Meininger Theater Das Meininger „Käthchen“ begeistert in Berlin

Maren Goltz

Knapp drei Monate Vorbereitung braucht das Herzogliche Hoftheater 1876 für Kleists „Käthchen von Heilbronn“ – dann geht das Stück in Berlin über die Bühne. Ab 24. März präsentiert das Meininger Theatermuseum ein Bühnenbild aus jener Zeit.

 
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Die Figurine von Kunigunde, die am Ende des fünften Akts als blonde Braut auf der Bühne erscheint, aber zunächst wohl in etwa ein solcherart hässliches Persönchen gewesen sein muss. Foto: /Ute Rosch

Wir drehen die Zeit zurück – um 146 Jahre. Meiningen, Schloss Elisabethenburg. In Berlin, knapp 400 Kilometer nördlich, ist alle Welt entzückt: Lange werde man davon noch erzählen! Jubelnd meldet Ober-Regisseur Ludwig Chronegk 1876 dies dem gnädigsten Herzog und der lieben, guten Frau von Heldburg nach Meiningen. Vom dritten Gastspiel des Hoftheaters in der Hauptstadt. Am 1. Mai ist Vorstellungsbeginn. Im Friedrich-Wilhelm-Städtischen Theater.

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Der Coup ist von langer Hand geplant, die Gänsehaut-Momente sind beim dritten Gastspiel an der Spree optimiert. Zugpferde sollen Heinrich von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ und Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ sein. In knapp drei Monaten wird die „Käthchen“-Produktion realisiert. Szenischer Probenstart für die Hauptdarstellerin ist der 23. Februar. Die ersten Vorstellungen gehen ab 5. März 1876 über die Meininger Bühne. Als Endproben für Berlin. Den Hut auf haben Helene von Heldburg, Chronegk und natürlich Georg II. Der glänzende Erfolg gibt ihnen zwei Monate später Recht: Das Publikum klatscht, schreit und lacht. Der Funke springt über. Die Inszenierung haut rein: Spektakulär, rasant, witzig. Und auch ein wenig frivol.

Au der Meininger Küche

Schrilles Mittelalter wird serviert. Nach dem Rezept von Katastrophen-Koch Kleist. Zwar kein Sohn der Stadt, aber Partner von Henriette Vogel im berühmten Selbstmörder-Duo am Wannsee, 65 Jahre zuvor. Bestens passen Kleists Zutaten zur theatralen Meininger Küche: An extra vielen Schauplätzen ist eine bunte Gesellschaft präpariert: Kaiser, Helden, Schurken, Richter, Grafen, Knechte, Häscher, Köhler, Engel. Insgesamt rund 40 Personen, rund ein Viertel davon Frauen. Die banale Story ist verwickelt. Nicht so sehr Grund des Erfolges, sondern Spielanlass.

Das Theaterabenteuer startet gegen sieben. Begonnen wird, wenn alle Gäste sitzen. Drei Stunden später ist der strahlende Ritter auf der Bühne sittlich konform mit der treuen Jungfer liiert. Am Schluss die „Bitch“ Kunigunde von Traumfrau Käthchen überführt, der Kaiser geläutert und die Bastardin legitimiert. Graf Wetter und Jungfer Käthchen tauschen Ringe, ziehen in die gemeinsame „Burg-WG“ ein, mit Stiefpapa Theobald. Ein Muster an Inklusion. Die Botschaft lautet: Auch in bürgerlichen Kreisen verbirgt sich manch edler Geist und manch blaues Blut!

Was die Leute im Saal am meisten fasziniert? Verwandlungen und Spezialeffekte, wie sie später erst das Kino kennt. Mechanisch, chemisch, mittels Licht realisiert. Auf diesem Gebiet sind die Meininger damals führend. Auf Geschwindigkeit und Präzision wird trainiert. Mittels einer ganz neuen Erfindung: Am 6. März 1876 findet die erste reine Technikprobe statt – gänzlich ohne Künstler. Der Theaterherzog verspricht sich von den Extraproben mit den Bühnenhandwerkern, System in die Verwandlungen zu bringen. Das Ergebnis überwältigt: Die Burg im „Käthchen“ brennt nicht nur, mit echtem Feuer. Sie stürzt sogar ein! Dazu gibt es reichlich Dampf, Gewitter, Regen. Das Publikum ist ergriffen und würde im Affekt am liebsten zum Schirm greifen (quasi ein Vorläufer der Rocky Horror Picture Show).

Die Bühnenbilder stammen vom Pester Theatermaler Moritz Lehmann, der für die von Richard Wagner überlasteten Brückners in Coburg einspringt. Seine erste Premiere mit den Meiningern gerät gleich zum Riesenerfolg. Die Dekorationen gefallen enorm und wirken an der Spree wegen des größeren Hauses noch besser als daheim an der Werra.

