Jubiläum der Bibelübersetzung Luthers Sex-Qualen auf der Wartburg

Am 1. März vor 500 Jahren hat Martin Luther sein Exil auf der Wartburg verlassen. In der Tasche trägt er die Übersetzung des Neuen Testament. Sie wird Basis für unsere heutige Einheitssprache. Die Wochen im Thüringer Wald bestimmen, wie wir heute reden und schreiben. Und da war noch etwas: Das Thema Sexualität – und Verdauungsbeschwerden.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Eisenach - Lückenbüßer, friedfertig, wetterwendisch, Machtwort, Feuereifer, Langmut, Lästermaul, Morgenland – ohne Martin Luther gäbe es diese Worte nicht. Sie stammen aus seiner Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Elf Wochen hat er sich für das Neue Testament Zeit genommen, auf der Eisenacher Wartburg.

Am 4. Mai 1521 ist er auf dem Heimweg nahe Schloss Altenstein bei Bad Liebenstein zum Schein entführt worden, um ihn vor dem katholischen Kaiser zu beschützen. Am 18. Dezember fängt er mit der Übersetzung an. 73 Arbeitstage braucht er, durchschnittlich neuneinhalb Seiten griechischer Text werden pro Tag zu Redewendungen, die wir bis heute ganz selbstverständlich benutzen. Am 1. März 1522 steigt er von der Wartburg ab und hat ein Manuskript dabei, dass Deutschland für immer verändern wird – nicht nur theologisch oder politisch, sondern vor allem sprachlich.

In Deutschland gab es zu der Zeit etwa 20 verschiedene Sprachen oder Dialekte, die sich so fremd waren wie das heutige Niederländisch und Österreichisch. Im Groben teilten diese sich in zwei große Sprachgebiete: Oberdeutsch (beginnend mit dem Fränkischen) im Süden, Niederdeutsch im Norden. Luther hatte einen wichtigen Vorteil: Er selbst wohnte genau an der Grenze. „Aufgewachsen in Eisleben (niederdeutsch) und lange ansässig in Wittenberg (hochdeutsch), war es für ihn selbstverständlich, sich beider Sprachen zu bedienen“, berichtet der Sprachforscher Hartmut Günther. Die Bibel hat Luther dann in eine Sprache übersetzt, die sowohl niederdeutsche als auch oberdeutsche Elemente hatte.

Das war aber nicht die einzige Leistung. Er hat dem Volk aufs Maul geschaut – diese Formulierung kennt heute auch jeder. Genau genommen sagte Luther: „Man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen.“

Am 21. September kommen die ersten 3000 Exemplare in den Handel. Das Werk wird überaus populär. Das Volk will und soll das Wort Gottes selbst lesen. Für Buchdrucker ist es das Geschäft ihres Lebens, aber die Massenproduktion sorgt nicht nur für massenhafte Verbreitung, sondern auch für sinkende Preise. „Musste man vor Luther für einen Bibeldruck den heutigen Gegenwert eines Mercedes der S-Klasse bezahlen, so kostete eine Lutherbibel im 16. Jahrhundert so viel wie heute ein Kühlschrank“, erklärt der Theologe Hartmut Hövelmann.

Luther selbst hatte mit dem Neuen Testament auf der Wartburg eine schwere Geburt. Er lebt dort unter falschem Namen Junker Jörg als Gast des Burghauptmanns Hans von Berlepsch und des Ritters Sterbach. Die äußeren Umstände sind tadellos. Luther wird mit zu Jagdausflügen genommen (aus denen er sich nichts macht), besucht mit Vollbart und voller Haarpracht Eisenach, geht wandern.

Aber innerlich kocht er. Die Reformation der Kirche, die er mit seinem Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 (den feiern wir heute als arbeitsfreien Reformationstag) angestoßen hat, nimmt Fahrt auf und er ist zu seinem persönlichen Schutz zur Untätigkeit verurteilt. Die Wartburg bezeichnet er als sein Pathmos, wo er seine Tage zubringen muss „in der Region der Luft und im Land der Vögel“. Pathmos ist die griechische Insel, auf der Evangelist Johannes als Verbannter lebte und die Apokalypse in seiner „Offenbarung des Johannes“ beschrieben hat. „Es ist für Luther persönlich sicherlich eine der unglücklichsten Zeiten seines Lebens gewesen“, berichtet der Biograf Hellmut Diwald.

