitte durchzuhören und so ein kleines Potpourri zu erstellen.

Eine Konzertpause ist für uns gar nicht so ungewöhnlich, in aller Regel sind wir im Winter ohnehin nicht auf Tour. Jetzt ist sie leider viel länger ausgefallen. Solche Phasen nutze ich dann für andere Projekte, spiele zum Beispiel Theater. So mache ich es auch, wenn die anderen im Urlaub sind. Die Pause jetzt habe ich auch genutzt, um mit einem Freund zusammen ein Theaterstück zu schreiben.

Klingt, als wärst du sehr umtriebig! Gönnst du dir denn gar keinen Urlaub?

In gewisser Weise betrachte ich unser ganzes Leben als Urlaub. Wir dürfen da unserem Beruf und unserer Berufung nachgehen, wo andere Urlaub machen und die schönsten Ecken im Herzen von Europa bei unseren Konzertreisen kennenlernen – das ist doch toll! Für mich ist das oft Urlaub genug. Dann kann man zwei, drei Tage in einer schönen Region verbringen und dann geht’s weiter zu neuen Taten.

So wie heute: Da bist du – ziemlich spontan – für ein Interview mit unserer Zeitung in den schönen Thüringer Wald gekommen, später fährst du noch zu einem weiteren Termin nach Wunsiedel ins Fichtelgebirge. Was reizt dich daran, so viel unterwegs zu sein und immer direkt vor Ort?

Wirtschaftlich war das sicher nicht die sinnvollste Entscheidung, hierher zu fahren statt das Interview am Telefon zu machen, aber so ticke ich halt. Ich bin eben ein einfacher Cowboy – man kann mich einfach ansprechen. Ich finde es viel schöner, Menschen in die Augen schauen zu können und sich kennenzulernen. Auch nach den Konzerten bleibe ich gern bis zum Schluss und tausche mich ehrlich mit dem Publikum aus.

Als „einfacher Cowboy“ bist du allerdings nicht auf einem Pferd unterwegs, sondern in einem ausgebauten Bus. Woher kam die Idee dazu?

(grinst) Hier bleibe ich ganz dem Dichterwort treu: Das einzig Beständige ist der Wandel. Aber mal ganz im Ernst gesprochen: Ich betrachte das als Geschenk, Musik und Unterhaltung für Menschen machen zu dürfen. Das wollte ich schon als kleines Kind. Dabei war für mich immer klar, dass ich auch wirklich unterwegs sein möchte. Das hängt wieder mit dem direkten Austausch, der Begegnung mit den Menschen zusammen.

Während der ersten Touren ist die Idee entstanden, dass es einfach schön wäre, unabhängig unterwegs zu sein, um in den ganzen Regionen, die man bereisen darf, vielleicht auch mal eine Nacht länger bleiben zu können, wenn am übernächsten Tag kein örtlich gebundener Termin anliegt. Mit meinem Bus habe ich die Freiheit, die Gegenden auch ein bisschen zu beschnuppern – soweit das eben in der immer noch kurzen Zeit geht.

Ist ja irgendwie auch ganz praktisch, alles, was man so braucht, immer bei sich zu haben...

(nickt) Ich habe zwar keine riesengroßen Ansprüche, aber der Bus, in dem wir jetzt gerade sitzen, ist schon nicht gerade klein. Das war nicht immer so. Früher bin ich auch gern in einem Bully gereist, aber irgendwann hat es mich genervt, immer erst alles umbauen zu müssen, wenn ich mich kurz zum Schlafen hinlegen wollte. Und für den einen oder anderen in meiner Band ist das auch ganz praktisch, dass ich so unterwegs bin (lacht).

Warum das?

Wenn mal irgendwo was vergessen wurde, weiß man, dass man den Tim anrufen kann und der fährt dann noch mal hin und holt es. Oder wenn doch noch ein Verstärker oder ein Keyboard mehr transportiert werden muss. Und seit ich wieder mit Hund reise, macht es noch mehr Sinn, dass ich auf diese Weise unterwegs bin.

 

Seppi, der zu Beginn unseres Interviewtermins noch ganz aufgeregt durch den Van gesprungen ist, liegt nun ausgestreckt auf dem Boden unter einem Doppelsitz und schläft. Draußen schüttet es inzwischen wie aus Eimern, der Regen prasselt laut auf das Autodach. Ab und zu laufen Menschen an Tims Bus vorbei und schauen neugierig zu den Fenstern hinein. Einer hat den Sänger erkannt und winkt freudig. Tim winkt lachend zurück, dann widmet er sich wieder unserem Gespräch.

