Nein, die überlegen sich, wie sie noch mehr billige Kalorien in den Menschen reinstopfen, um noch mehr zu verdienen. Da ist es hilfreich, wenn sie Leute mit Aromastoffen, mit visuellen Tricks, mit einem bestimmten Salz-Fett- oder Zucker-Fett-Verhältnis in eine Art Sucht treiben, damit Leute das immer wieder kaufen. Und: Das funktioniert sehr gut.
Wie kann man sich gegen diese Mechanismen wehren?
Es gibt da eine Regel: Kaufen Sie nichts, für das im Fernsehen Werbung gemacht wird, und nichts, was auf großen Plakaten beworben wird. Kein regionaler Anbieter kann sich eine solche Werbung leisten. Kinder sind besonders anfällig für Werbung. Wir haben eine völlig absurde Situation: Einerseits werden wir manipuliert und verführt, und die gleiche Industrie schreit aber was von Eigenverantwortung. Die meisten Menschen haben keine Wahl. Ökologische, frische Lebensmittel sind nicht überall zu bekommen. Ich wohne in der Uckermark. Ich muss mir mein Biohuhn aus Berlin schicken lassen.
Das ist wirklich absurd.
Es gibt in Deutschland ein bis zwei Prozent Bioschweinefleisch. Also kann ich nicht sagen, jeder hat die Wahl. Es gibt zehn Nahrungsmittelkonzerne, die so viele Schwesterfirmen haben, die aus den immer gleichen Grundprodukten rund 80 000 verschiedene Produkte machen. Alle eingeschweißt, genormt, in Plastik verpackt, mit grellen Farben, mit Abziehbildern, damit im Supermarkt eine Vielfalt vorgegaukelt wird, die es nicht gibt.
Hilft ein Werbeverbot für Kinder, um sie vor Lebensmitteln mit zu viel Salz, Fett und Zucker zu schützen, wie Sie es mit Ihrer Stiftung mit anderen Organisationen in einem offenen Brief an die Koalition fordern?
Die allergrößten Krankheitstreiber sind chronisch entzündliche, nicht genetisch bedingte Ernährungskrankheiten. Insofern kann man schon hinterfragen, wieso wir überhaupt für schädliche Nahrungsmittel, die nur Geld kosten, Emissionen machen und Ressourcen verbrauchen, wieso dafür geworben werden sollte. Ich will jetzt niemanden verbieten, für irgendwas Werbung zu machen, aber es ist wichtig, auf diese Weise wenigstens die vulnerable Gruppe, also die Kinder, zu schützen. Und das steht doch im Koalitionsvertrag. Jetzt warten wir auf einen Gesetzestext. Das ist ein Werbeverbot in den Medien von 6 bis 23 Uhr und in einer Bannmeile von 100 Metern um Schulen und Kindergärten. Das ist ein Anfang, aber reicht natürlich nicht. Wir müssen eigentlich präventiv an die Sache rangehen. Erst mal gar nicht so schädliche Nahrungsmittel vertreiben, dann eine erhöhte Steuer darauf erheben, um dann zumindest unsere Gesundheitskosten in den Griff zu kriegen. Davon sind wir weit entfernt. Das Wichtigste aber doch ist, dass wir das Recht haben zu wissen, was wir essen. Und auch das wissen wir nicht. Zum einen, weil es die Industrie selbst nicht weiß. Die Strukturen sind so verflochten, dass niemand nachvollziehen kann, von welchem Feld die Tomate kommt, sie merken nicht mal, dass da Pferdefleisch statt Rindfeisch mit drin ist. Die Lieferketten sind so undurchsichtig geworden, dass hier Schindluder getrieben wird. Es gibt ein Pulver, mit dem Verwesungsgeruch bei Fleisch eliminiert werden kann. Es gibt viele Stoffe, die nicht auf dem Etikett stehen müssen wie Hochleistungsenzyme oder technische Hilfsmittel.
Aber selbst wenn man alles genau liest, kann man doch nicht erwarten, dass man da über alles Bescheid weiß.
Niemand weiß es, weil das Etikett lügt. Alles ist undurchsichtig. Jeder hat noch ein eigenes Leben und will einfach nur gut und natürlich essen. Und das wird ihm verwehrt.
Was tun?
Selber frisch kochen! Mit Grundnahrungsmitteln! Wir werden das System nicht in den Griff kriegen. Holen Sie sich eine Biokiste, kochen Sie regional und saisonal. Kochen ist keine Bestrafung. Kochen ist Lust und eines der letzten sinnlichen Erlebnisse, die Sie überhaupt in dieser hochtechnologisierten Welt haben können. Es gibt kaum etwas, was mehr Freude macht. Und noch eine Regel: Kaufen Sie nichts, was Ihre Großeltern nicht als essbar erkannt hätten. Kaufen Sie nichts und essen Sie es schon gar nicht, wenn Sie nicht wissen, was da auf diesem Etikett steht. Warum sollten Sie Ihren Körper zum Endlager machen?
Zur Person
Sarah Wiener
Die Köchin, Unternehmerin und Landwirtin wurde 1962 geboren und wuchs in Wien auf. Als sie Anfang der 80er Jahre nach Berlin ging, machte sie das Kochen zu ihrem Beruf, stieg ins Filmcatering ein. 1999 eröffnet sie ihr erstes Restaurant.
Stiftungsarbeit
Bekannt wird Wiener durch verschiedene TV-Formate. 2007 gründet sie die Sarah-Wiener-Stiftung. Die Initiative „Ich kann Kochen!“ setzt praktische Ernährungsbildung vor Ort in Kitas und Grundschulen um.