Heimatgeschichte Ein Dorf auf Augenhöhe mit der Stadt

Oberlind (Landkreis Sonneberg) kann dieses Jahr auf 800 Jahre schriftlich dokumentierter Geschichte zurückblicken. Ein Vortrag, zu dem der Geschichtsverein Colloquium Historicum Wirsbergense (CHW) einlädt, beleuchtet die ersten paar Jahrhunderte der Lokalhistorie.

 
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Im 15. Jahrhundert wurde eine bestehende Kirche in Oberlind spätgotisch erweitert. Der Kirchenbau dokumentiert die wirtschaftliche Potenz der Kommune. Foto: /Schwämmlein

Ein Maskottchen gibt es bereits und der Oberlind-Bär, durfte schon freundlich in die Kameras der Zeitungsleute grüßen. Oberlind feiert heuer 800 Jahre und es ist im Stadtteil einiges geplant. „Wir haben rechtzeitig angefangen und das zahlt sich jetzt aus“, sagt Ortsteilbürgermeister Ralf Wöhner. Mit den Vorbereitungen liege man gut in der Zeit und könne die eigentlichen Feierlichkeiten Mitte des Jahres beruhigt angehen. Für die Einwohner des Stadtteils ist es auch Grund genug, sich mit der eigenen Geschichte oder vielmehr der Historie vor der Haustür näher zu befassen.

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Das lohnt sich allemal, denn der Blick auf die vergangenen Jahrhunderte kann so einiges Neue zu Tage fördern. Die Mitglieder der Bezirksgruppe Sonneberg/Neustadt des Geschichtsvereins Colloquium Historicum Wirsbergense (CHW) startet am Donnerstag, 16. Januar, mit einem Vortrag. Kreisheimatpfleger Thomas Schwämmlein wird im Stadtteilzentrum „Wolke 14“ über „Oberlind – Dorf, Marktort und Konkurrent zur Stadt“ sprechen. „Oberlind wurde zwar erst im vergangenen Jahrhundert zur Stadt erhoben, gegenüber den alten Städten Sonneberg und Neustadt bewegte sich das Dorf Oberlind seit dem ausgehenden Mittelalter ziemlich auf der sprichwörtlichen ,Augenhöhe’“, sagt Schwämmlein.

Verkehrsgünstige Lage

Der im Zusammenhang eines Rechtsstreites zwischen dem niederadligen Heinrich von Sonneberg und dem Kloster Saalfeld eher beiläufig als „Lind“ 1225 erwähnte Ort erschien zunächst als typisches Dorf, also eine ländliche Siedlung. Allerdings lag er auch an einem wichtigen Flussübergang über die Steinach, an einem Punkt, an dem sich gleich mehrere Altstraßen kreuzten, von denen die Straße über Judenbach eine äußerst wichtige Nord-Süd-Achse des spätmittelalterlichen Fernverkehrs war. Hinsichtlich der Nähe zur Straße nahm sich Oberlind nichts mit der benachbarten Stadt Neustadt, die bereits 1248 als Marktort bezeichnet wurde. Erst recht fällt Oberlinds verkehrsgünstige Lage auf, wenn man sie mit der Stadt Sonneberg vergleicht. Diese war 1349 mit denselben Rechten wie Neustadt privilegiert worden, lag aber jenseits jeglichen Fernverkehrs.

