Hochwasser-Katastrophe Spendenaufruf: Zerstörungen wie im Kriegsgebiet

In den Schluchten des Ahrtals hat ein eigentlich friedlicher Fluss mit gigantischer Macht gewütet. Selbst erfahrene Helfer sind infolge der angerichteten Zerstörung schockiert. Während ihres Einsatzes dort stellen sie sich auch Fragen zu ihrem Zuhause.

 
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Rech/Suhl - Da ist er wieder, dieser Geruch. Feucht und modrig. Doch irgendwie auch anders als in so vielen Häusern, die vor etwa zwei Wochen von der Ahr überspült worden sind und in denen noch braune Spuren an den Wänden, auf den Böden, an den Decken zeigen, wie hoch das Wasser stand. Wasser, das eben nicht klar und frisch war. Wasser, das voller Schlamm war, der sich aus Erde, Geröll, Ölen, Fäkalien und wer weiß was noch für anderen Stoffen gebildet hatte.

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Anders riecht es in diesem dunklen Keller, weil sich hier auch etwas Fruchtiges in den Modergestank mischt. Etwas, das vertraut scheint und – auch, weil die Luft hier unten so warm ist – ein ganz, ganz klein wenig an den Duft an einem Glühweinstand erinnert. Jedenfalls in den ersten zehn, vielleicht zwanzig Sekunden, die man in diesem Keller zubringt. Dann gewinnt der Verstand wieder die Oberhand. Denn schon die ersten Blicke nach links und rechts zeigen, dass sich hier unten gerade nichts abspielt, was auch nur im Entferntesten mit den schönen Dingen des Lebens zu tun hat.

Dieser Keller, der durch ein paar große Strahler und mehrere Stirnlampen zumindest ein bisschen erhellt wird, liegt im kleinen Rech. Der Ort und seine etwa 550 Einwohner gehören zur Verbandsgemeinde Altenahr, deren Teile durch die Flutkatastrophe an der Ahr besonders schwer getroffen worden sind. Die Ahr – ein eigentlich sehr freundlicher, ruhiger Fluss – fließt direkt durch Rech, in dessen unmittelbarer Umgebung sich Weinberge an Weinberge schmiegen. Vor dem 14. Juli war der Anblick, den Rech bot, einer, den man auf Postkarten hätte drucken. Würde man den Anblick, den der Ort jetzt bietet, auf eine Postkarte drucken, man würde damit den Blick auf eine Trümmerlandschaft verschicken.

Dafür, dass man in diesem Keller überhaupt stehen und wieder ein paar Meter laufen kann, haben in den vergangenen Tagen auch Helfer aus Thüringen gesorgt, genauer: bis zu zehn Mitglieder des Technischen Hilfswerks (THW), die im Ortsverband Suhl organisiert sind. „Ohne uns, würde hier nichts funktionieren“, sagte René Eckstein, einer von ihnen. Dass es hier unten Strom und infolge dessen auch Licht und einen Wasserstrahl – gespeist aus einer Pumpe – gibt, dafür haben er und die andere THWler gesorgt. Gerade spülen einige von ihnen einen Teil des Kellers mit Wasser aus, der zuvor Eimer um Eimer vom Schlamm befreit worden ist. Aus einem Nebenraum bringen etwa ein Dutzend angehende Polizisten mit Eimern und Schubkarren weiteren Schlamm nach draußen.

Das ist harte körperliche Arbeit, denn der Schlamm ist nicht nur braun und stinkend. Er ist vor allem schwer. Die Reifen der Schubkarren versinken deshalb so regelmäßig im Schlamm, dass ein Helfer harten Schutt in ihren Weg schaufelt, damit die Reifen dort hinüber rollen können.

