Hilfsaktion für die Ukraine Sportler stellen Hilfsaktion auf die Beine

, aktualisiert am 03.03.2022 - 10:18 Uhr

Sonnebergs Handballer machen sich im OVG-Bus auf die Reise zur ungarisch-ukrainischen Grenze, um dort Hilfsgüter zu übergeben. Auf der Rückfahrt hofft man Familien ukrainischer Mitspieler, geflüchtet aus dem Kriegsgebiet, mitnehmen zu können.

 
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Sonneberg -  Für 13 Uhr war am Montag die Annahme angekündigt worden. Schon gut eine halbe Stunde vorher ist kein Halten mehr. Sack um Sack, Karton um Karton, Kiste um Kiste tragen, schleppen und schleifen die Sonneberger zum schwarz-gelben Container in der Köppelsdorfer Straße 100. Mancher hat ein Einkaufswägelchen des benachbarten Lidl zweckentfremdet, um all die Sachen in einem Schwung abgeben zu können. Doreen Greiner-Mester ist mit dem AWO-Kleinbus vorgefahren. Ohnehin war für Montag im Discounter ein Einkauf geplant. Auf Zuruf habe sie sich mit ihrem Chef verständigt dazu, ob das „Haus am Eichberg“ nicht vielleicht eine Stiege Büchsensuppe für eine lokale Ukraine-Hilfsaktion übrig hat. Kein Problem, hieß es. Greiner-Mester, bei den Heimspielen des Sonneberger Handballvereins (SHV) als treuer Fan und verlässlich als ehrenamtliche Helferin an der Stullen-Theke dabei, steuerte also Nährwerte bei.

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Regina Franke hatte derweil zuhause ihr Auto vollgepackt. Verschreibungsfreie Schmerzmittel, Bettzeug, Handtücher – was ihr eben in die Finger kam, nahm die ehemalige Neuhäuser Gymnasiallehrerin mit zur SHV-Geschäftsstelle. Was als kurzer Abstecher geplant war? Entwickelte sich für die Steinacherin zur den Nachmittag füllenden Aufgabe.

Kurzentschlossen half Franke mit aus, Kinderstiefel und Männerjacken zu sortieren, Konserven-Paletten nach links oder Decken nach rechts zu stapeln. Heiko Schindhelm schaffte kurz nach 13 Uhr Erste-Hilfe-Material heran. Der Werkstattleiter eines hiesigen Autohauses hatte mit dem Okay vom Boss Verbandskästen, die über kurz oder lang zur Ausmusterung angestanden hätten, für den guten Zweck gesichert.

Zur Abgabe von Sachspenden aufgerufen hatte der SHV-Vorstand in den sozialen Netzwerken. Erste Annahme war am Sonntag, zweite am Montag – und an beiden Tagen war dem Andrang kaum Herr zu werden. Kinderstiefel, Wollpullover und Kissen, Frauenmäntel und Männerhosen, Spannbettlaken, außerdem Keksrollen und Nudelpakete, Gläser mit Wurst – kein Zweifel, von den aktuellen Bildern der Not der Flüchtlinge ließen sich die Sonneberger berühren.

Zu helfen? Ist Herzenssache.