Bereits Mitte des 15. Jahrhunderts hatte Oberlind sich als wirtschaftliches Zentrum längst etabliert. 1441 bestand im Ort Schankrecht und – häufig mit Bezug zum Verkehr auf der Handelsstraße – auch mehrere Handwerksinnungen. Den Aufstieg des Dorfes dokumentierte auch die Kirche St. Aegidius, die 1455 spätgotisch erweitert wurde. Ohne die günstige Lage an der Straße ist auch dieser Kirchenbau kaum vorstellbar. Ablassbriefe, ausgestellt durch die Bischöfe von Bamberg, ermöglichten wohl diesen Kirchenbau. Aber dass sehr viel Mittel für den Bau einkamen, hängt auch mit der starken Frequenz des Verkehrs in Oberlind zusammen. Bereits 1444 und 1485 wurde die Kirche als Pfarrkirche bezeichnet, obwohl die Pfarrechte im Jahr 1517 zwischen Oberlind und der Stadt Sonneberg strittig waren. Selbst in den Inventaren, die im Vorfeld der ersten evangelischen Kirchenvisitation 1528 erstellt wurden, erscheint Oberlind als die besser ausgestattete Kirche. Immerhin war der Oberlinder Kirchensprengel im Vergleich zu Sonneberg riesig, reichte vom Unterland bis hinauf nach Judenbach. Und als die Oberlinder 1517 bereits auf einer Separation von Sonneberg bestanden, erwähnten sie einen regelrechten Marktbetrieb im Ort. Einwohner der umliegenden Dörfer zwischen Unterlind und Judenbach nutzten wohl diese Gelegenheit, um sich mit verschiedenen Erzeugnissen zu versorgen. Die günstige Entwicklung des ausgehenden Mittelalters setzte sich nach dem Dreißigjährigen Krieg fort. Der Ort verfügte über Marktrechte, die 1656 auch um das Braurecht für die Hofbesitzer erweitert wurden. Durch das Braurecht konnten sich die Oberlinder Nachbarn, wie damals die in Gemeindedingen mitspracheberechtigten Hofbesitzer genannt wurden, mit den Bürgern in Sonneberg und Neustadt messen. Aus beiden Städten gab es im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert wiederholte Protestschreiben, in denen das Oberlinder Braurecht als Eingriff in ihre „bürgerlichen Vorrechte“ kritisiert wurde. Nebenher bemerkt, Oberlind pflasterte seine Gassen noch etliche Jahre vor Stadt Sonneberg. Längst hatte sich Oberlind als Zentrum des ländlichen Gerichtes Sonneberg etabliert. 1735 wurde der Schultheiß als Sprecher der Dörfer in diesem Verwaltungsbezirk bezeichnet. Zudem hatten sich im Dorf mehrere Handwerksinnungen etabliert, solche des Dorfes und Marktflecken wie solche der Landhandwerker im Amt Sonneberg. Was auf den ersten Blick als außergewöhnlich erscheint, ist dies nicht unbedingt. Der Historiker Peter Blickle (1938-2017) hatte darauf hingewiesen, dass insbesondere im oberdeutschen und mitteldeutschen Raum viele ländliche Dorfgemeinden sich in ihrer Verfasstheit nur wenig von den meist kleinen Städten unterschieden haben. Wie die Städte verfügten sie über eine kommunale Selbstverwaltung, Satzungsbefugnisse und sprachen als Dorfgericht Recht. Sofern sie wirtschaftlich potent waren wie Oberlind, bewegten sie sich auf Augenhöhe mit der Stadt. In der einstigen Pflege Coburg, zu der auch große Teile des Sonneberger Landes gehörten, war dies kein Einzelfall. Die frühe Oberlinder Ortsgeschichte zeigt, wie sich der ländliche Raum in der Vormoderne entwickelt hat. Wer mehr davon wissen möchte, der kann gern zum Vortrag vorbeischauen.

Vorträge und Veranstaltungen zum Jubiläum

Vorträge
Die Bezirksgruppe Sonneberg/Neustadt des Geschichtsvereins Colloquium Historicum Wirsbergense (CHW) bietet im Winterprogramm zwei Vorträge mit Oberlinder Themen an. Am Donnerstag, 16. Januar, spricht Thomas Schwämmlein über „Oberlind – Dorf, Marktort und Konkurrent zur Stadt“. Am Donnerstag, 3. April, stellt Franz Otto bauhistorische Untersuchungen an der Pfarrkirche St. Aegidien in Oberlind vor. Die Vorträge im Stadtteilzentrum „Wolke 14“ beginnen jeweils 19.30 Uhr. Eine Anmeldung ist nicht notwendig, Eintritt wird nicht erhoben.

Festwoche
Vom 30. Mai bis 1. Juni wird zu einem Festwochenende in Oberlind eingeladen. Geplant sind dabei Ausstellungen und ein großer Festumzug durch den Stadtteil sowie ein Markttreiben.

Festwoche
Für das Jubiläum laufen alle Fäden beim Heimatverein zusammen, dessen Mitglieder bereits Ende vergangenen Jahres erste Ideen vorgestellt haben. Wer sich dafür interessiert kann sich an den Vorsitzenden André Möckl unter der E-Mail heimatverein-oberlind@web.de wenden. Ein Geschichtsstammtisch um Ortsbürgermeister Ralf Wöhner arbeitet an einer Publikation zur Oberlinder Geschichte.