Video und Ticker Wahlforum: Emotionen, Streit und Provokationen

und , aktualisiert am 14.09.2021 - 22:43 Uhr

Was dem Fernsehen das Triell der drei Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl, das ist für den Wahlkreis 196 – der weite Teile Südthüringens umfasst – das Wahlforum unserer Zeitung mit den sechs Direktkandidaten. Am Dienstagabend erlebten die Zuschauer im Großen Saal des Congresscentrums in Suhl eine spannungsgeladene Debatte mit Provokationen, Reaktionen und Streit. Sehen Sie hier noch einmal den politischen Schlagabtausch. Zudem gibt es die Highlights zum Nachlesen in unserem Ticker.

 
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Suhl - Dass der Wahlkreis 196  bundesweit für solches Aufsehen sorgt, liegt vor allem am CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen, der auch beim Aufeinandertreffen der sechs Direktkandidaten seiner Abneigung gegenüber den Medien deutlich treu blieb und jegliche, auch unionsinterne Kritik an seinen umstrittenen Positionen als gesteuerte Propaganda zurückwies. Selbst dass  Südthüringens bekanntester Neonazi Tommy Frenck empfiehlt, ihn zu  wählen,   sei eine gesteuerte Aktion von „Spiegel TV“, behauptet er. Sein Kontrahent, SPD-Kandidat Frank Ullrich, hatte recht wenig entgegenzusetzen – getreu dem in der Region plakatierten Slogan „Einer von/für uns“ lautet sein Wahlprogramm vor allem: Frank Ullrich. Souverän, programmatisch sicher und kenntnisreich präsentierte sich der einzige aktuelle Bundestagsabgeordnete der Runde, Gerald Ullrich von der FDP – auch wenn seine wirtschaftsliberalen Positionen nicht bei allen Zuschauern im Saal gut angekommen sein dürften.

Klar auf die Rolle als Opposition setzte Jürgen Treutler von der AfD, der sich auf „Hilferufe“ von Menschen aus Suhl berief, die Probleme mit der hiesigen Erstaufnahme-Einrichtung haben. Sandro Witt von der Linken argumentierte generell aus der Sicht des „kleinen Mannes“, des Arbeiters, etwa indem er beim Thema Elektro-Mobilität ein Recht auf  bezahlbare Mobilität für alle forderte, insbesondere für Menschen in ländlichen Regionen. Stephanie Erben von den Grünen stritt engagiert für den Klimaschutz und die Positionen der Grünen – und deshalb für die Zweitstimme; für sich selbst hatte sie ja schon das Antreten als Direktkandidatin für aussichtslos erkannt und deshalb die Wähler gebeten, mit ihrer Erststimme „demokratisch klug“ umzugehen, vor allem nicht Maaßen zu wählen.

Wohl am höchsten schlugen die Emotionen im Saal, als Hans-Georg Maaßen beim Thema Rente eine Attacke gegen Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) schoss, als eigentlich geklärt werden sollte, ob das Alter für den Rentenbeginn weiter steigen könnte: Die 100 Millionen Euro Hilfe für Afghanistan seien doch eine Finanzierung für die Taliban und deshalb besser im deutschen Rentensystem aufgehoben. Die anderen Kandidaten des linken Lagers sprangen zwar dem merklich verdatterten Frank Ullrich zur Seite, den die Attacke auf die SPD ja eigentlich treffen sollte. Dass es um ein UN-Ernährungsprogramm geht und der Hinweis, dass 100 Millionen Euro in der Rentenkasse monatlich 39 Cent mehr Rente bedeuten – und das auch nur ein Jahr lang – blieb darüber hinaus aber dem Fakten-Check im Nachgang zum Wahlforum überlassen.

Ohnehin spitzt sich das gesamte Rennen im Wahlkreis ja auf Maaßen und Frank Ullrich zu – in Umfragen hatte erst Ullrich vorn gelegen, nun ist es wieder Maaßen. Der CDU-Rechtsausleger hatte auch das Problem fehlender Fachkräfte, das insbesondere die Wirtschaft in der Region plagt, mit einem Handstreich für nichtig erklären wollen. Ein Volk von 82 Millionen Menschen könne die nötigen Fachkräfte selbst hervorbringen, da brauche man keine Auszubildenden aus Tadschikistan zu holen oder keine vietnamesische Fleischverkäuferin in Wasungen. Hier war es Gerald Ullrich (FDP), der Paroli bot: Ohne die vietnamesischen Auszubildenden – einer davon mehrfach ausgezeichnet als Bester seines Jahrgangs  –  hätte sein Kunststoff-Unternehmen Aufträge nicht annehmen können. Für sein Statement „Mich interessiert nicht, wo jemand herkommt  –  mich interessiert, wo er mit uns hingehen möchte“, bekommt Ullrich  viel  Beifall im Saal.