Depressionen und Selbstzweifel plagen den Mann. Er kompensiert es teilweise mit Essen, seiner bekannten Leidenschaft. „Ich sitze hier den ganzen Tag müßig und schwermütig und fülle mir den Leib“, schreibt er an Spalatin. Auf der Wartburg nimmt er rapide an Gewicht zu. Sein Körper zeigt den Hang zur Aufschwemmung, den man auf späteren Gemälden deutlich erkennen kann. Dazu kommen Verdauungsbeschwerden, über die er ungeniert berichtet: „Der Stuhlgang ist so hart, dass ich ihn mit großem Schweiß und Mühe erpressen muss. Gestern habe ich, nach vier Tagen, mich nur einmal entledigt...“

Luther ist auf der Wartburg zwar sicher, aber nicht ausgelastet. Es mangelt an Abwechslung – und das Zölibat wird zur Höllenqual. „Ich brenne durch das große Feuer meines ungezähmten Fleisches. Ich, der ich brünstig sein sollte im Geist, bin brünstig im Fleisch, Geilheit, Faulheit, Müßiggang und Schlafsucht“, berichtet er an Melanchton. Acht Tage schon habe er nicht geschrieben oder gebetet, werde dagegen von Versuchungen des Fleisches geplagt. „Betet alle für mich, denn ich werde in Sünden versenkt in dieser Einsamkeit“, fleht er in Briefen an seine Freunde.

Kein Wunder, dass er gegen den Stand der Ehelosigkeit wettert. „So viel Schreckliches tritt mir täglich in dem elenden Zölibat der jungen Männer und Frauen entgegen, dass meinen Ohren nichts widerwärtiger ist als der Name Nonne, Mönch und Priester.“ Im November 1521 beginnt er mit der Schrift „Über die Klostergelübde“. Dort meint er, das Keuschheit ein Vorhaben sei, das sich nicht erfüllen lasse – deshalb solle man es nicht auf sich nehmen, sonst werde der ganze Mensch vergiftet. Die Folgen sind bekannt: Zölibat ist der protestantischen Kirche unbekannt. Die katholische Kirche leidet bis heute an den Folgen dieser Regel. Luther ging sogar noch weiter. Statt Scheidungen sprach er sich für Bigamie aus. Sollte ein Partner impotent sein, sollte der andere Recht auf Trost bei einem Dritten haben. Luther ist immer für Staunen gut, auch nach 500 Jahren.

Der Kampf mit dem Teufel und ein Tintenfleck

Luther hat es mit dem Teufel aufgenommen. Und das nicht nur im übertragenen Sinn, sondern wortwörtlich. Ein Tintenfleck ist der Beweis. Heute ist der aber verschwunden.

Das muss ja an den Nerven zerren: Vom 4. Mai 1521 bis 1. März 1522 muss Martin Luther auf der zugigen Wartburg bleiben – ringsum tobt die Weltgeschichte und er darf nicht ins Rad dieser Geschichte greifen. Vor lauter Frust beginnt er mit der Übersetzung der Bibel ins Deutsche.

Vielleicht ist das Bier schlecht, das Essen zu schwer oder die Kerze zu dunkel – in jedem Fall sieht Luther die Fratze des Teufels, hört ein Scharren. Es ist nicht das erste Mal, dass der Satan ihn von der wichtigen Arbeit abhalten will. Nun hat Luther aber genug. Wild entschlossen greift er zum Tintenfass und schleudert es auf den Belzebub.

Ein blauer Tintenfleck an der Wand neben dem Kachelofen wird zum Beweis für Generationen. Schriftzeugnisse und Bilder seit 1650 widmen sich dem Beweisstück. Spätere Besucher popeln daran herum und nehmen ein Stückchen als protestantische Reliquie oder ganz schlicht als Souvenir zum Angeben mit. Ständig muss der Fleck mit moderner Tinte erneuert werden.