Erst am Samstag hatte sich der Vorstand des Sportlerzusammenschlusses an die Öffentlichkeit gewandt. Eigentlich hatte man nach all den Corona-Querelen gehofft, den Rest der Saison in halbwegs annehmbarer Normalität angehen zu können, hieß es. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Und der Sport? Wurde zur Nebensache erklärt. „Seit ein paar Tagen haben wir Krieg inmitten Europas; eine bis vor wenigen Tagen noch mehr als surreale Vorstellung. Von diesem Krieg betroffen sind Bekannte und Freunde unserer Handballfamilie. Aber vor allem Menschen, die nichts, aber auch gar nichts mit irgendwelchen geopolitischen oder machtgetriebenen Überlegungen zu tun, jedoch unmittelbar unter den Folgen zu leiden haben“, erbost sich SHV-Vorsitzender Alexander Ebert. Die Nähe zu den Opfern des militärischen Überfalls in Osteuropa? Sie ergibt sich aus dem Umstand, dass ein gutes halbes Dutzend Spieler ukrainischer Herkunft den Kader des Sonneberger Herren-Teams in der Mitteldeutschen Oberliga verstärkt. Viele spielen schon seit Jahren im gelb-schwarzen Leibchen. Manche haben längst ihren Lebensmittelpunkt in der Region. Und alle sind völlig unvorbereitet in der ein oder anderen Weise betroffen, schildert Ebert. Da gibt’s den Vater, dessen Sohn in Maruipol an vorderster Front kämpft. Bei einem anderen ist die Ehefrau zur Armee eingezogen worden. Ebert war dabei, als einer seiner Schützlinge die Eltern im Bunker erreichte. „Da hörst du am Handy mit, wie die Bomben detonieren und die Verbindung abbricht.“ Es ist schwer in Worte zu fassen, mit welchen Problemen und Ängsten die Spieler gerade zu kämpfen haben, sagt der 41-Jährige. Erschütterung und Verzweiflung ist bei jedem zu spüren. „Die Tränen in ihren Augen sprechen für sich.“ Weil es nicht nur Mitspieler sind, sondern Freunde, „weil wir Sportler eine Familie sind“, entschloss man sich es nicht bei Trost und Zuspruch zu belassen. Die Solidarität sollte bitte handfest daherkommen – in Form der kurzfristig auf die Beine gestellten Aktion. Ebert und seine Mitstreiter wandten sich an Sponsoren und Vereinsmitglieder mit der Ankündigung, die Söhne und Töchter, Ehefrauen oder Eltern der ukrainischen Handballer in Reihen des SHV nach Sonneberg zu holen. Das ist für Donnerstag geplant – Zustieg für die Flüchtlinge wäre an der ukrainisch-ungarischen Grenze. Für all diejenigen, die es schaffen in all dem Chaos rechtzeitig dorthin zu gelangen.

„Kein Platz bleibt leer“

Ein OVG-Reisebus ließ sich für die 1200 Kilometer lange Tour organisieren. Und weil der nicht leer anreisen soll? Setzte der Zusammenschluss den Sachspendenaufruf aufs Gleis. Klappt alles, werden die Hilfsgüter am Mittwochabend auf ungarischer Seite dem Roten Kreuz übergeben, um diese weiter dorthin zu transportieren, wo Not und Mangel herrschen, in den Flüchtlingsunterkünften in der Zentralukraine. Die Helfer aus der Spielzeugstadt hoffen derweil für die Angehörigen der ukrainischen Spieler auf ein Happy-End. Doch Ungewissheiten bleiben, ob es alle tatsächlich schaffen zum Treffpunkt. Doch so oder so wird der Bus voll gemacht, sagt Ebert. Kein Sitzplatz darf leer bleiben, lautet das Versprechen, das sich die Beteiligten selbst gegeben haben. Mit Sonnebergs Bürgermeister habe man sich vorab verständigt, was die Möglichkeit einer Unterbringung in städtischen Notunterkünften betrifft von jenen, die keine Bleibe haben: „Das ist alles geregelt.“

Selbstredend packte am Montagnachmittag mancher der betroffenen Sportler am Vereinscontainer mit an. Den eigenen Namen mag gegenwärtig aber lieber keiner in der Zeitung lesen: „Meine Familie wohnt jetzt im von den Russen okkupierten Gebiet Gebiet. Ich will da lieber kein Foto – da weiß ja keiner, was noch kommt.“ Ein Zweiter sorgt sich um seine Oma. Und hofft, diese bald in Sonneberg in die Arme schließen zu können. Schande über Putin, dabei will er es als Kommentar belassen, bevor er sich wieder der Aufgabe zuwendet die nächste Sackrolle aufzureißen und den Inhalt mit schwarzem Filzstift grob zu beschriften: „Girls, bis zehn, Strumpfhosen“.

Umgepackt werden sie Sachspenden in den Reisebus am Dienstagnachmittag. Start zur ukrainisch-ungarischen Grenze soll am frühen Mittwochmorgen sein.

Zwei Fahrer – Chris Haupt und Stephan Sommer – wollen sich auf der gut 16 Stunden dauernden Tour am Steuer abwechseln. Zwei Rettungssanitäter und zwei Dolmetscher sind ebenfalls ehrenamtlich mit an Bord.

Als Koordinator wird sich Steffen Haupt den Hut aufsetzen. Haupt, SHV-Stadionsprecher und Vorsitzender des SC 06 Oberlind, schaute Montagnachmittag kurz an der „Packstation“ am Container vorbei – und ist überwältigt von der Hilfsbereitschaft. „In einer Fuhre werden sich all die Sachen gar nicht wegschaffen lassen“, schätzt er. Von daher wird es wohl nicht der einzige Transport aus Sonneberg sein, der sich auf den Weg macht.