Aber auch darüber hinaus präsentierten sich die Kandidaten durchaus angriffslustig: Bei Stephanie Erben ging das gerne auch mal in Richtung CDU und SPD, weil die in der Koalition auf Bundesebene  die letzten 16 Jahre in Sachen Klimaschutz verschlafen hätten. Sandro Witt möchte angesichts leerer Kassen vor allem beim Rüstungshaushalt kürzen und brachte insbesondere mit der Idee, den Verfassungsschutz abzuschaffen, Hans-Georg Maaßen zum Kochen. Jürgen Treutler sorgte ebenfalls mit dem Thema Familienpolitik und der Forderung nach mehr eigenem Nachwuchs für Emotionen, so dass Chefredakteur Marcel Auermann mit der Bemerkung einschritt, man könne doch nicht vorschreiben, wie viele Kinder man zeugen soll.

Dass Wahlkampf kein nettes Plaudern ist, zeigte Hans-Georg Maaßen mit dem Vorwurf an die Grünen, sie würden keine Hand rühren, wenn der Rote Milan von Windrädern getötet wird, während sie den Bau einer Straße mit dem Argument der Krötenwanderung verhinderten. Der Bau von Windrädern war ohnehin Anlass zu Kontroversen, wo Stephanie Erben darauf hinwies, dass der Strom nicht einfach aus der Steckdose kommt und die freien Flächen ins Auge fasste, auf denen nach Dürre und Borkenkäfer-Invasion derzeit sowieso keine Bäume wachsen, Sandro Witt es von der Zustimmung der Bürger abhängig machte – „aber nicht im Wald“, wo Frank Ullrich den Kernbereich des Thüringer Waldes verschonen aber Kommunen nördlich und südlich davon durchaus die Möglichkeit einräumen möchte, sich für Windkraft zu entscheiden, und Jürgen Treutler mit der Gefährlichkeit von Infraschall für einen Mindestabstand von 2,5 Kilometern und mehr argumentierte. Gerald Ullrich versuchte es derweil mit einem Rätsel für Energieversorgungs-Insider: „Was haben Grüne und erneuerbare Energien gemeinsam? Beide sind nicht Grundlast-fähig.“

Wo die Grenzen zwischen den Parteien verlaufen, zeigte sich auch beim Thema Impfen. Gerald Ullrich – nach eigener Aussage genesen und zweimal geimpft – verwies auf die eigene Verantwortung jedes Bürgers: „Wir müssen wegkommen von einer Vollalimentierung“. Jürgen Treutler sagte, er sei ebenfalls von Corona genesen, sei aber ein Gegner einer indirekten Impfpflicht, wie sie etwa mit den 3G-Regelungen in Bayern gelte: „Ich werde keinen Impfstoff empfehlen, der nur eine Notzulassung hat.“ Hans-Georg Maaßen verwies darauf, wegen seines Gesundheitszustands hätten Ärzte ihm geraten, sich nicht impfen zu lassen. Und verband das gleich wieder mit einer Attacke gegen die Medien, die das Thema „missbrauchten“, weil sie darauf verwiesen, dass es unsozial sei, sich nicht impfen zu lassen. Weshalb dann Stephanie Erben mehr Solidarität einforderte – für die Jüngsten, weil sich nun einmal Kinder unter zwölf  Jahren nicht impfen lassen können: „Solidarität ist aus der Mode gekommen.“

Frank Ullrich warb ebenfalls fürs Impfen. Er habe jedoch auch Verständnis für diejenigen, die Bedenken haben: „Ich würde es nicht zum Zwang machen lassen wollen.“ Da sei bei dem Thema viel gefährliches „Facebook- und Twitter-Wissen“ unterwegs, warnte Sandro Witt, den vor allem stört, dass Pharmakonzerne mit dem Impfstoff viel Geld verdienen. Er habe den Eindruck, dass es im Osten mehr Vertrauen in „Sputnik V“ gebe, brachte er das hier nicht zugelassene russische Vakzin ins Spiel. Das hatte er kurz zuvor auch schon per Pressemitteilung. Aber auch hier ist ein Faktencheck angesagt: Mit dem Hinweis, dass in Russland, der Heimat von „Sputnik V“, sich gerade einmal 28 Prozent der Menschen haben impfen lassen.

Die meisten Lacher an dem Abend verursachte wohl Jürgen Treutler. Nicht nur mit dem Verhörer, als er die Frage nach seinem Lieblingsgedicht mit einer Gewichts-Angabe beantwortete, sondern auch beim Rententhema. Auf seine Forderung nach „Freiheit beim Renteneintritt“ hakte Chefredakteur Auermann nach, ob er aus Treutlers Sicht schon mit 50 in Rente gehen könne. Und der AfD-Politiker antwortete mit der Bitte, doch den Populismus zu unterlassen.

Wie auch beim Triell im Fernsehen ist nach dem Kandidaten-Sechskampf in Suhl die Frage nach einem Sieger wohl abhängig von der jeweils bevorzugten Partei – schließlich hat jeder Kandidat vor allem die eigene Klientel bedient. Nur in einem sind sich alle Beobachter ziemlich einig: Es war eher nicht der Abend des Frank Ullrich.

Sehen Sie hier noch einmal die Wahlarena 196 vom Dienstagabend in voller Länge (Start des Forums ab Minute 41)

Unser Ticker zum Nachlesen:

Es moderierten Chefredakteur Marcel Auermann und Redaktionsleiter Markus Ermert.

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