Manchen mag überraschen, dass auch der Linke Witt da nicht völlig Kontra gibt und zum Beispiel den Mindestlohn lieber den Tarifpartnern überlässt als dem Staat. Das Credo des Gewerkschafters lautet auch in anderen Politikfeldern: Wer Kompromisse aushandelt, indem er Akteure (in diesem Fall: Arbeitgeber und Arbeitnehmer) aktiv an Veränderungen beteiligt, bekommt ein besseres Ergebnis als es die üblichen Konfrontation von Macht und Lobbyeinfluss liefern. Was Witt aber nicht davor schützt, dass Pieterwas ihm die lange Liste von Eingriffen, Regeln und Zwängen vorliest, die der Unternehmerschaft bei er Lektüre des Linken-Wahlprogramm schlechte Laune macht.
Fast ebenso kritische Kapitalisten-Fragen müssen sich aber auch CDU und AfD anhören. Etwa bei Maaßens kategorischem Nein zu jeder größeren Arbeitskräfte-Zuwanderung. Es sei doch aussichtslos zu hoffen, man könne den Fachkräftebedarf in Südthüringen aus eigener Kraft decken sagt der IHK-Chef. Maaßen beharrt: „Jäger zwecks Fachkräftebeute nach Tadschikistan und Vietnam zu schicken“, könne nie das politische Rezept sein, 500 000 Job-Zuwanderer seien keine Lösung. Ein höherer Stellenwert für Industrie und Handwerk, weniger Studenten und mehr Handarbeiter: Wenn man so umdenke, könne man aus dem eigenen Volk genügend Fachkräfte generieren. Einwanderung nur für Hochqualifizierte und daheim „Meister statt Master“ nennt Treutler diese Richtung, die auch die AfD einschlägt.
Treutler muss sich das Nein seiner Partei zum Euro und zu einer schlagkräftigen EU vorhalten lassen. Die Furcht der Wirtschaft vor einer Rückkehr zu schwankenden Währungskursen und zersplitterten Märkten, der Einbruch bei Exporten, der Folge der „starken D-Mark“ wäre, der die AfD nachhängt? Treutler fände es wichtiger, keine Rettungsschirme mehr zu brauchen und ansonsten nationale und soziale Wirtschaftspolitik zu betreiben.
Und Frank Ullrich? Der SPD-Kandidat blieb auch in der Wirtschaftsrunde seinem Stil treu, vor allem ans Anpacken von Problemen, an Sportsgeist und Regionalstolz zu appellieren, statt konkrete Lösungen zu präsentieren, nach denen ihn Chefredakteur Marcel Auermann fragt. Etwa, wie denn der Strommehrbedarf der Mobilitätswende gedeckt werden könne. Ja, er sei „nicht ganz so der Verfechter von Windkraft“, sagt Ullrich, aber man müsse Genehmigungsverfahren trotzdem beschleunigen. „Aber nicht mit der Brechstange.“ Ja, längere Elternzeit und höhere Spitzensteuern könnten teuer werden für kleine Familienbetriebe, aber da müsse man eben „unbürokratische Situationen schaffen“, wenn es hakt.
Aus der Grünen Stephanie Erben und dem Liberalen Gerald Ullrich spricht unterdessen deren lange Erfahrung mit den eigenen Polit-Steckenpferden. Die Frage, ob ein flottes Vorangehen Deutschlands beim Thema CO2 im Weltmaßstab wenig wirkt, aber der Inlands-Wirtschaft Lasten aufbürdet, kontert Erben mit dem bekannten Argument, die drohende Klimakatastrophe warte nicht auf zögernde Politiker und Unternehmer: „Die Welt ist komplex, wir müssen daher auch komplex rangehen.“ Was Gerald Ullrich unterschreibt in Bezug auf die Europäische Union, die er mehr als Problemlöser denn als Buhmann sieht. Vieles, was als EU-Bürokratie wahrgenommen werde, sei in Wirklichkeit das Werk der deutschen Umsetzung, die mal chaotisch, mal überreguliert seien. „Deutsche sind da besonders gründlich“, sagt AfD-Ingenieur Treutler und meint dies – wohl ausnahmsweise – nicht positiv.
In der Forderung nach mehr Wohlfühlbedingungen für die Wirtschaft treffen sich auch zum Ende der Debattenrunde wieder die gegnerischen Positionen. Nicht nur habe die Coronakrise den „stabilen Aufwärtstrend“, den die Region in den Zehner-Jahren hatte, gebremst, „schon davor fühlten sich Unternehmer zunehmend unwohl und mehr belastet“, sagt IHK-Chef Pieterwas.
Während Treutler erwartungsgemäß „die katastrophale Politik Merkels seit 2015“ für die schlechte Stimmung verantwortlich macht, Witt sein „Allianzen schmieden“-Motto wiederholt, Maaßen den demografischen Wandel abstreitet, SPD-Ullrich und Erben auf mehr Elan und Gründerfonds setzen, holt FDP-Ullrich den Sieg in der Gewichtsklasse „bester Lobbyist“. „Ich werde glasklar die Interessen der Unternehmen vertreten“, sagt er am Schluss, und: „Ich will wieder nach Berlin, weil ich ein Unternehmer bin, der einen Ausflug in die Politik macht.“
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