Gera – Nicht nur Fußballspiele vermögen es in Deutschland offenkundig, große Menschenmassen zu mobilisieren. Auch ein Prozess gegen Fußballfans tut das. Vor allem, wenn es ein großer, ein Staatsschutzprozess ist, in denen es auch darum geht, die Allgemeinheit vor besonders gefährlichen Straftätern zu schützen.
 
So am Donnerstag vor dem Landgericht Gera, wo mehr als etwa zwei Dutzend Menschen trotz Corona darauf warten, in einen großen Gerichtssaal gelassen zu werden, in dem gleich das Urteil gegen vier Angeklagte im Alter zwischen 21 und 29 Jahren fallen wird, gegen die die Staatsanwaltschaft Gera schwere Vorwürfe erhebt.
 
Sie alle sollen nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Mitglied einer kriminellen Vereinigung namens Jungsturm sein; einer Gruppe, in der sich nach Überzeugung der Ermittler nicht nur gewaltbereite, sondern auch rechte Fans des FC Rot-Weiß Erfurt gesammelt haben. Unter anderem, um - als links geltende - Fans des FC Carl Zeiss Jena zu überfallen; etwa an den Bahnhöfen Saalfeld und Gotha 2018 und 2019. Oder, um sich in Schlägereien mit anderen Hooligans zu messen.
 
Nicht alle, die vor dem Saal warten, werden es schließlich dort hinein schaffen. Wegen Corona. Einige der Freunde der Angeklagten warten deshalb schließlich vor der Tür und tippen auf ihren Handys, während drinnen das Urteil verkündet wird. Es wird ihnen nicht gefallen.
 
In diesem Urteil nämlich stützt das Landgericht Gera im Wesentlichen die Linie der Staatsanwaltschaft und stuft den Jungsturm als kriminelle Vereinigung ein. Als eine Gruppe also, die darauf aus war oder ist, Straftaten zu begehen. Deshalb und weil sie nach Überzeugung des Gerichts mit den Überfällen und den Schlägereien Gewalttaten begangenen haben, werden drei der vier Angeklagten wegen ihrer Mitgliedschaft beim Jungsturm sowie gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch zu Haftstrafen von jeweils zwei Jahren und vier Monaten beziehungsweise zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Beim vierten Angeklagten wird vor dem Hintergrund dieser Vorwürfe wegen seines Alters Jugendstrafrecht angewandt. Er erhält eine Jugendstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
 
Der zuständige Staatsanwalt hatte in seinem Plädoyer am Mittwoch gefordert, die Männer sollten für jeweils drei bis viereinhalb Jahre ins Gefängnis. Ausführlich hatte er begründet, warum der Jungsturm aus Sicht der Ermittler eine Gruppierung ist, die das Ziel hat, Straftaten zu begehen. „Die Essenz des Jungsturms ist Gewalt“, sagte er.
 
Dass die Verteidiger der Männer in ihren Plädoyers am Donnerstag die Sache ganz anders dargestellt hatten, hat das Gericht offenkundig höchstens milde beeindruckt. Die Anwälte hatten deutlich niedrigere Strafen für die Angeklagten verlangt. Die Anwälte von drei der vier Angeklagten hatten Haftstrafen von jeweils einem Jahr bis einem Jahr und zehn Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden sollten, vorgeschlagen. Der Verteidiger des 21-jährigen Angeklagten hatte für seinen Mandanten zudem die Anwendung von Jugendstrafrecht gefordert und Bewährungszeit für ihn verlangt. Die Staatsanwaltschaft hatte auch für ihn eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht verlangt. Im Kern argumentierten alle Verteidiger, beim sogenannten Jungsturm handele es sich nicht um eine kriminelle Vereinigung.
 
Anders der Vorsitzende Richter während der Urteilsbegründung. Was die Mitglieder des Jungsturms verbinde, sei ihre Faszination für Gewalt und ihre rechtsextreme Gesinnung, sagte er. Letztere spiele aber für das Urteil keine Rolle. Dies sei weder ein Verfahren gegen Fußballfans, noch gegen Rechte gewesen.
 
Dagegen wertet das Gericht gerade auch die Beteiligung der Männer an Hooligan-Schlägereien schwer und zu ihrem Nachteil. „Ich brauche keinen Sachverständigen, um festzustellen: Wenn es da dumm läuft, gibt es Tote“, sagt der Vorsitzende Richter. Auf Videoaufnahmen von den Kämpfen ist zu sehen, wie einzelne der Angeklagten bei solchen Auseinandersetzungen Gegner, die schon am Boden liegen, gegen den Kopf schlagen und treten oder sogar auf deren Kopf springen. Die Vorstellung, solche Schlägereien seien nicht strafbar, weil die Teilnehmer sich im gegenseitigen Einvernehmen schlagen und treten, hatte schon der Bundesgerichtshof vor einigen Jahren in einem Urteil gegen sächsische Hooligans verworfen.
 
Diejenigen, die vor der Tür auf die Angeklagten warten, sind von diesem Urteil und seiner Begründung erkennbar ebenso schockiert wie die Angeklagten selbst. Nach dem Prozess sieht man bei ihnen nur versteinerte Mienen. Einer der Angeklagten, der als Mit-Rädelsführer des Jungsturm gilt, verlässt den Gerichtssaal fluchtartig. Noch kann er das. Solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, bleibt er auf freiem Fuß.