Kulturfestival Hereinspaziert zum 22. Provinzschrei

Doreen Hopf-Traut (r.), die Managerin des Provinzschrei-Festivals und Mahalia Singh, Mitarbeiterin beim Suhler Verein Provinzkultur, zeigen die Räume der Sauer Villa. Hier werden zahlreiche Veranstaltungen des Kulturfestivals stattfinden. Foto: Michael Reichel

Der Hirsch röhrt wieder im Thüringer Wald! Seit 22 Jahren ist er das Maskottchen des Provinzschrei-Festivals. Und das legt jetzt los mit vielseitigen Kulturangeboten an spannenden Orten.

 
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Richtige Inseln sucht man in Thüringen vergeblich. Solche jedenfalls, an denen die Wellen rauschen und die Füße im Sand stehen. Aber erfrischend kann ja nicht nur das Ostseewasser sein. Auch Musik und Theater, Literatur und Malerei, Filmen und Gesprächen werden belebende Wirkungen nachgesagt. Kein Zufall also, wenn ausgerechnet Tatort-Kommissar Axel Prahl mit seinem Inselorchester Ende Juni das Provinzschrei-Festival eröffnete. Ein bisschen unerkannt als echtes Event der Marke röhrender Hirsch, weil in Kooperation mit dem SOS-Festival unserer Zeitung auf dem Suhler Platz der Deutschen Einheit. Ein großer Erfolg war der Abend freilich dennoch – das Publikum zeigte sich so amüsiert wie angetan. Und schon am kommenden Dienstag (12. Juli) kann, wer Lust darauf hat, den Schauspieler Dominique Horwitz bei einer Tasse Kaffee treffen. Ist das nicht was?

Solcherart feine Kulturevents sind seit vielen Jahren Anspruch des Festivals. Es hat sich gewandelt – personell, inhaltlich und auch die Orte, an denen es stattfindet, wechselten. So wird es in diesem Jahr wieder sein. Mit Doreen Hopf-Traut hat der Verein Provinzkultur, der neben dem Festival noch einige andere Veranstaltungsreihen zu politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Themen auf die Beine stellt, eine neue Managerin gefunden – möglich wurde das dank großzügige Finanzierung durch die Thüringer Staatskanzlei. Hendrik Neukirchner, der Vereinsvorsitzende, ist glücklich darüber: „Die Landesregierung hat die Bedeutung unserer Arbeit erkannt“, sagt er. Und sie fördert viele Projekte des Vereins mit finanziellen Zuschüssen.

Zauberhafte Orte

Mit der charmanten Suhler Sauer-Villa hat der Verein zudem eine neue Kulturstätte aufgetan. Die Stiftung Meininger Kulturdenkmale als Eigentümerin und die Stadt Suhl wollen das Haus zu einer Kultur-Villa machen. Weil es noch saniert werden muss und derzeit nicht beheizt werden kann, sind vorerst nur im Sommer Veranstaltungen möglich. Aber der Provinzschrei hat längst das Potenzial dieses Ortes erkannt und will ihn mit vielfältigen Kulturangeboten für das Publikum öffnen. Auch im Künstlerhof „Roter Ochse“ in Schleusingen wird das Festival in diesem Jahr mehrfach Station machen. „Ein zauberhafter Ort“, findet Doreen Hopf-Traut. Er muss sich natürlich erst wieder neu etablieren beim Publikum, aber für Provinzkultur ist er wie gemacht: Kleine Orte auf dem Land aufschließen, Menschen dorthin einladen, wo sie zuhause sind, ihnen sozusagen in der Idylle ihrer eigenen Heimat erfrischende geistige Nahrung bieten – das war vor 22 Jahren auch der Impuls, mit dem Hendrik und Claudia Neukirchner losgezogen sind. Sie haben verlässliche Partner gefunden wie die Rhön-Rennsteig-Sparkasse, und – was noch wichtiger ist – viele engagierte Vereinsmitglieder, ohne die kein einziges Festival möglich gewesen wäre.

Und so zieht der 22. Provinzschrei nun wieder los mit diesmal fast 30 Veranstaltungen an viele weitere Orte im Süden Thüringens: In den Meininger Schlosshof und ins russische Restaurant nach Gleicherwiesen, ins Suhler IHK-Gebäude und ins alte Fajas-Werk, ins Waffenmuseum und ins neue Oberhofer Familienhotel, in die Musikschule und die Alte Schreierei, in die Volkshochschule, ins CCS oder die Heinrichser Kirche. Das Festival pflegt zudem seine bereits vor Jahren begonnene Zusammenarbeit mit dem Verein „Aufwind“ in Zella-Mehlis und dem Weimarer Kunstfest: Gemeinsam mit „Aufwind“ wird es zwei gesellschaftskritische Filmabende zum Thema „Zukunft Denken“ geben – „Awake to Paradise“ und „The true Cost – Preis der Mode“ sind in der Schauburg2Go zu sehen. Der Publizist und Autor Fabia Scheidler ist zu einen Vortragsabend in die Mehrzweckhalle „Schöne Aussicht“ eingeladen.

Gelebte Traditionen

Das Kunstfest kommt gleich drei Mal in die Villa Sauer, Schriftsteller Landolf Scherzer wird sein neues Buch über die Krim beim Provinzschrei zur Premiere bringen. der Musiker Hans-Eckardt Wenzel & Band sind ebenso eingeladen wie Schauspielerin Andrea Sawatzki oder Schriftsteller Jakob Hein. Wer will, kann jüdische Musik beim Festival hören, oder Radiogeschichten, Jugendtheater sehen – oder den Kinderprovinzschrei (diesmal im Kinder- und Regenbogendorf Zella-Mehlis) besuchen. Trotz allem Wandel hält das Festival aber auch an Traditionen fest – eine davon ist die Lesung zum Weltfriedenstag am 1. September. Diesmal wird Hamed Abbound zu Gast sein, ein aus Syrien geflohener Schriftsteller und Publizist, der heute in Österreich lebt und in Suhl „in meinem Bart versteckte Geschichten“ lesen wird. So heißt eines seiner Bücher.

Das Programm des Festivals steht – und ist vollgepackt mit aufmunternden, erheiternden, nachdenklich machenden, aber immer leidenschaftlichen Abenden. Denn Leidenschaft ist es, was die Provinzkultur’ler antreibt. Wie anders könnten sie es schaffen, nach den langen Monaten der Pandemie, nach all den Absagen und Verschiebungen der letzten beiden Jahre – die an ihnen wie am Publikum gezehrt haben – nun aufs Neue einzuladen zu Kultur in der Provinz? Nun hofft das kleine Festival auf möglichst viele Besucher. Und darauf, dass es ihnen gelingt, den Funken überspringen zu lassen.

www.provinzschrei.de

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