Meinung zur Thüringen-Wahl Merkels Amtsmissbrauch

Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel 2020 auf Afrika-Reise. Foto: picture alliance/dpa/Kay Nietfeld

Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch Angela Merkels Beitrag zur Thüringen-Wahl 2020 zum unverzeihlichen Vorgang erklärt. Rückgängig gemacht werden muss er aber nicht. Die AfD freut sich über das ansonsten folgenlose Urteil, die anderen Parteien greinen. Was in dem Streit untergeht: Der Schaden, den die Kanzlerin damals angerichtet hat, ist nicht zu beheben. In vielen Köpfen wird dieses Bild bestand haben: In Deutschland kann eine Bundeskanzlerin Wahlen rückgängig machen und frei entscheiden, wer Ministerpräsident eines Landes sein darf. Und sie darf das sogar von Afrika aus verlangen.

 
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Missbrauch des dritthöchsten Amtes im Staat hat das Bundesverfassungsgerichts der vormaligen Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch attestiert. Es johlt nun zwar die AfD, was die anderen Parteien verdrießt. Angela Merkel nimmt das aus dem Ruhestand aber hin, weil das Urteil über ihre Äußerungen zur Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich 2020 zum Thüringer Ministerpräsidenten mit AfD- und CDU-Stimmen ansonsten keine Folgen hat. Was im Parteienkrach übersehen wird: Der Schaden, den die Kanzlerin damals angerichtet hat, wirkt lange nach und ist nicht zu beheben.

Wer am 5. Februar 2020 nicht schnell genug „Dammbruch“, „Tabubruch“ oder „Zivilisationsbruch“ ausruft, der wird fortgespült. So wie der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte aus Bad Salzungen, der als Christdemokrat dem Liberalen gratuliert, statt ihm Blumen vor die Füße zu werfen. Hirte hätte besser die öffentlich-rechtlichen Sendungen im Fernsehen abgewartet. Der ZDF-Intendant kommentiert „Endstation: Buchenwald“ und setzt den Ton. In Maybrit Illners Talkshow bemüht Janine Wissler (heute Vorsitzende der Linkspartei) vor 3,6 Millionen Zuschauern „Auschwitz“ als Vergleich. Mehr geht in Deutschland nicht, aber das ist hier schon geübte Routine. Dass die Fernsehzitate Verharmlosung des Holocaust in Reinkultur sind, interessiert niemanden „auf der richtigen Seite“.

Aus 8700 Kilometer Entfernung kommt ein Donnerblitz, der die Zuschauer den Atem anhalten lässt: Im fernen Pretoria in Südafrika meldet sich die Bundeskanzlerin am 6. Februar auf Staatsbesuch zu Wort und erklärt, dass die Wahl des Liberalen mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD ein „unverzeihlicher“ Vorgang sei „und deshalb auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden muss.“ Danach fliegt sie nach Angola, von wo aus die Fotografen Bilder von ihr vor zackigen Militärs nach Hause senden. Dazu muss man wissen, dass Angola mit seiner korrupten Regierung das Gegenteil einer lupenreinen Demokratie ist.

Nur wenigen ist in den Wirren des drohenden Weltuntergangs in Thüringen bewusst, dass die Kanzlerin auf Staatsbesuch nicht privat unterwegs ist und auch kein Parteiamt in der CDU hat (Vorsitzende ist Annegret Kramp-Karrenbauer, aber nicht mehr lange). Es steht Merkel als Chefin der Bundes-Exekutive nicht zu, über eine zwar politisch kritisierte, aber technisch korrekte Wahl der Legislative in einem Bundesland zu bestimmen. Das mag nach Haarspalterei klingen, aber in einer Demokratie sind solche Details wichtig – es gilt die Herrschaft des Rechts.

Noch verheerender ist das Symbol, das die Kanzlerin geschaffen hat. Als Kemmerich tatsächlich am 8. Februar nach massivem Druck zurücktritt und am 4. März Bodo Ramelow (Linke) wieder Ministerpräsident einer von der CDU tolerierten Regierung sein darf, verstehen viele: In Deutschland kann die Bundeskanzlerin Wahlen rückgängig machen und frei entscheiden, wer Ministerpräsident eines Landes sein darf. Und sie darf das sogar – ganz nebenbei im Vorübergehen – von Afrika aus verlangen.

Dieses Bild ist folgenschwer – gerade in Ostdeutschland, wo der Groll der Älteren noch tief sitzt über die Mächtigen in Berlin, die tatsächlich die Wahlen bestimmten. Jeder weiß, dass diese Zeiten vorbei sind, aber die Bilder sind mächtig und verschwinden nicht wieder. Nach Kemmerichs Wahl und Rücktritt kamen die Corona-Pandemie und Russlands Angriff auf Europa. Ob seine Notregierung lange hätte durchhalten können? Womöglich wäre sie auch ohne Missbrauch des dritthöchsten Amtes im Staat bereits Geschichte.

>>>> Lesen Sie auch „Karlsruhe beanstandet Merkel-Äußerungen zur Thüringen-Wahl“

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