Drei Tage nach der Flutnacht – der Nacht vom 14. auf den 15. Juli – sind die Suhler THW-Angehörigen ins Katastrophengebiet aufgebrochen. Innerhalb von wenigen Minuten, erzählen sie, hätten sie sich nach einer entsprechenden Anfrage der THW-Führung entschieden, nach Rheinland-Pfalz zu gehen. Gepackt war dann sehr schnell. Nur wenige Stunden lagen für sie zwischen dem entscheidenden Anruf und dem Aufbruch ins Ungewisse. Ohne das Verständnis, ohne die Unterstützung ihre Familien und ihrer Arbeitgeber, sagen sie, sei das völlig undenkbar.

Eckstein ebenso wie sein Zugführer, Andreas Höfling, sind erfahrene, professionelle Helfer. Eckstein ist seit 2005 beim Technischen Hilfswerk, Höfling seit 2008. Sie, die beide im SRH-Zentralklinikum in Suhl arbeiten, Eckstein als Rettungsassistent, Höfling als Patientenbegleiter, haben schon mehrere Hochwasser erlebt. Sie haben bei Flutkatastrophen in Bautzen geholfen, in Görlitz, in Camburg.

Doch das, was sie in Rech sehen, was sie in den anderen Orten entlang der Ahr zuvor gesehen haben, das, sagen sie, sei mit keinem der Einsatzorte vergleichbar, an die sie das THW in der Vergangenheit geschickt hatte. „Da haben wir mal einzelne Gebäude abgestützt“, sagt Höfling. „Das hier hat eine ganz andere Dimension.“ Nur ein passender Vergleich fällt Eckstein und Höfling ein.

Ehe sie erzählen können, woran sie die Szenerie in Rech erinnert, rollt ein Bagger von hinten auf beide zu. Es gilt, den Weg frei zu machen. Der Greifarm des Baggers trägt etwas, das aussieht wie ein Heizkörper, der in einigen Augenblicken auf einem Haufen landen wird, auf dem schon viel von dem liegt, was Menschen für gewöhnlich in ihren Häusern haben, aber kaum noch zu erkennen ist. Fensterrahmen, Holztüren, dazwischen jede Menge Metall. Eines dieser verbogenen, verdreckten Metallgestänge könnte mal ein Kinderwagen gewesen sein.

Ungefähr dort, wo der Bagger entlangfährt und in etwa auf der Fläche, auf die der Fahrer schaut, als er mit dem Gerät den Hang hinauf rollt, standen einmal Häuser. Nun ist dort eine leere Fläche oder es geht steil den Hang hinab, unmittelbar in das Flussbett, durch das die Ahr auch an diesem Tag braun und noch immer schneller als gewöhnlich fließt. Als Flut war, stand sie höher, viel höher. Wie hoch genau, weiß auch hier niemand, weil die Flut die Pegel zerstört hatte. Aber sieben Meter, sagen sie Rech, waren es bestimmt. Jetzt, watet ein Bundeswehrsoldat durch den Fluss, um eine Behelfsbrücke für Fußgänger zu errichten.

Überhaupt prägt neben dem THW die Bundeswehr das Bild in Rech, auch etwa zwei Wochen nach der Flut, die hier wirklich eine Sturzflut gewesen sein muss. Das Wasser war hier noch viel, viel zerstörerischer als etwa in Bad Bodendorf, das deutlich weiter flussabwärts, nahe der Mündung der Ahr in den Rhein liegt. Weil das Wasser sich in dem engen Tal – anders als im Mündungsgebiet – nicht nach links und rechts ausbreiten konnte, rauschte es umso zerstörerischer, todbringender in Richtung des Rhein.

Etwa 20 Häuser in Rech sind durch die Flut völlig zerstört worden. Alles in allem hat das Wasser 60 Prozent der Häuser im Ort beschädigt. Eine große Steinbrücke, die vor noch gar nicht so langer Zeit die beiden Ufer miteinander verbunden hatte, ist zerstört, ihre Reste ragen traurig aus dem Wasser. Soldaten haben deshalb eine Ersatzbrücke für Fahrzeuge über den Fluss gespannt, über die nur fahren darf, wer sich von den Soldaten an beiden Enden einweisen lässt. Neben der Brücke steht ein Pionierpanzer. Überall in Rech sind neben THWlern, Feuerwehrleuten, Polizisten, Rot-Kreuzlern, freiwilligen zivilen Helfer auch Soldaten zu sehen.

