Knochenmarkspende Schornsteinfeger sucht Glücksbringer

Esther Goldberg
Nur für das Foto hat Tom Drust die Maske abgesetzt. Fotografiert wurden die beiden aus einem weit entfernten Fenster hinüber auf ihren Balkon. Foto: Esther Goldberg

Tom Drust, der Mann mit Zylinder und Kehrbesen für Stützerbach und Ilmenau, ist schwer erkrankt und hofft auf Hilfe.

 
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Stützerbach - „Stäbchen rein, Spender sein“. Bislang war der Spruch für Schornsteinfegermeister Tom Drust eine gelungene Werbung für Knochenmarkspenden. Eine, die ihn berührt und dennoch nichts mit ihm zu tun hat.

Dann kommt das letzte Juni-Wochenende und damit die lang ersehnte Kurzreise mit zwei befreundeten Familien. Die sechs Erwachsenen und ihre sechs Kinder treffen sich im Eulenhaus in der alten Forstschule von Stützerbach. Es ist spät am Abend, als die drei Männer am Lagerfeuer schließlich allein sitzen – Jungensromantik halt. Und sie reden über Tod und Teufel. Tom Drust, der Vierundvierzigjährige, sagt, er sei froh, wie gut es ihm gehe. Nur die blauen Flecken an seinem Körper, die würden immer mehr. Obwohl er sich doch gar nicht stoße.

Das Labor muss sich irren

Sein bester Freund sitzt neben ihm. Er ist Arzt. Nach dem Wochenende untersucht er Drusts Blut. „Das Labor muss sich irren“, meint der Arzt und schaltet eine Blutspezialistin ein. Wieder ist das Blutbild von Tom Drust einfach nur grottenschlecht. Sofort kommt der Mann in Erfurt ins Krankenhaus. Verdacht auf Leukämie. Nein, die ist es nicht, heißt es einige Tage später. Glück gehabt. Transfusionen benötigt er dennoch. Denn seine Thrombozyten, die Blutplättchen also, sind ebenso im Keller wie die roten und die weißen Blutkörperchen. Tom Drust und seine Ärzte wollen weitere Untersuchungen und eine Zweitmeinung. Es geht ihm ja weiterhin schlecht. Die Treppe schleicht er nur noch stufenweise hoch und ist doch völlig außer Atem. Ja klar, der Körper bekommt nicht genügend Sauerstoff. An der Uni-Klinik in Jena veranlassen sie Untersuchungen, von denen der Schornsteinfeger bislang noch nicht einmal etwas gehört hat.

Er weiß, am 4. August bekommt er sein Ergebnis. Er nennt es Urteilsverkündung. Das Urteil des zuständigen Professors fällt hart aus: Drust leidet an einer schweren aplastischen Anämie, das ist eine heftige Autoimmunerkrankung, die sein Blut zu einer leeren Flüssigkeit hat verkommen lassen. So schlimm die Erkrankung klingt, könnte diese Anämie gewissermaßen ein Urteil auf Bewährung sein. Denn die Blutkrankheit ist gutartig. Und der Mann hat die Chance, wieder gesund zu werden. Die Chance, mehr nicht. Nach ungefähr zwölf Monaten Therapie.

Eine wahre Ross-Kur

Aufatmen. Aber nicht zu tief Atem holen. Denn das wird kein Spaziergang, sondern eine Pferdekur. Pferdekur, den Begriff muss Tom Drust wörtlich nehmen. Weil er ein Serum vom Pferd transfundiert bekommen soll. Vorausgesetzt, die Kasse zahlt. Es ist furchtbar teuer. Und in Deutschland ist das Medikament noch nicht zugelassen. Weil es niemand beantragt hat. Aber in den USA. Dieses Serum kostet Tausende. Es soll das Immunsystem des Kranken komplett in den Keller fahren, sozusagen auf Null setzen. Damit vielleicht ein paar Stammzellen doch noch entdeckt werden, sie sich erholen.

Der Schornsteinfeger hat Glück. Ausgerechnet am Freitag, dem 13. erfährt er, dass die Krankenkasse die Ross-Kur bezahlen wird.

Und wenn nicht genügend Stammzellen da sind? „Ich will die Wahrheit wissen“, sagt Drust. Dann braucht er eine Stammzellenspende. Sonst würde er nicht überleben. Längst hat er mit der DKMS, der größten gemeinnützigen Knochenmarkspenderorganisation, Kontakt aufgenommen. „Ich muss etwas tun, ich habe viel zuviel Energie, um still sitzen zu können“, sagt er. Und schlägt der Organisation eine eigene Aktion vor, um neue Spenderinnen und Spender zu finden. Er beschreibt online sein Schicksal und bittet für sich und andere um eine Registrierung bei der DKMS. Wer sich registrieren lässt, bekommt ein Testkit zugeschickt. Tut nicht weh. Kann aber Leben retten.

Zeichen tun gut

Natürlich meldet sich Tom Drust auch sofort beim Gewerbeamt in Ilmenau. Er und seine Frau Anja sind selbstständig, nirgendwo angestellt. Anja springt genauso auf den Dächern herum wie er. Und was sie bislang zu zweit geschafft haben, kann Anja nicht die nächsten Monate allein stemmen. Schließlich gibt es Fristen. Im Gewerbeamt in Ilmenau sind sie verständnisvoll und versichern: „Wir geben Ihnen die Zeit, gesund zu werden“. Tom Drust ist erleichtert. Er erlebt viel Gutes in dieser Zeit.

Auch in Stützerbach. Dort war am vergangenen Wochenende Kirmes. Eigentlich laufen er und seine Anja mit durch den Ort, hinter dem Bürgermeister und dem Pfarrer. Und mit Zylinder. Diesmal waren sie nicht dort, aber ganz vorn dabei. Die Stützerbacher lassen ihre Schornsteinfegerin und ihren Mann doch nicht im Rauch stehen. „Derlei Zeichen tun richtig gut“, sagt Anja Drust.

Und auch Handwerkskammer-Präsident und Bäckermeister Stefan Lobenstein engagiert sich – er ist der Schirmherr für die Aktion bei der DKMS. Bis Montagabend haben sich 69 Menschen auf Drusts Internetseite registrieren lassen. Das sind 69 Chancen für Menschen wie ihn.

Tom und Anja Drust haben ihre Wohnung zu einem Reinraum umgestaltet. Blumen mit Erde könnten für Tom Drust lebensgefährlich werden. Also weg damit. Wer in ihre Nähe kommt, muss eine FFP2-Maske tragen. Sie alle sind geimpft, auch die halbwüchsigen Kinder. Das ist überlebensnotwendig für Menschen wie Tom Drust, für die eine simple Erkältung zu einem riesigen Problem werden könnte.

Nicht zweifeln, leben

Tom Drust und seine Frau wollen nicht zweifeln, sondern leben. Die vielen geweinten Tränen und die Verzweiflung können sie derzeit nicht ganz aus ihrem Leben verbannen. Und auch nicht das Krankenhaus und besorgtes Warten. „Mir ist bange davor, nichts tun zu können“, sagt Tom Drust. Er sagt nicht, dass er Angst hat. Er schreibt dagegen einen Blog. „Und das letzte Bild in diesem Blog wird sein, dass ich in meiner Berufskleidung vom Dach herunter winke“.

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