Auf seine Lebensgeschichte angesprochen, streicht sich der Nachtwächter zunächst meist mit einer Hand durch den weißen Vollbart und blickt den Fragenden dabei unentschlossen an. Nichts ist dem zurückhaltenden Mann nämlich unangenehmer, als über sich selbst zu sprechen, auch wenn seine Geschichte es verdient, erzählt zu werden. Diese beginnt im Jahr 1958 in Häselrieth, wo Thomas Stäblein in einfachste Verhältnisse hineingeboren wird. Der Vater verdingt sich als Forstarbeiter, besitzt aber einen ausgeprägten Sinn für historische Begebenheiten und begeistert seinen Sohn schon früh für alles Geschichtsträchtige. Auch üben die historisch-volkstümlichen Gedichte aus der Feder des Häselriether Heimatdichters Günther Fink, der Familienfreund und Pate Stäbleins ist, große Anziehungskraft auf den Jungen aus. Es verwundert also nicht, dass sich Stäbleins erstes kindliches Interesse auf alles konzentriert, was jemals in und um Häselrieth vorgefallen ist. Für seine Geschichtslehrer an der POS in Häselrieth spielt die Lokalgeschichte hingegen gar keine Rolle. Ihr Auftrag ist es, den Schülern die großen Zusammenhänge in der Weltgeschichte zu vermitteln, wobei sie aber über mögliche Bezüge zur Region keine Silbe verlieren. Stäblein bedauert das in fast jeder Geschichtsstunde und fragt er dann doch einmal den Lehrer nach irgendeinem Ereignis aus der näheren Umgebung, so erhält er stets die gleichsam abweisende wie enttäuschende Antwort: „Ach, das weiß ich nicht!“
Hildburghausen Nachtwächter aus purer Hingabe
Oliver Heyn 23.11.2024 - 06:00 Uhr