Diese hier so willkommene Omnipräsenz der Streitkräfte trägt dazu bei, dass nicht nur Eckstein und Höfling davon überzeugt sind, dass es eigentlich nur eine Sache gibt, die mit dem, wie es im Ahrtal in vielen Ortschaften nach der Flut aussieht, vergleichbar ist: Krieg.

Schon an ihrer ersten Einsatzstelle in Kreuzberg – etwa vier Kilometer westlich von Rech – habe er sich wie nach einer Schlacht gefühlt, sagt Höfling. „Überall Trümmer, die ganze Zeit Hubschrauber im Tiefflug. Du kamst Dir vor wie im Krieg.“

Für Eckstein sind diese Art Eindrücke sogar noch persönlicher. Er, sagt er, sei um die Jahrtausendwende als Bundeswehrsoldat Teil der KFOR-Truppen und damit im Kosovo im Einsatz gewesen. Was er nun an der Ahr und ganz besonders in Rech erlebe, sei „wie damals“. Nur in zwei Details unterscheide sich die Szenerie hier von dem, was er damals in kosovarischen Dörfern an Zerstörung gesehen habe. „Damals waren an den noch stehenden Häusern überall Einschusslöcher.“ Außerdem sei damals der Müll nicht getrennt und auf offener Straße verbrannt worden. Ansonsten: „Absolute Parallelen.“

Derlei Eindrücke freilich hinterlassen auch bei den Helfern Spuren, die nach einer kurzen Mittagspause wieder ins Halbdunkel des Kellers hinabsteigen. Die eigentlich friedliche Ahr, nebenan liegende Bäche, die in den vergangenen Sommern eigentlich fast ausgetrocknet waren und sich in der Flutnacht in reißende Ströme verwandelt haben… Manche Helfer, sagen Eckstein und Höfling, würden auch in der Nähe solcher Bäche wohnen. In Suhl gebe es da doch die Hasel, die Lauter. „Und Suhl liegt ja auch in einem Tal“, sagt Eckstein. „Da wird einem wirklich ganz anders und man weiß zu schätzen, was man hat.“ Er meint damit auch: „Noch hat“, und morgen vielleicht schon verloren haben könnte.

In dem Keller gibt es an diesem Tag noch mehrere sehr schwere und extrem schwere Weinfässer zu bergen und aus dem künstlichen Licht der Strahler und Stirnlampen ans Tageslicht zu bringen. Von ihnen kommt die fruchtige Note des modernen Geruchs. Dieser Keller, der ganz hinten ein Loch hat, durch den man in den Himmel schauen kann, gehört zu einem Weingut in Rech, das völlig zerstört worden ist. Nicht wenig von dem dort gelagerten Wein ist Teil des Schlamms geworden, der noch immer in so vielen Ecken klebt.

Gemessen daran, dass die komplette Infrastruktur in Rech zerstört ist – keine Brücken, keine Straßen, kein Strom, kein Wasser – scheint dieser Dreck nur eine Kleinigkeit zu sein. Doch wenn der Ort jemals wieder aufgebaut werden soll, muss auch dieser Restschlamm weg. Eckstein, Höfling, die anderen THWler ebenso wie alle anderen Helfer arbeiten in diesem Dreck deshalb mit der gleichen Hingabe wie an Leitungen und Kabeln, an Brücken und Straßen. Sie werden noch lange gebraucht werden.

„Freies Wort hilft“ nimmt weiter Spenden für die Hochwasseropfer entgegen. Wir unterstützen besonders bedürftige Familien, Kinder und Einzelpersonen im Ahrtal.

Spendenkonto: DE39 84050000 1705 017 017

Verwendungszweck Flut 2021

Spenden sind steuerlich absetzbar. Jeder Euro kommt direkt bei den Betroffenen an.