"Solange Nasrallah am Leben gewesen wäre, hätte er die (militärischen) Fähigkeiten, die wir der Hisbollah genommen haben, schnell wiederhergestellt", fuhr Netanjahu fort. "Seine Beseitigung beschleunigt die Rückkehr unserer Bewohner in ihre Häuser im Norden."
Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast einem Jahr beschießt die Hisbollah fast täglich den Norden Israels. Deswegen mussten rund 60.000 Bewohner grenznaher Orte in andere Teilen Israels fliehen. Auch im Südlibanon sind Zehntausende wegen des wechselseitigen Beschusses geflohen. Die Hisbollah handelt nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der islamistischen Hamas in Gaza. Sie hatte vor Nasrallahs Tod erklärt, die Angriffe erst bei einer Waffenruhe im Gaza-Krieg einzustellen.
Biden zur Tötung Nasrallahs: "Maßnahme der Gerechtigkeit"
US-Präsident Joe Biden bezeichnete die Tötung Nasrallahs als "Maßnahme der Gerechtigkeit" für die Opfer seiner vier Jahrzehnte währenden Terrorherrschaft. Die USA unterstützten weiterhin Israels Recht auf Selbstverteidigung gegen die Hisbollah und andere vom Iran unterstützte Terrorgruppen, sagte Biden. Ziel der USA bleibe die Deeskalation der Konflikte im Gazastreifen und im Libanon auf diplomatischem Wege.
Sorge vor Konflikten
Nach Tötung fast der gesamten oberen Führungsebene ist unklar, wer in der Hisbollah nun die Kommandos geben könnte, auch bei weiteren Angriffen auf Israel. Vermutlich wird die Hisbollah Anweisungen des Irans abwarten. Der ist unter Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei die eigentliche Schutzmacht und wichtigster Unterstützer der Miliz.
Die Tötung und Nasrallahs und das derzeitige Machtvakuum stellen den Libanon innenpolitisch vor große Probleme. Neue innerlibanesische Konflikte könnten drohen. Die libanesische Armee warnte: "Das Armee-Kommando ruft alle Bürger auf, die nationale Einheit zu bewahren und sich nicht in Handlungen ziehen zu lassen, die den zivilen Frieden in dieser gefährlichen und empfindlichen Phase in der Geschichte unseres Landes gefährden." Das Land hat wegen Machtkämpfen seit zwei Jahren keinen Präsidenten und keine Regierung.
In den von ihr kontrollierten Gebieten handelt die Hisbollah im Libanon wie ein eigener Staat und kümmert sich etwa um Infrastruktur, Schulen, Jugendprogramme und Gesundheitseinrichtungen. Sie ist zudem eine einflussreiche politische Partei und stellt Minister. Laut Umfragen unterstützten sie mit etwa 30 Prozent der Bevölkerung aber vergleichsweise wenig Menschen im Land. Das Land ist zudem konfessionell stark gespalten. Bis 1990 tobte im Libanon ein Bürgerkrieg.
Bis zu einer Million Vertriebene im Libanon möglich
Im Libanon könnten nach Angaben des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Nadschib Mikati bis zu einer Million Menschen durch Israels Angriffe vertrieben werden. Es sei schon jetzt die größte Zahl an Vertriebenen in der Geschichte des Landes, sagte Mikati in Beirut. Im aktuellen Konflikt mit Israel könne es nur eine diplomatische Lösung geben: "Es gibt keine Wahl für uns als Diplomatie."
Viele Menschen schlafen in Parks, auf der Straße oder am Strand aus Angst vor weiteren Angriffen etwa im Süden, Osten oder im Raum der Hauptstadt Beirut. Seit Beginn der neuen Konfrontationen zwischen Israels Armee und der Hisbollah wurden im Libanon nach UN-Angaben mehr als 210.000 Menschen vertrieben, unter ihnen etwa 120.000 allein in vergangenen Woche. 50.000 Syrer und Libanesen sind zudem nach Syrien geflohen.
Berichte: Israel setzte bei Nasrallah-Tötung gut 80 Tonnen Bomben ein
Bei der Tötung von Nasrallah soll die israelische Luftwaffe nach Medienberichten Bomben mit einem Gewicht von mehr als 80 Tonnen eingesetzt haben. Diese seien von einer Formation von mindestens zehn Kampfjets über dem unterirdischen Hauptquartier der Schiitenmiliz im Süden von Beirut abgeworfen worden, berichteten israelische Medien.
Unter den Geschossen seien auch sogenannte bunkerbrechende Bomben gewesen, die die dicken Wände des Hauptquartiers durchdrungen hätten, hieß es in den Berichten mehrerer Medien. Für diese Angaben gibt es keine offizielle Bestätigung.