Meinung Unsere Provinz ist die schönste

„Die ganze Gegend fühlt sich ja an, als hätte irgendwer einen Märchenfilm gedreht“, schreiben die Besucher aus München und ganz Deutschland liest diese Zeilen über Südthüringen. Die Menschen von rechts und links des Rennsteigs sollten die Heimat im Gegenzug viel öfter durch die fremden Augen betrachten, die sie besuchen – und bewundern. Dann erkennen sie, in welcher einzigartigen Schatzkiste sie leben dürfen, kommentiert Olaf Amm.

 
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Meiningen/Suhl - Es ist schon wieder passiert. In der „Süddeutschen Zeitung“ steht ein dreiseitiges Loblied auf Südthüringen, genauer gesagt auf die Theaterstadt Meiningen. „Die ganze Gegend fühlt sich ja an, als hätte irgendwer einen Märchenfilm gedreht und vergessen, die Kulissen abzubauen: dunkler Wald, hier eine Burg, dort eine Höhle, Dörfer mit Fachwerkfassaden“, heißt es da. Kleines Palais, Großes Palais, der Englische Garten, das vormalige Kaufhaus Bazar, Bankhäuser und Gründerzeitvillen folgen. „Und obwohl einen all das eigentlich hätte vorbereiten müssen, steht man dann doch fassungslos vor diesem Theater. Vor einem Tempel, der auch in Berlin oder Paris auffallen würde“, erfahren Leser von Sylt bis Starnberg.

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Der größte Beitrag in der Wochenendausgabe eines nationalen Leitmediums verweist auf die Opernpremiere am Freitagabend (10. Dezember), die der „Malerfürst“ Markus Lüpertz verantwortet und zu der auch ein ehemaliger Bundeskanzler anreisen wollte. Zuvor hat schon die „Neue Zürcher Zeitung“ im Wirtschaftsteil über Suhl geschrieben: „Ein bisschen wie im Schweizer Jura.“ Das war auch ein Kompliment. Familien seien hier gut aufgehoben, Facharbeiter gefragt. Fremde Augen scheinen die Reize und das Potenzial des Henneberger Landes klarer zu sehen als viele Einheimische. Wir Einheimischen sind ein bisschen stolz und wundern uns.

Der Mann, dem wir sehr viel davon zu verdanken haben, steht auf einem Sockel in Gotha: Ernst der Fromme. Ein weiser und fruchtbarer Fürst in schwerer Zeit, der um 1650 Schloss Friedensstein – „Thüringens Buckingham Palace“ – gebaut hat. Er hatte sieben Söhne, die nach seinem Tod sieben kleine Herzogtümer mit sieben kleinen Hauptstädten gründeten: Sachsen-Gotha-Altenburg, Sachsen-Coburg, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Römhild, Sachsen-Eisenberg, Sachsen-Hildburghausen und Sachsen-Saalfeld. Die Hauptstädte waren Provinznester, aber da das Geld nie für militärische Abenteuer reichte, floss es in Repräsentation und Kunst. Nirgendwo ist die Dichte an fürstlichen Repräsentationsbauten und Parkanlagen in Deutschland größer als in Thüringen. Nicht zu vergessen Theater, Orchester und Kunstsammlungen. Folgerichtig hat sich das Land mit „Kulturlandschaft der Thüringer Residenzen“ ganz aktuell um den Welterbe-Status beworben.

Das mag man als vergangene Geschichte abtun, aber es ist das Kapital unserer Ahnen, aus dem wir auch heute noch Gewinn schlagen können. Die Häuser in Meiningen findet Lüpertz wunderschön, schreibt die „Süddeutsche“. Berlin fände er albern, Stuttgart sei Wildnis – er inszeniert lieber in Meiningen. Aber na klar, die Stilsicherheit der Bürger ist mit der Vertreibung der alten Fürsten irgendwie auch unter die Räder gekommen. „Da gibt es Leute, da fragst du dich, wo ist das Ufo, aus dem die ausgestiegen sind“, sagt Lüpertz. Aber: „Alle sehr nett.“ Und in London, da gehe es ihm ja nicht anders. Nach Paris und Berlin nun also auch noch auf einer Stufe mit London.

„Wenn Ihr sie doch nur mit meinen Augen sehen könntet – Ihr würdet Euch genauso verlieben“, ist eine Liedzeile im Musical Cabaret. Wir von rechts und links des Rennsteigs sollten die Heimat im Gegenzug viel öfter durch die fremden Augen betrachten, die uns hier besuchen – und bewundern. Dann erkennen wir vielleicht, in welcher einzigartigen Schatzkiste wir leben und lamentieren dürfen, nur einen Autobahnsprung nach Norden, Süden, Westen oder Osten von echten Metropolen entfernt. Das Selbstbewusstsein wird schon nicht gleich auf Lüpertzsche Ausmaße anschwellen. „Wo ich bin, ist keine Provinz“, sagt der Künstler. Wir sind Provinz, aber die schönste, die man sich vorstellen kann.

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