Warum das 1,5-Grad-Klimaziel unplausibel und unerreichbar ist
Klimawandel: Zwischen Illusion und RealitätWarum das 1,5-Grad-Klimaziel unerreichbar und unplausibel ist
Markus Brauer 20.09.2024 - 13:04 Uhr
Ein Hamburger Forschungsvorhaben untersucht gesellschaftliche Entwicklungen, die den Klimaschutz beeinflussen. In dem diesjährigen Bericht beschäftigen sich die Forscher zudem mit Klimaanpassung.
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Eine neue Klimastudie hält das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels für unrealistisch und illusorisch, unplausibel und unerreichbar. Ein Wissenschaftlerteam der Forschungsgruppe "Climate, Climatic Change, and Society“ (CLICCS) der Universität Hamburg verweist in seiner Analyse „Hamburg Climate Futures Outlook 2024“ unter anderem auf das Verhalten von Unternehmen, die Konsumentwicklung und die verstärkten Investitionen in fossile Energien.
„Den CO2-Ausstoß bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren, ist derzeit nicht plausibel. Vor allem die Strategien von Unternehmen, die Konsumentwicklung und der fehlende Abzug von Finanzmitteln aus fossilen Energien verhindern eine umfassende Dekarbonisierung“, heißt es in der Studie.
„Es wird wieder massiv in Öl, Gas und Kohle investiert“, sagt die Soziologin und Mitautorin Anita Engels. Im Pariser Klimaschutzabkommen hatten sich Deutschland und weitere Staaten im Jahr 2015 noch das Ziel gesetzt, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten und sie möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Viele Klimaexperten gehen davon aus, dass die 1,5-Grad-Schwelle nicht zu halten ist.
Viele gesellschaftliche Schlüsselprozesse würden zwar die Dekarbonisierung unterstützen, stellen die Experten fest. Doch es fehle ein grundlegender Richtungswechsel. „Eine nachhaltige, transformative Anpassung an den Klimawandel ist dringend erforderlich. Derzeit überwiegen jedoch kurzfristige Maßnahmen zur Bewältigung oder Risikominimierung.“
Neu ist, dass die Autoren sich umfassend mit Klimaanpassung beschäftigt haben. Die Forscher haben mehrere Beispiele vorgestellt, darunter sind Hamburg, der Nordosten Niedersachsens und São Paulo in Brasilien. Die Studie teilt die Qualität von Anpassungsmaßnahmen in drei Kategorien ein: Krisenbewältigung sowie präventive und nachhaltige Anpassung.
„Nachhaltigkeit ist nicht nur ein nettes Extra“, unterstreicht die Geologin und Beate Ratter. „Wo Anpassung nicht durchdacht wird, können Nebenwirkungen die Erfolge zunichtemachen.“ Maßnahmen im Küstenschutz könnten zunächst bei Hochwasser helfen, langfristig aber Sedimente fortspülen und Korallenriffen schaden.
Auch seien mit Monokulturen aufgeforstete Wälder besonders anfällig für Schädlingsbefall. „Solche Maßnahmen wirken langfristig, reduzieren Risiken und werden durch die lokale Bevölkerung mitgestaltet und getragen.“
Die Studie teilt die Qualität von Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel in drei Kategorien:
Die erste Stufe ist die unmittelbare Krisenbewältigung (coping): Das sind zum Beispiel akute Maßnahmen bei Überschwemmungen oder Dürre.
Vorausschauender sind Maßnahmen der zweiten Stufe: Hier werden schrittweise präventive Anpassungen vorgenommen (incremental), die helfen sollen, negative Klimafolgen in naher Zukunft abzuwenden.
Die dritte Stufe, eine nachhaltige Anpassung, erfordert einen grundlegenden Umbau von Strukturen und Prozessen, eine Transformation (transformative). Solche Maßnahmen wirken langfristig, reduzieren Risiken und werden durch die lokale Bevölkerung mitgestaltet und getragen. Sie verursachen möglichst keine zusätzlichen Emissionen und orientieren sich an den Nachhaltigkeitszielen der UN, um nicht an anderer Stelle zu schaden. So bewahren sie zum Beispiel die Biodiversität und schonen natürliche Ressourcen.
