Konzert in Bad Salzungen DDR-Kult-Rockband begeistert Ostmugge-Fans

Annett Spieß

„Karussell“, die Leipziger DDR-Kult-Rockband, gab sich auf ihrer sommerlichen Kirchenkonzert-Tour auch in Bad Salzungen die Ehre – zur Freude der Fans.

 
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Sorgten mit vielen alten und neuen Hits für Gänsehautmomente bei den Zuhörern: „Karussell“, einst eine der beliebtesten DDR-Rockbands, bei ihrem Konzert in der Stadtkirche. Foto:  

Eine „Messe der besonderen Art“ (O-Ton Joe Raschke) mit druckvollen Gitarrenriffs, wabernden Synthesizerklängen, nachdenklichen Texten und jeder Menge Gänsehautmomenten feierten am Samstagabend zahlreiche Ostmugge-Fans gemeinsam mit „Karussell“ in der lichtdurchfluteten evangelischen Stadtkirche.

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1976 wurde die Band von ehemaligen Mitgliedern der kurz zuvor verbotenen „Renft“-Combo gegründet, zwei der Gründungsmitglieder spielen bis heute mit: Keyboarder Wolf-Rüdiger Raschke, der mit seinem gefühlvoll-überwältigenden Intro zur Melodie von „Als ich fortging“ gleich zu Beginn für reihenweises Entzücken bei den Zuhörern sorgte, und Reinhard „Oschek“ Huth, stimmgewaltig wie eh und je. Zu DDR-Zeiten war „Karussell“ eine der beliebtesten Bands neben „Electra“, „Karat“ und „Puhdys“; sie galt als legitimer musikalischer Nachfolger von „Renft“. 1991 löste sich die Band wie viele andere Ensembles in der Nachwendezeit auf. Erst 2007 wagten die Musiker auf Initiative von Reinhard Huth ein Comeback mit neuem Bandleader: Joe Raschke, der Sohn von Keyboarder Wolfgang Raschke, lässt seitdem gemeinsam mit Gitarrist Moritz Pachale, Bassist Jan Kirsten und Benno Jähnert an den Drums „Karussell“ wieder klangvolle Runden drehen.

In der Stadtkirche startete die Band gleich zu Beginn mit „Entweder Oder“ richtig durch: Rockig-entschlossen branden Gitarren, Drums und sonore Singstimme machtvoll durch das Kirchenschiff, unterlegt von magischen Soundeffekten, die Joe Raschke inbrünstig und mit vollem Körpereinsatz zaubert. Beim heiteren „McDonald“ sind passenderweise Schäfchen auf der Bühne – wenn auch nur aus Stoff – und „Das einzige Leben“ wie auch „Wer die Rose ehrt“, beides von Kurt Demmler getextet, setzen sich damals wie heute kritisch, aber auch wunderbar lyrisch doppeldeutig mit existenziellen Fragen auseinander. Reinhard Huth, Joe Raschke und Bassist Jan Kirsten wechseln sich mit dem Gesang ab, während Gitarrist Moritz Pachale ein ums andere Mal mit fein austarierten Gitarrensoli überzeugt und das Publikum begeistert.

Natürlich dürfen auch neue Songs von den 2011 und 2018 erschienenen Alben nicht fehlen. „Meine Stadt“ – eine hymnisch-träumerische Liebeserklärung an Leipzig – gefällt ebenso sehr wie das ruhige „Loslassen“ oder „Frei sei der Mensch“. Die Stimmung in der Stadtkirche steigt von Lied zu Lied und kocht erstmals über, als „Mein Bruder Blues“ als musikalische Huldigung an Peter „Cäsar“ Gläser, den verstorbenen einstigen Sänger der Band bis 1983, erklingt. Stampfende, erdige Bluesrhythmen – grandios: Benno Jähnert am Schlagzeug – reißen die Zuhörer mit, dazu spielt Joe Raschke leidenschaftlich Mundharmonika und beschwört das lautlose Lachen auf dieser oft krummen Erde. Wie intensiv und überzeugend die Lyrics von Kurt Demmler einst die DDR-Jugendlichen in ihrer innersten Seele ansprachen, ihre Träume, Wünsche und Gefühle aufgriffen, beweist wohl kein Lied so sehr wie „Wie ein Fischlein unterm Eis“, von den sechs Musikern ergreifend interpretiert und für viel Gänsehaut bei den Zuhörern sorgend.

„Ach lasst uns bauen hier der Wahrheit ein Zuhaus/Dass man am Ende sie gelassener spricht aus“: Ein Wunsch, der nichts von seiner Aktualität und Gewichtigkeit verloren hat – im Lied „Ehrlich will ich bleiben“, einem unvergeßlichen Meilenstein der DDR-Rockgeschichte, von Gitarren, Bass und Keyboards in ein bombastisches Soundgewand gehüllt. Das Publikum fährt auch völlig auf „Autostop“ ab, bei dem die Band ausgelassen und losgelöst mit quicklebendiger Mundharmonika und treibendem Gitarrenbeat aufs melodiöse Gaspedal drückt.

„Einige Herren im Ensemble machen bereits ein halbes Jahrhundert lang Musik“ – diesen augenzwinkernden Hinweis von Joe Raschke goutiert das Publikum mit viel anerkennendem Beifall. Den gibt es auch für den allergrößten Hit der Band: „Als ich fortging“, entstanden 1987, getextet von Gisela Steineckert, damals gesungen von Dirk Michaelis und bis heute ein wunderschönes, wehmütiges Liebeslied mit berührender Melodie und aufwühlendem Text ohne jeden Kitsch. Nach einer Zugabe verabschiedete sich die Band von der Bühne, war aber noch am Merchandisestand für die Fans hautnah zu sprechen und zu erleben.