Meinung Das gefloppte Tempolimit

Ein Tempolimit nach einem Krieg samt Ölpreisschocks wäre nichts neues. Dass damit aber Öl eingespart wird, ist ein Märchen – zeigen jedenfalls die Zahlen aus der Geschichte. 1974 wurde Amerika auf 88 Stundenkilometer ausgebremst. Ihre Ziele hat die Begrenzung zwar verfehlt, aber der Kultur brachte sie einen knalligen Protestsong. Und ein Rockstar wurde reich und berühmt.

 
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Eine amerikanische Landstraße. Foto: imago/Mint Images/Mint Images

Die ewige Diskussion um ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ist so aufregend wie die um die Zeitumstellung im Herbst und Frühjahr. Jeder redet mit und jeder redet sich heiß, aber geändert wird dann doch nichts. Da braucht es schon einen fuchtigen russischen Bären, um die Einführung einer Beschränkung in der Heimat von Porsche, BMW und Mercedes tatsächlich in den Bereich des Möglichen zu drücken. Ein Tempolimit garniert mit autofreien Sonntagen spart russisches Öl und lässt Putins Kriegskasse austrocknen, wird uns erzählt. Das ist natürlich ein Märchen, aber wir Menschen mögen Märchen, russische genauso gerne wie deutsche.

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Pro und kontra Geschwindigkeit gibt es unzählige Argumente. Ein wirklich realistisches Pro wird dabei meist vergessen: Die Kunst wird von einem Tempolimit profitieren. Ein gutes Beispiel dafür ist Sammy Hagar, genannt „Der rote Rocker“. 1984 hat er einen Protestsong gegen das Tempolimit in den USA geschrieben. „I Can’t Drive 55“ schaffte es in die Top Ten und das Album erreichte mit mehr als einer Million verkaufter Platten Platinstatus. Im Jahr darauf wurde Hagar Frontmann bei der Hard-Rock-Band Van Halen. Die gehört mit mehr als 80 Millionen verkauften Alben zu den erfolgreichsten Gruppen aller Zeiten. So gesehen hat das Tempolimit in Amerika den aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Hagar zu einem reichen Mann gemacht. Sein Vermögen wird heute auf 140 Millionen Euro geschätzt.

Übersetzt lautet sein Erfolgstitel: „Ich kann nicht 55 fahren“. Keine Sorge, darüber wird in Deutschland aktuell – noch – nicht diskutiert. Es handelt sich um Meilen pro Stunde oder umgerechnet 88 Stundenkilometer. Die hat die amerikanische Bundesregierung 1974 durchgesetzt. Schuld waren damals nicht die bösen Russen, mit denen man (ohne Krieg) im Dauerclinch lag, sondern die arabischen Ölscheichs und ein anderer Krieg. Unter der Führung von Saudi-Arabien haben die Produzenten aus der Wüste 1973 ein halbjähriges Ölembargo gegen die Staaten verhängt, die zuvor Israel im Yom-Kippur-Krieg unterstützt hatten. Der Ölpreis verdreifachte sich, der Aktienmarkt kollabierte, sonntags blieben Tankstellen geschlossen, der Bundesstaat Oregon verbot sogar Weihnachtsbeleuchtung (auch Strom kam aus ölbefeuerten Kraftwerken). Öl musste dringend eingespart werden.

Die Pläne waren von der weisen Regierung wohl durchdacht und bis zur ersten Kommastelle durchgerechnet: Allein durch das Tempolimit sollte der Ölverbrauch in den USA um 2,2 Prozent oder 31,8 Millionen Liter pro Tag reduziert werden. Aber seit ihrem berühmten Schriftsteller Mark Twain hätten die Amerikaner wissen können: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Wie sich später herausstellte, lag die Einsparung bei bescheidenen 0,5 bis einem Prozent. Das ursprüngliche Ziel wurde also verfehlt. Aber das ist in der Politik selten relevant, weil einige bemerkenswerte Nebeneffekte auftraten. Für die öffentliche Hand ergaben sich ganz neue Einnahmequellen: In kaum einem anderen Land wurden Geschwindigkeitsübertretungen so scharf kontrolliert und mit so hohen Geldstrafen belegt wie in den USA. Das führte wiederum zur Entwicklung von elektronischen Radarwarnern, die sich Amerikaner hinter die Frontscheibe klemmten.

Kaum vorstellbar, aber doch kein Märchen: Das bundesweite amerikanische Tempolimit wurde 1995 wieder abgeschafft und die Bundesstaaten entscheiden nun selbst. In vielen Gegenden fährt man heute 65 bis 80 Meilen pro Stunde (105 bis 129 Stundenkilometer). Nirgendwo ist das Autofahren entspannter als auf amerikanischen Highways, wer aber vorankommen möchte, der nimmt das Flugzeug.