Anpassung sei dringend, weil das Zusammenspiel von Klimawandel und natürlichen Klimaschwankungen schon heute Ökosysteme und Wirtschaft stark beeinträchtig, wie aktuelle Klimasimulationen von CLICCS zeigen.
„In Zukunft können extreme Wetterereignisse auch in Kombination und gebündelt auftreten“, erläutert Jochem Marotzke, Klimaforscher am Max-Planck-Institut für Meteorologie und Autor der Studie. „Das birgt höhere Risiken und kann verheerende Folgen haben. Darauf müssen wir uns umgehend vorbereiten.“
Anhand von neun Fallstudien (Nepal, Namibia, Niedersachsen, Sao Paulo, Ho Chi Minh-Stadt, Hamburg, Nordfriesland, Taiwan, Malediven) analysierten die Forscher unterschiedliche Maßnahmen zur Anpassung an Klimarisiken. Sie stellen allerdings fest, dass derzeit keines der untersuchten Fallbeispiele eine nachhaltige Anpassungsstrategie vorweisen könne. Hamburg, Nordfriesland und Ho Chi Minh-Stadt zeigten erste Ansätze für eine transformative (grundlegende) Anpassung.
Wie die Anpassungen an den Klimawandel gelingen können
Die Forscher stellen vier zentrale Forderungen auf, um die klimarelevante Transformation zu optimieren:
Erfolgreiche Strategien zum Klimaschutz müssten inklusiv und vernetzt sein.
Verschiedene Ebenen und Ressorts müssten zusammenarbeiten, um sich angemessen auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten.
Unterschiedliche Wissensperspektiven müssten genutzt und gebündelt werden für gerechte Klimaschutzmaßnahmen.
Politischer, rechtlicher und finanzieller Druck müsste für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen eingesetzt werden.
Auch andere Studien zeigen, das die Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles aus dem Pariser Klimaabkommen noch schwieriger werden könnte als bisher angenommen. Berechnungen mit neuen Daten und verbesserten Klimamodellen sind zu einem besorgniserregenden Ergebnis gekommen.
Um dieses ohnehin ambitionierte Ziel nicht zu verfehlen, darf die Menschheit demnach deutlich weniger Kohlendioxid (CO2) ausstoßen als noch im Sechsten Weltklimabericht der Vereinten Nationen geschätzt.
Bei weltweiten CO2-Emissionen auf dem Niveau von 2022 wäre diese Menge in etwa vier Jahren – als 2028 – bereits erreicht, schreibt eine internationale Forschungsgruppe in einer Studie um Robin Lamboll vom Imperial College London im Fachjournal „Nature Climate Change“.
Die Erde im Jahr 2040
Wie wird die klimatologische Zukunft aussehen? Wie wird es um unseren blauen Planeten in 16 Jahren – also im Jahr 2040 – stehen? Und wie wird es der Menschheit in Zeiten des Klimawandels und der globalen Erderwärmung ergehen?
Eine Studie gibt Einblicke in eine Welt, in der das Leben ein ganz anderes sein könnte als heute. Die Untersuchung beschreibt eine Zukunft, in der die globale Erwärmung die Zwei-Grad-Schwelle überschritten hat. Was wären die Folgen – für Deutschland und die Welt?
Zwei Grad mehr: Was könnte das bedeuten?
Diese Frage haben sich der Klimaforscher Taejin Park vom Ames Research Center der US-Raumfahrtbehörde Nasa und sein Team auch gestellt. „Die bei zwei Grad eintretenden Klimaveränderungen und ihre räumliche Heterogenität zu verstehen, ist wichtig, damit Entscheider entsprechende Anpassungen und Maßnahmenpläne vorbereiten können“, schreiben sie in ihrem Report „Earth’s Future. What does global land climate look like at 2°C warming?” Die Studie ist im Fachmagazin „Advancing Earth and Space Scienes” erschienen.