Auf Youtube steht unter einem Video zum größten Hit der Münchener Freiheit, „Ohne Dich (schlaf ich heut’ Nacht nicht ein)“, der Kommentar: „Als DJ in den 80ern kann ich nur sagen, mit so einer Musik hat man jede Tanzfläche vollbekommen! Musik für die Ewigkeit“. Das ist ja ein großes Kompliment!

Absolut!

Was glaubst Du, warum Eure großen Hits auch heute noch so gut ankommen?

Mir ist es ein großes Anliegen, mich nicht mit fremden Federn zu schmücken. Ich habe die alten Hits nicht mitgeschrieben. Der Ruhm gebührt anderen.

Was aber sicher auch eine Rolle spielt, ist, wie wir die Musik heutzutage noch in die Welt tragen. Und damit habe ich dann eben schon etwas zu tun. Uns ist wichtig, dass wir tatsächlich als Live-Band auftreten und den Menschen einfach gute Konzerte bieten. Die Leute sehen, dass wir da nicht perfekt gestylt und geföhnt auf der Bühne stehen, sondern dass da fünf Typen sind, die schwitzen. Das gibt es ja heutzutage nicht mehr allzu häufig. Und sie sehen, dass wir gerne live spielen. Ein weiterer Punkt ist, glaube ich, dass unsere Songs nach wie vor schwer einem Genre zuzuordnen sind.

Warum ist das Deiner Ansicht nach so entscheidend?

Wir verschließen uns nicht den Strömungen der Zeit, aber biedern uns auch nicht an. Ich kann mir gut vorstellen, dass gerade jüngere Leute, wenn wir zum Beispiel mitten in der Stadt spielen, erst einmal skeptisch sind und sagen: „Na ok, da hören wir jetzt erst einmal rein, was die Opis da oben treiben“ – oder was man halt grad denkt, wenn man so 15, 16 ist. Aber sie merken dann oftmals so nach drei, vier Nummern: „Ach, das ist ja ganz geil“.

So ist es auch bei den Männern, die vielleicht erst mal nur von ihren Frauen zum Konzert gezerrt werden, wenn sie feststellen: „Ach, da hört man ja auch mal die rockige Gitarre durch, das sind ja gar nicht nur die Schmusebarden.“ Und vor allem haben wir auch viele Songs, die so einen „Aha“-Effekt erzeugen: Viele Zuhörer haben gar nicht gewusst, dass sie von uns sind, können aber mitsingen.

Wo habt Ihr Euch denn über die Jahre weiterentwickelt? Und wo seid Ihr euch treu geblieben?

Wer wäre ich, uns selbst zu loben? Das ist nicht meine Art. Was ich aber tun kann, ist, zum Beispiel über Konzertkritiken nachzudenken. Da zeigt sich schon, dass positiv auffällt, dass wir uns wieder sehr geöffnet haben. Oft wird uns auch bescheinigt, dass wir live wieder deutlich rockiger klingen würden. Das hat natürlich Gründe – Sounds und Vorstellungen haben sich entwickelt. Aber ich ziehe wirklich auch den Hut vor allen Menschen, die die Band in früheren Phasen geprägt haben und jetzt nicht mehr dabei sind – auf der Bühne, im Songwriting, im Umfeld. Damit meine ich ausdrücklich auch meinen geschätzten Vorgänger und unseren früheren Manager.

Wer kommt heute zu Euren Konzerten?

Zu unserer Freude sind das ganz unterschiedliche Menschen: Mädels, Jungs, Junge und schon länger Junge (lacht). Zum Beispiel hat mich beeindruckt, dass zu Autogrammstunden nach Konzerten auch volltätowierte Leute gekommen sind – von denen man nie gedacht hätte, dass sie freiwillig bei uns bleiben. Es gibt Gothic-Ladys, die Fans von Münchener Freiheit sind. Das ist etwas, das für mich eine besondere Magie ausmacht. Weil es zeigt: Musik verbindet – wenn man nur offen dafür ist.

Als sich unser Gespräch dem Ende neigt, lässt der Regen nach – gerade rechtzeitig, um noch ein Foto auf dem Platz vor der Kulisse des einstigen Suhler Bezirkskulturhauses zu machen. Dann sitzt er auch schon wieder hinterm Steuer, der „freiheitstim“, wie er sich im sozialen Netzwerk Instagram nennt. Mit Seppi auf dem Beifahrersitz fährt er in der Abendsonne dem nächsten Termin entgegen.

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