Und in den Briefen Georgs und Chronegks wird erstmals ausdrücklich anerkannt: Stars der 63-köpfigen Meininger Company arbeiten auch hinter der Bühne. Allen voran: Theatermeister Schäfer, Maschinist Behlert, Beleuchtungsmeister Behrendt und Beleuchtungsinspektor Krell. Ohne ihr Wirken wäre die mitreißende Theatershow nicht möglich. Das wird mehrfach betont und mit Prämien belohnt.

Schock und Komik

Gepaart sind die kalkulierten Schockmomente zudem mit Komik. Großes Gelächter erntet das Verwechseln von Briefen. Szenenapplaus gibt es auch für einen gut platzierten Fußtritt. Drei Verbeugungen für den Holunderbusch.

Was bleibt übrig von Kleists Text? Der anspruchsvollen sprachlichen Substanz, dieser Herausforderung für Sprecher und für Hörer? Reduziert wird er von der Regie. Bildlich überlagert von der Dekoration. Püriert vom Blechgerassel der Kostüme. Richtiggehend gefeiert wird Kleists Sprachkunst in einer Szene: im Traumgespräch unterm Holunderbusch. Käthchen und Graf Wetter sind dort vereint. Zärtlichste Liebesseufzer füllen den Raum. Keine Ablenkung, sondern volle Aufmerksamkeit für die Dichtung. Aber selbst hier können sich romantische Gemüter nicht ungestört den Dialogen hingeben. Denn Käthchens Strümpfe sind am Holunder drapiert. Das irritiert. Teile des Publikums fühlen sich gestört. Andere erfreut gerade dieses kokette Detail. Man sieht daran: Auch die Meininger Bühne arbeitet mit dem Verfremdungseffekt – 50 Jahre vor Bert Brecht!

Wer rührt die kunstaffinen Herren des wohlhabenden Berliner Bürgertums am meisten? Titelheldin Adele Pauli! Für Käthchens Strumpf-Striptease gibt es extra Applaus. Kurz bevor sie im vierten Akt den Bach überquert.

Dann wäre da noch der szenische Favorit des Leitungsteams in Akt Fünf. Oft überdacht und optimiert: die Szene, in der die hässliche Kunigunde (Marie von Moser-Sperner) in Windeseile verwandelt als blondeste Braut wiederkehrt. So mancher Rezensent würde auch hier gern den Rotstift ansetzen. Verständlich, denn man kennt diese Verwandlung bislang nicht. Sie existiert nicht in Franz von Holbeins viel gespielter Fassung des „Käthchens“. Eine Schauspielerin so hässlich zu zeigen, bricht ein Tabu. Aber: Kleist hat dies erdacht und der Herzog hat es inszeniert: Die Lieblingsszene bleibt!

Überstanden hat das Streichkonzert zudem eine recht heikle Passage. Zunächst sogar verschwiegen von der honorigen Kritiker-Riege. Wo Graf vom Strahl (Josef Nesper) die Hundepeitsche von der Wand nimmt und gegen das keusche Käthchen schwingt. Na, hoppla! Was sind denn das für Fantasien dem Volke zur Erhebung?!

Ein populäres Stück anders als gewohnt zu zeigen, das war der Masterplan, und der ist aufgegangen. Gezielt wurde der Fünf-Stünder vom Leitungsteam eingedampft, zerlegt und neu konstruiert. Upcycling von Texten. Von den Meiningern wird auch die freie Nutzung des Dramas bravourös etabliert. Es ist Helene von Heldburg, welche die Akte neu strukturiert. Mit gezieltem Blick auf die Adressaten: das Publikum in Berlin.

Anerkennung in Berlin

Wer es in Berlin schafft, der schafft es überall! Die Anerkennung in der Hauptstadt ist ein enormer Antrieb für den Herzog und sein Team. Insgesamt achtmal gastieren die Meininger dort, in 13 Jahren. Investieren Zeit, Grips, Energie. Und Unsummen. Selbst ein Besuch des Kaisers scheint nicht unmöglich. Das zeigte sich erst Mitte März 1876. Sechs Wochen vor dem Tourstart mit Kleists „Käthchen“ gab Wilhelm I. Wagners „Tristan und Isolde“ die Ehre. Über das Musikdrama waren sich hinter vorgehaltener Hand eigentlich fast alle einig: Unverständlich, zu lang, entsetzlich ermüdend sei das Werk. Trotzdem gab sich die Prominenz die Klinke in die Hand. Wie ganz anders sind dagegen die Aufführungen der Meininger. Erfolg beim Publikum ist ihnen vergönnt. Nur der Kaiser, der kommt auch diesmal nicht.