Offenheit gewünscht
Die 1933 in Siebenbürgen geborene Marie, die mit zwölf Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland fliehen musste, aber stattdessen vier Jahre im Uralgebirge in einer Kohlemine schuftete. Ihre Familie hielt sie für tot. Erst Jahrzehnte später hörte sie wieder von ihrer Schwester, die inzwischen in Kanada lebte.
Mit ihrer achtjährigen Tochter, der Mutter des vortragenden Jacob, floh Karin Simon mit weiteren Familien 1989 über Ungarn aus der DDR. Mit „der Wut und dem Mut der Verzweifelten“ bogen sie den Drahtzaun, der eigentlich an der ausgesuchten Stelle offen sein sollte, nach erstem Schreck und Angst mit bloßen Händen auf. Sie schafften es und hofften fortan auf ein „selbstbestimmtes Leben ohne Rücksicht auf Ideologien“.
Ungefähr so alt wie die darstellenden Jungen und Mädchen des Ensembles ist Nalen aus Syrien. Ihr Fluchtweg führte von Syrien über die Türkei, Athen, Mazedonien, Serbien, Kroatien nach Slowenien, über Österreich bis Passau, München, Jena, Mühlhausen, Zella-Mehlis und seit nun drei Jahren ist sie in Meiningen angekommen. In ihrem von zwei jungen Darstellern vorgetragenen Bericht bedauert sie, dass sie kaum Kontakt zu Gleichaltrigen hat, da viele sehr distanziert wären. Das mache ihr das Deutsch-Lernen noch schwerer. Sie wünscht sich mehr Offenheit und kein ständiges Pauschalisieren. Was sie vermisst, sind ihre Freunde, ihre Schule, aber auch das syrische Eis. Doch, so erkennt sie resigniert, in ihrem Heimatland hätte sie keine Zukunftsaussichten.
Das sind die Geschichten, wie sie jedem zum Thema Flucht und Krieg regelmäßig begegnen. Sie kommen durch Familien, Freunde und andere Kontakte immer wieder in die persönliche Reichweite. Doch die Rahmenhandlung des Bühnenspiels trat dem Betrachter noch näher.
Ein Perspektivwechsel, so der Untertitel. „Der Krieg fing an, weil Deutschland in Europa nicht mehr mitmachen wollte!“ Fiktiv sind Deutsche nun die Flüchtenden in die arabische Welt. Hier sitzen die beiden am Schreibtisch, die entscheiden, ob es eine Aufenthaltsgenehmigung gibt. „Scheiß Bastarde“ brüllte die Masse stimmgewaltig synchron. Der Spieß wurde umgedreht. Und warum schnürte es allen im Saal die Kehle zu, wenn ausdrucksstark erzählt wurde, wie die Geflohenen versuchen sich im anderen Land anzupassen, aber es doch nur heißt: „Du kannst deine blauen Augen nicht verstecken!“ Wie Marionetten an Fäden bewegte sich die Gruppe immer wieder in choreografierten, mit Musik unterlegten Szenen. Eine absolut homogene Gruppe, die genau dadurch bestach und ihre Botschaft eindringlich, am Ende ohne erhobenen Zeigefinger, sondern mit energiegeladener Spannung, weitergeben konnte. „Du lebst in Frieden, trotzdem bist du ein Fremder und träumst von zu Hause. – Nach Hause!?“ Wo auch immer das ist.
Die nächste Vorstellung beginnt am morgigen Dienstag, 31. Mai, um 19 Uhr im Rautenkranz.