Auch politische Gefangene wie Nawalny kommen in diese Straflager - aus Sicht von Menschenrechtlern oftmals nicht wegen echter Verbrechen, sondern wegen ihrer regierungskritischen Haltung. Die Aktivistin Tolokonnikowa etwa erlebte im Lager "IK-14" in Mordwinien als Näherin von Polizeiuniformen Arbeitstage von 7.30 Uhr bis 0.30 Uhr - bei nur einem freien Tag im Monat. Systematischer Schlafmangel, schlechtes Essen, kalte und schmutzige Zellen sollen die Gefangenen möglichst rasch brechen, wie sie festhielt. Die Arbeitslöhne liegen nach offiziellen Angaben bei unter vier Euro pro Tag.
"Hunderte HIV-Kranke arbeiteten 16 Stunden am Tag und richteten die Reste ihres Immunsystems damit zugrunde. Zum Sterben brachte man sie ins Lagerkrankenhaus - damit sie mit ihren Leichen nicht die Koloniestatistik verdarben", notierte Tolokonnikowa. Die Musikerinnen von Pussy Riot gründeten nach ihrer Entlassung Ende 2013 die Hilfsorganisation Zona Prawa (Zone des Rechts). Besonders setzt sich Tolokonnikowa, wie sie der Deutschen Presse-Agentur einmal sagte, für Frauen ein, die sich nach langer Misshandlung gegen häusliche Gewalt wehrten und ihre Männer töteten, um das eigene Leben zu retten.
Wie brutal es zugehen kann in den Straflagern, beschrieb schon früh der Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn (1918-2008) in seinem Werk "Der Archipel Gulag". Aber auch 30 Jahre nach dem Ende der kommunistischen Gewaltherrschaft hat sich nach Meinung von Menschenrechtlern nichts grundlegend geändert. Die Organisation Memorial sammelt Berichte von Augenzeugen. Überlebende erzählen auch in Dokumentationen oft unter Tränen von Willkür und drakonischen Strafen, von Vergewaltigungen, Hunger und Seuchen.
Die kremlkritische Zeitung "Nowaja Gaseta" berichtete mehrfach, dass Angehörige brutal misshandelter oder sogar getöteter Gefangener immer wieder flehend an Präsident Putin schrieben, er möge gegen "sadistische Knastaufseher" vorgehen. Doch Anwälte, Menschenrechtler, die Organisation Russland ohne Folter (Rossija bes Pytok) und Russland hinter Gittern beklagen, diese Beschwerden blieben meist folgenlos für die genannten Peiniger.
So oder so kommen auf den Putin-Gegner Nawalny harte Zeiten zu - er ist von seiner Frau Julia und den beiden Kindern auf Jahre getrennt. Das Strafvollzugsrecht erlaubt ihm in einem "Lager allgemeinen Regimes" etwa sechs kurze und vier längere Besuche pro Jahr. Doch wegen der Coronavirus-Pandemie gab es aus vielen Lagern zuletzt Berichte über Einschränkungen der Rechte.
Die Gefahr im Lager sei auch deshalb groß, weil dort wegen eines Systems korrupter und krimineller Geflechte und wegen fehlender Überwachung Verbrechen schwerer aufzuklären seien, meinen Experten. Die Menschenrechtlerin Romanowa sagte nach dem umstrittenen Urteil gegen Nawalny, dass er im Untersuchungsgefängnis immerhin noch unter starker Beobachtung von Personal und Videokameras stehe. Aber bei einer Überstellung ins Lager gebe es keine Sicherheit mehr für ihn.
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