Heute wird bezweifelt, dass es jemals den Wurf mit dem Tintenfass gegeben hat. Luther benutzte kein Tintenfass, sondern ein kleines Tintenhorn, kaum geeignet, dem Teufel eine Beule beizubringen. Wahrscheinlich wurde eine Aussage Luthers einfach zu wörtlich genommen. Er habe den Teufel mit Tinte vertrieben – also mit seinen Schriften, steckt wohl eher dahinter.

Schon mehr als 100 Jahre wird der teuflische Klecks nun schon nicht mehr nachgebessert. Und trotzdem suchen ihn Besucher bei jeder Führung. Heute ist an der Stelle ein Loch im Putz. Vielleicht sollte man den Touristen einfach den Gefallen tun und wieder nachfärben.

Eisenach ist übrigens nicht der einzige befleckte Luther-Ort. Die Veste Coburg – aus moderner Sicht am anderen Ende der Werrabahn – hatte auch einen Fleck nach dem Ringen Luthers mit dem Teufel im Jahr 1530. Der Coburger Tintenfleck wird ebenfalls schon im 17. Jahrhundert erwähnt. Johann Melissantes berichtet dann 1715 in seinem „Neueröffneten Schauplatz Denckwürdiger Geschichte“ von „(...) einem schwarzen Fleck, welchen Lutherus gemacht, als er hier das Dintenfass nach dem Teuffel, als er ihm erschienen und ihn beunruhigen wollte, geworffen.“

Möglicherweise war es auch einfach nur eine schlechte Idee, Luther in politisch stressigen Momenten zu beherbergen. Die Hausfrauen seien vor solchen Gästen gewarnt.

Berühmte Worte aus der Lutherbibel

Wer hat sich nicht schon geärgert über vergebliche Mühen und gemeint, dass das wie „Perlen vor die Säue“ werfen war? Schuld an der Wehklage hat Martin Luther mit seiner Bibelübersetzung. Er hat dabei kräftige Sprachbilder entwickelt. Ganz nebenbei formte er die deutsche Sprache mit. Das Zitat im Zusammenhang steht im Matthäus-Evangelium: „Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, damit die sie nicht zertreten mit ihren Füßen und sich umwenden und euch zerreißen.“

Auch den Sündenbock hat Luther in die deutsche Sprache gebracht, der für die Sünden von Menschen büßen muss und von einer Klippe gestoßen wird.

Zur Unmenge weiterer Luther-Schöpfungen gehören (Bibelstellen in Klammern):

n Der Mensch lebt nicht vom Brot allein (Mose 8,3) 

n Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein (Sprüche 26,27)

n Seinen Freunden gibt er (der Herr) es im Schlaf (Psalm 127,2)

n Hochmut kommt vor dem Fall (Sprüche 16,18)

n Alle Wasser laufen ins Meer (Prediger 1,7)

n Der Mensch denkt und Gott lenkt! (Sprüche 16,9) 

n Etwas ausposaunen (Mt 6,2)

n Ein Dorn im Auge (Num 33,55) 

n Im Dunkeln tappen (Dtn 28,29)

n Der wahre Jakob (Gen 27,36)

n Mit Füßen treten (1 Sam 2,29)

n Auf Herz und Nieren prüfen (Psalm 7,10)

n Die Hände in Unschuld waschen (Psalm 26,6)

n Gift und Galle (Dtn 32,33) 

n Auf keinen grünen Zweig kommen (Ijob 15,32)

n Jugendsünden (Ps 25,7)

n Alles hat seine Zeit (Kohelet 3,1)

n Brief und Siegel (Jer 32,44)

n Wolf im Schafspelz (Mt 7,15) 

n Ein Herz und eine Seele sein(Apg 4,32)

n Die Haare zu Berge stehen(Hiob 4,15)

n Krethi und Plethi (2 Samuel 15

Autor

Bilder