Für ihre Prognosen verwendeten die Wissenschaftler insgesamt 35 Klimamodelle des „Coupled Model Intercomparison Project“ (CMIP), um die Erderwärmung alternativ bei mäßigem und bei ungebremstem Klimawandel vorherzusagen. Zur Info: Das CMIP ist ein 1995 ins Leben gerufenes Netzwerk, das darauf abzielt, das Wissen über den Klimawandel zu verbessern.
Wie wird sich die globale Erwärmung auswirken?
Das globale Klima wird demnach die Schwelle zu zwei Grad Erderwärmung bereits in den 2040er Jahren überschreiten, prognostizieren die Nasa-Experten. Ob der Klimaschutz optimiert wird oder nicht, spielt dabei eigentlich keine große Rolle mehr.
Selbst mit einem weltweiten Bemühen wie im Pariser Klimaabkommen ratifiziert, die Erderwärmung zu begrenzen, würde die Zwei-Grad-Marke im Jahr 2042 erreicht – statt 2044. „Die globalen Lufttemperaturen über Land werden zu diesem Zeitpunkt schon um 2,33 beziehungsweise 2,79 Grad angestiegen sein“, schreiben die Forscher.
Einige Regionen werden sich schneller erwärmen als der Rest der Welt – nämlich auf eine Jahresmitteltemperatur von über drei Grad. Dazu zählen die Arktis und Antarktis, Grönland, Alaska und Nordasien. Im südlichen Asien, in Afrika und im südlichen Südamerika fällt die Erwärmung dagegen etwas moderater aus.
Mehr Hitzestress-Tage
Bei zwei Grad globaler Erderwärmung – regional können noch weit höhere Werte erreicht werden – werden der Mix aus Luftfeuchtigkeit und Hitze häufiger auftreten und die für Menschen noch erträgliche Grenze deutlich überschreiten. „Dies gilt besonders stark für das westliche Nordamerika mit 27 zusätzlichen Hitzestress-Tagen, Ostafrika mit 32 Tagen mehr und die Sahelzone mit 44 zusätzlichen Hitzestress-Tagen“, berichten die Wissenschaftler. In Australien und Südamerika könnte sich der Hitzestress dagegen leicht verringern.
In Mitteleuropa werden die Sommer heißer, feuchter und schwüler. Die Sonneneinstrahlung wird intensiver und länger – vor allem im Mittelmeerraum, in Nordeuropa, im Osten Nordamerikas, in weiten Teilen Afrikas sowie in der Arktis.
Regional deutlich mehr oder weniger Regen
Die Niederschläge werden vielerorts häufiger und heftiger. Allerdings mit großen regionalen Unterschieden: In West- und Ostafrika fallen 82 und 52 Millimeter mehr Regen pro Quadratmeter und Jahr. In Südasien erhöht sich die Niederschlagsmenge um 64 Millimeter pro Jahr – vor allem in Form von Starkregen.
Weniger Regen wird es hingegen im Südwesten Nordamerikas und im Mittelmeerraum, in Australien und im Amazonas geben. Dort wird sich die jährliche Niederschlagsmenge signifikant um 98 Millimeter pro Quadratmeter und Jahr verringern.
„Das Amazonasgebiet wird schwerere Dürren, ein höheres Feuerrisiko und gefährlichen Hitzestress erleben, wenn sich die Erde weiter erwärmt“, stellen die Klimaexperten fest. Der größte Regenwald der Erde könnte sich in eine Savanne verwandeln.
Wetterextreme verstärken sich
„Es ist offensichtlich, dass sich das Ausmaß und die Richtung der Klimaveränderungen je nach Region unterscheidet“, resümieren Taejin Park und sein Team. „Dadurch sind auch die Auswirkungen sehr unterschiedlich.“Insgesamt, so das Fazit der Wissenschaftler, würden sich die schon heute spürbaren Folgen des Klimawandels weiter verstärken (mit dpa/AFP-Agenturmaterial).